Satte 25 Jahre ist es her, als Chicago letztmals die ersten vier Spiele der Saison für sich entschied. Michael Jordan erzielte bei einem Sieg in Miami 50 Punkte, die Bulls setzten beim Rivalen aus Florida ein frühes Statement. Zwei der heutigen Starter, Lonzo Ball und Patrick Williams, waren da noch gar nicht geboren bzw. vermutlich noch nicht einmal in Planung.
Nun ist die neueste Version der Bulls ähnlich erfolgreich, um den Titel werden Zach LaVine und Co. wie damals MJ und Konsorten nicht spielen, aber die Playoffs sollen es nach einer Durststrecke von vier Jahren dann doch gerne sein. "Ich habe mich für Chicago entschieden, weil hier jeder Erfolg haben möchte", sagte DeMar DeRozan nach dem vierten Sieg im vierten Spiel.
Die Verpflichtung des 32-Jährigen wurde zurecht kritisch gesehen, da Chicago einerseits einen hohen Preis zahlte und andererseits eigentlich keinen weiteren Shotmaker brauchte. Gerade die Fragezeichen in der Defense waren groß, bisher war dies allen Unkenrufen zum Trotz die große Stärke des Teams.
Chicago Bulls: Die Defense überrascht
Laut Cleaning the Glass stellen die Bulls für den Moment die viertbeste Defense der Liga (nur 97,1 zugelassene Punkte pro 100 Ballbesitze), allerdings war bisher noch kein echter Prüfstein dabei. Chicago feierte glanzlose Erfolge gegen Detroit (2x) ohne Top-Pick Cade Cunningham sowie New Orleans ohne Zion Williamson, dazu kam in der vergangenen Nacht der knappe Sieg gegen die unangenehmen, aber doch offensiv limitierten Toronto Raptors.
Trotzdem lassen sich aus den bisherigen Partien einige Trends ablesen. Chicago besitzt vor allem in der Starting Five keinen echten Stopper und auch Nikola Vucevic ist als Center nicht für Ringschutz bekannt, doch die Bulls üben stattdessen hohen Druck auf den Ballführenden aus. Das ist notwendig, schließlich fehlt es dem Team an Größe. So befindet sich das Team von Head Coach Billy Donovan in den Top 5 in Steals und Deflections, selbst bei den Blocks belegt die Franchise einen Platz unter den ersten Zehn.
Federführend für diesen Stil steht Alex Caruso, der in nur durchschnittlich 27,5 Minuten von der Bank kommend bisher die meisten Bälle ligaweit abgefälscht hat. "Defense ist eine Kombination aus Willen, Einsatz und Umsetzung", sagte der 27-Jährige nach seiner 5-Steals-Performance im zweiten Aufeinandertreffen gegen Detroit.
Chicago Bulls: Die bisherigen Ergebnisse
Gegner | Ort | Ergebnis | Topscorer |
Detroit Pistons | A | 94:88 | Zach LaVine (34) |
New Orleans Pelicans | H | 128:112 | Zach LaVine (32) |
Detroit Pistons | H | 97:82 | DeMar DeRozan (21) |
Toronto Raptors | A | 111:108 | DeMar DeRozan (26) |
Chicago Bulls: Ball und Caruso geben den Ton an
Worte, die wie Musik in den Ohren der lange darbenden Bulls-Fans klingen mussten und dafür sorgten, dass Caruso im United Center mit MVP-Sprechchören gefeiert wurde. Der einstige Publikumsliebling der Lakers, die den Guard unverständlicherweise nicht halten wollten, macht in Illinois genau da weiter, wo er im Staples Center aufgehört hatte. Es gab nicht wenige, die bei Caruso den LeBron-Effekt vermuteten, schließlich verbrachte der Guard mit dem schütteren Haupthaar die meiste Zeit neben dem Superstar auf dem Feld und wurde so ein Plus-Minus-Darling. In Chicago zeigt er, dass es auch ohne James geht.
Ähnlich aktiv zeigte sich bisher Lonzo Ball, welchen Chicago in der ersten Minute der Free Agency via Sign-and-Trade aus New Orleans holten. Die NBA ermittelt noch wegen vermeintlicher Absprachen und den Bulls dürfte hier noch eine saftige Strafe drohen, doch der frühere Nr.2-Pick hat sich exzellent integriert.
"Lonzo und ich haben die gleiche Einstellung", befand Caruso. "Wir zeigen immer Einsatz, wollen unsere Gegner nerven, die Plays stören, den Fastbreak einleiten. Dort waren wir bislang tödlich." Dies ist eine treffende Analyse, denn wirklich effizient waren die Bulls offensiv nur in Transition.
Chicago Bulls: Die Offensive hat noch Luft nach oben
Das ist wenig verwunderlich, da mit LaVine, DeRozan, Ball und Vucevic meist gleich vier waschechte Scorer auf dem Feld stehen, zwei Starter sind komplett neu. Für den Moment passt die Wurfverteilung der Vier, LaVine wird wie erwartet offensiv entlastet, dennoch bleibt Chicago bislang offensiv Mittelmaß, obwohl der Dreier überragend fiel (über 42 Prozent).
Gleichzeitig waren 26 Versuche pro Partie aus der Distanz sehr wenig, prozentuell gesehen nimmt kein Team bisher weniger lange Würfe als Chicago. Stattdessen wird viel aus der Mitteldistanz und aus dem Floater-Bereich draufgehalten, auch das ist bei diesem Personal keine Überraschung. Donovan stand zudem nie für kreativen Offensiv-Basketball (OKC-Fans werden an dieser Stelle nicken), dafür war die Defense stets stabil, auch mit bestenfalls durchschnittlichem Spieler-Material.
Trotzdem ist die Offense für den Moment unter den Top 10 zu verorten, dies vor allem dank der Transition über erzwungene Ballverluste gelungen. Auf lange Sicht wird das jedoch vermutlich in einer langen Saison nicht zu halten sein, gleiches gilt für die überragende Dreierquote. Mit mehr Volumen kann das ausgeglichen werden, aber außer Ball (7,5 3PA), Lavine (6,8) und Vucevic (3,5) nimmt keiner mehr als zwei Versuche pro Partie.
Chicago Bulls: Die Stats der vier Stars
Spieler | Punkte | FG% | 3P% | REB | AST | STL |
Zach LaVine | 25,5 | 50,0 | 44,4 | 5,3 | 4,8 | 0,5 |
DeMar DeRozan | 22,5 | 41,9 | 37,5 | 5,8 | 4,5 | 0,5 |
Lonzo Ball | 14,3 | 45,7 | 43,3 | 5,8 | 5,0 | 2,0 |
Nikola Vucevic | 14,3 | 39,7 | 21,4 | 11,5 | 3,5 | 2,3 |
Chicago Bulls: Jetzt kommen die Prüfsteine
In diesem Stil dürfte es schwer werden, mit den Besten im Osten mitzuhalten, trotzdem sollte auch anerkannt werden, dass Chicago die Pflichtaufgaben erfüllte. "Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Wir haben noch viel Raum nach oben, müssen noch vieles lernen. Die Saison ist lang", weiß auch DeRozan, der in Toronto das Team mit 11 Punkten im vierten Viertel auf die Schultern nahm.
"4-0 ist großartig, aber wir dürfen nicht glauben, dass dies eine Auszeichnung ist." Die kommenden Wochen könnten schon ein wenig eher zeigen, in welche Richtung es für Chicago in dieser Spielzeit geht. Elf der kommenden zwölf Gegner waren im Vorjahr Playoff-Teams. Übrigens: 1996/97 gewannen die MJ-Bulls ihre ersten zwölf Partien, dies dürfte in der Gegenwart nicht zu erreichen sein.