Anfernee Simons wollte sich nicht loben lassen, wirkte fast peinlich berührt, als Sideline-Reporterin Brooke Olzendam mehrfach versuchte, ihm für das beste Spiel seiner Karriere zu gratulieren. Es gab allerdings einen guten Grund dafür, wie der 22-Jährige verriet, als er nach einer Gatorade-Dusche durch seine Teamkollegen endlich zu Wort kam.
Seine 43-Punkte-Gala gegen Atlanta, bei der er 56 Punkte auf der Gegenseite durch Trae Young konterte und die Blazers zum Sieg führte, hatte eine bittere Note. "Mein Großvater ist gestern Abend an Krebs gestorben", erklärte Simons. "Das hier heute war alles er. Ich widme ihm dieses gesamte Spiel."
Das emotionale Spiel war ein Ausbruch, aus dem sich viele Beobachter nicht wirklich einen Reim machen konnten. Simons hatte schon als Rookie mal 37 Punkte aufgelegt, jedoch nie über eine Saison 10 im Schnitt erreicht - auch in der laufenden Spielzeit hatte er bis zum Jahreswechsel stark schwankende Leistungen gezeigt.
Das tun sie seither allerdings nicht mehr.
Anfernee Simons: Einer der heißesten Spieler der Liga
Das Atlanta-Spiel war keine Eintagsfliege: Simons hat nach dieser Partie in sieben von elf Einsätzen mindestens vier Dreier versenkt und gehört im Januar zu den heißesten Spielern der Liga, auch wenn er gegen Minnesota ein wenig mit dem Wurf haderte. 24,3 Punkte im Schnitt bei 62,2 Prozent True Shooting sprechen eine deutliche Sprache, vor allem seine unfassbaren 44,7 Prozent bei Pullup-Dreiern (via nba.com/stats) stechen hervor.
Simons setzt die Gefahr seines Wurfs auch gekonnt ein, um zum Korb zu kommen. Er hat ein exzellentes Ballhandling sowie einen guten Touch bei Floatern (47 Prozent aus der Floater Range laut Cleaning the Glass). Lediglich am Ring trifft er derzeit unterdurchschnittlich, und das als amtierender Slam Dunk Champion - ein physischer Finisher ist er schlichtweg nicht (Karriere: 1,2 Freiwürfe pro Spiel).
Anfernee Simons macht überall Fortschritte
Simons gefällt dabei nicht nur durch sein Scoring; als lange einziger verbliebener Guard, der gewissermaßen sowohl Damian Lillard als auch C.J. McCollum vertreten musste (letzterer kehrte nun immerhin zurück), schultert Simons auch mehr Playmaking-Last als je zuvor und verteilt im Januar 7,2 Assists bei 3 Ballverlusten.
Damit imponiert er auch den Teamkollegen. "Ich wusste, dass er werfen kann, aber er fühlt sich auch mit seinen Fähigkeiten als Passer immer wohler", erkannte Jusuf Nurkic kürzlich, der neben Simons selbst eine kleine Renaissance erlebt. "Er fängt damit an, gegnerische Traps auseinanderzunehmen, und wird darin immer besser. Er realisiert mittlerweile, dass jemand offen ist, wenn sie ihn doppeln."
Er hat sich zudem defensiv verbessert, was ähnlich signifikant ist, da er über drei Jahre zu den schwächeren Defensiv-Guards der Liga gezählt werden musste. Dabei hat er im Gegensatz zu vor allem McCollum die Voraussetzungen, um ein guter Verteidiger zu sein: Er ist athletisch, hat lange Arme (2,06 m Spannweite) und ist zumindest für einen Point Guard nicht klein (1,90 m).
Portland: Noch immer im Play-In-Rennen
In jedem Fall hat er den Blazers neues Leben eingehaucht. Nach der Lillard-Verletzung wies viel darauf hin, dass Portland die Saison abschenken könnte, schließlich war es schon mit ihm nicht gut gelaufen. Die Blazers standen Ende 2021 bei 13 Siegen und 22 Niederlagen, General Manager Neil Olshey war längst entlassen, die Dame-C.J.-Ära stand vor dem Ende.
Mit Simons als Starting Point Guard haben die Blazers im Januar eine 7-4-Bilanz hingelegt, ohne ihn gab es gegen Denver noch eine weitere Niederlage. Damit stehen sie nun bei 20-27 und sind noch immer mittendrin im (Schnecken-)Rennen um die Play-In-Plätze - aktuell belegen sie den 10. Platz mit 2 Spielen Vorsprung.
Die Blazers werden deshalb schwerlich eine neue Ära ausrufen, ihre Probleme aus dem November bestehen im Prinzip fast alle immer noch, der Kader ist zu alt und offensivlastig, aber Simons' Entwicklung gibt ihnen, wenn sie beständig bleibt, neuen Spielraum. Oder eine neue Komplikation, je nach Blickwinkel.
Anfernee Simons: "Talentierter" als Dame und Blake
Simons wird im Sommer Restricted Free Agent und wird mit seinen aktuellen Leistungen viel Interesse auf sich ziehen, voraussichtlich wird er relativ teuer. Wie praktisch, dass die Blazers in der kommenden Saison bereits über 92 Millionen Dollar für Lillard, McCollum und Norman Powell in den Büchern stehen haben!
Stand jetzt zumindest. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Simons ausgerechnet jetzt seinem früheren Förderer Olshey Recht gibt, wo dieser nicht mehr da ist. Olshey draftete Simons 2018 an Position 24 und bezeichnete diesen laut The Athletic als "talentiertesten Spieler, den ich je gedraftet habe", nachdem er zuvor unter anderem Lillard, McCollum und auch Blake Griffin für seine jeweiligen Teams gepickt hatte.
Jahrelang war der junge Guard wohl das beste Asset der Blazers (neben Dame oder C.J.), um via Trade Hilfe zu holen, jahrelang sah Olshey jedoch davon ab. Und nun sieht es mehr denn je danach aus, dass nicht Simons derjenige ist, der via Trade gehen sollte, sondern (mindestens) einer aus der älteren Riege.
Man müsste dann zumindest nicht mehr bei Null anfangen. Neben Simons empfahl sich zuletzt Nassir Little immer mehr für höhere Aufgaben, der 21 Jahre alte Forward startete auch gegen Minnesota, obwohl Powell zurück war.
Trail Blazers: Welche Richtung wird eingeschlagen?
Bisher hat sich Portlands neues Front Office unter Interims-GM Joe Cronin nur bedingt in die Karten schauen lassen. Ein kompletter Rebuild scheint unwahrscheinlich, zumal Cronin immer wieder betonte, dass er am liebsten einen Contender um Lillard aufbauen wolle. Dieser ist nun ohnehin verletzt, wann und ob er in dieser Saison zurückkehrt, ist offen.
Dennoch könnten die Blazers gut zwei Wochen vor der Trade Deadline alle möglichen Richtungen einschlagen. Ein Retooling um Lillard und Simons mit Blick auf die nächste Saison, bei dem Spieler wie McCollum, Powell, Nurkic oder Robert Covington vorerst für Assets eingetauscht werden? Ein Simons-Deal, solange dessen Tradewert auf der Spitze ist? Oder die ganz große Lösung in Form eines Lillard-Trades?
Viel spricht für Tür 1, aber Gewissheit gibt es in der "Lying Season" traditionell keine. Klar ist eigentlich nur: Es ergibt relativ wenig Sinn, vier hochbezahlte Spieler für de facto zwei Positionen zu haben. Und nur einer von ihnen befindet sich eindeutig auf dem Weg nach oben.
Die Karriere-Stats von Anfernee Simons
Saison | Spiele | Minuten | Punkte | True Shooting% | Assists | Turnover |
18/19 | 20 | 7 | 3,8 | 53,5 | 0,7 | 0,6 |
19/20 | 70 | 20,7 | 8,3 | 50,2 | 1,4 | 0,9 |
20/21 | 64 | 17,3 | 7,8 | 58,9 | 1,4 | 0,7 |
21/22 | 41 | 27,7 | 15,2 | 57,5 | 3,5 | 1,7 |