Denkt man über die derzeitige Situation der Detroit Pistons nach, kommen nicht unbedingt als erstes positive Nachrichten in den Sinn. Im Gegenteil: Der beste Spieler in Blake Griffin wurde soeben operiert und könnte die gesamte restliche Saison verpassen, nachdem er sich schon die ganze Spielzeit über in 18 Spielen eher vor sich hinschleppte, als wie er selbst auszusehen.
Um den anderen Star wiederum ranken sich Trade-Gerüchte: Andre Drummond kann im Sommer aus seinem Vertrag aussteigen und wird das wohl auch tun, einen neuen Maximalvertrag will Detroit ihm jedoch nicht geben. Also wird der Markt für ihn getestet, was sich bisher als relativ schwierig herausstellt. In der Zwischenzeit freut man sich über die zuletzt starken Auftritte von Rookie Sekou Doumbouya - und dümpelt ansonsten im Niemandsland des Ostens herum.
Das ist sozusagen die düstere Perspektive - es gibt jedoch auch noch eine andere. Denn inmitten der nüchtern betrachtet enttäuschenden Pistons-Spielzeit gibt es immerhin auch noch die Geschichte von Derrick Rose, dem "gefallenen" Ex-MVP, der in Mo-Town seine beste Saison seit vielen Jahren hinlegt.
Derrick Rose überzeugt als Bankspieler
Fast neun Jahre sind mittlerweile vergangen, seit Rose als jüngster Spieler der Geschichte nach seiner dritten Saison den MVP-Award entgegennehmen durfte. Seither ist viel passiert, nicht Vieles davon jedoch positiv - allen voran haben Verletzungen seinen Aufstieg zum Superstar jäh eingebremst und seinem Körper nachhaltig geschadet. In Detroit ist er entsprechend auch kein Starter mehr, sondern spielt mit 25,3 Minuten fast genau 12 weniger als noch zu MVP-Zeiten bei den Bulls.
Bisher scheint das jedoch genau die richtige Diät für Rose zu sein. Sechs Spiele hat er in dieser Saison bisher erst verpasst, ist damit auf Kurs für die meisten Einsätze seit 2011. Und in den Minuten, die er auf dem Court steht, sind seine auf 100 Ballbesitze normierten Zahlen beinahe deckungsgleich mit den Zahlen aus seiner MVP-Saison:
Saison | Punkte | Assists | Turnover | Rebounds | FG% | 3FG% |
10/11 | 34,9 | 10,7 | 4,8 | 5,7 | 44,5 | 33,2 |
19/20 | 32,7 | 10,6 | 4,9 | 4,3 | 49 | 33,3 |
Detroits Offense bricht ohne Derrick Rose ein
Das soll nicht heißen, dass Rose nun wieder genau dieser Spieler wäre, und derart normierte Zahlen sind immer mit Vorsicht zu genießen - dennoch sind sie auffällig und bestätigen den Eindruck, den man bekommt, wenn man den Pistons in dieser Saison zusieht.
Mit Rose kommt eine Struktur und Zielstrebigkeit in ihren Angriff, die ohne ihn nahezu komplett fehlt, zumal auch der designierte Starting Point Guard Reggie Jackson schon beinahe die gesamte Saison über fehlt.
In Zahlen: Detroit weist über die Saison ein Offensiv-Rating von 109,2 auf, was für Platz 16 in der NBA reicht. In den Minuten mit Rose liegt dieser Wert aber bei 111, ohne ihn sind es bloß 104,6 Punkte pro 100 Ballbesitze. Das ist grob gesagt der Unterschied zwischen Denvers sechstbester Offense und dem Angriff der New York Knicks, die Platz 27 in der NBA einnehmen.
Rose verantwortet diesen Unterschied nicht komplett, er hat jedoch einen großen Anteil daran, weshalb Head Coach Dwane Casey regelmäßig Fragen beantworten muss, warum sein derzeit bester Offensiv-Spieler denn nicht mehr eingesetzt wird. Dies komme jedoch nicht in Frage, zumindest nicht dauerhaft, wie Casey immer wieder betont.
Derrick Rose: "Das Feld ist offen"
"Er hat einen Rhythmus gefunden und versteht, wie wir stehen und wie es mit seinen Minuten aussieht", sagte Casey kürzlich. "Es gab Spiele, in denen wir seine Minuten ein wenig hochgefahren haben, aber wir wissen, wie sein Körper aussieht und was er tun kann. Es gibt Tage, an denen er etwas mehr spielen kann. Aber langfristig ist das nicht gut für ihn."
Rose ist in Detroit folglich ein Kurzarbeiter, wie auch schon vergangene Saison in Minnesota, bevor er sich dort verletzte, diese Rolle steht ihm jedoch zunehmend gut. Mit der Second Unit Detroits kann er sich primär auf seine größte Stärke, den Drive, konzentrieren, und besticht darin: Trotz der geringen Minutenzahl verzeichnet er die elftmeisten Drives der NBA (16,5) und trifft seine Würfe aus dem Drive mit 56,8 Prozent, ein Top-5-Wert in dieser Saison.
"Das Feld ist offen", sagte Rose selbst dazu. "Wenn sie unter dem Screen durchgehen würden, würde ich viel mehr von draußen werfen. Aber so, wie ich verteidigt werde, ist der Drive offen. Und das ist meine Natur. Ich bin ein Driver. Ich nehme einfach das, was das Spiel mir gibt."
Die Pistons bieten Spacing für Derrick Rose
Rose fühlt sich offensiv vor allem dann pudelwohl, wenn die Pistons viel Shooting um ihn herum platzieren, etwa durch Luke Kennard, Markieff Morris, Svi Mykhailiuk oder Tony Snell - auch wenn es Detroit in dieser Saison an vielem fehlt, Spacing ist gegeben und nur drei Teams treffen hochprozentiger von draußen (37,2 Prozent Dreierquote).
Für einen noch immer pfeilschnellen und kreativen Athleten wie Rose bietet das ziemlich ideale Voraussetzungen. Seine starken individuellen Leistungen haben ihn daher sogar in die frühe Konversation um den Sixth Man of the Year gebracht - auch wenn er davon selbst nichts wissen will: "Nein, wir verlieren zu viel. Da ist es hart, solche verrückten Erwartungen zu haben", sagte Rose, wohl richtigerweise.
Was passiert mit Derrick Rose?
Nun stellt sich die Frage, ob und wann sich daran etwas ändern wird. Sollte Drummond wirklich getradet werden, ist ein Rebuild wohl unausweichlich und angesichts der Qualität im Kader auch folgerichtig. Rose wäre dann mit seinen jetzigen Leistungen ebenfalls ein logischer Trade-Kandidat, zumal er mit seinem Gehalt (rund 7,5 Mio. Dollar in dieser und der nächsten Saison) viel leichter an den Mann zu bringen wäre als Großverdiener Drummond.
Er müsste diesen Schritt aber wohl selbst fordern: Rose wechselte im Sommer unter anderem deshalb nach Detroit, weil dort in Arn Tellem sein früherer Agent im Front Office sitzt, und die Pistons würden ihn laut Bleacher Report nur dann abgeben, wenn dies sein ausdrücklicher Wunsch ist.
Bisher soll Rose nichts in dieser Hinsicht formuliert haben, und auch das ist verständlich: In den vergangenen fünf Jahren spielte der 31-Jährige für fünf verschiedene Teams. In Detroit fühlt er sich offensichtlich wohl, es gibt eine Vertrauensbasis - gerade nach seinen turbulenten Jahren ist das mit Sicherheit nicht zu unterschätzen.
Wird Derrick Rose ein All-Star?
Zumal: Seiner Popularität schadet der Misserfolg der Pistons keineswegs. Rose hat beim Fan-Voting unter allen Guards im Osten bisher die viertmeisten Stimmen bekommen, und auch wenn er wohl nicht beim All-Star Game in Chicago auflaufen wird, ist er bei dem Wochenende in seiner Heimat definitiv vertreten. Eine Einladung zur Skills Challenge soll Rose bereits akzeptiert haben.
Das wäre zwar nicht die Art von Event, für die Rose einst "vorgesehen" war, ebenso wenig wie die Rolle, die er derzeit ausfüllt, so für ihn geplant war. Wie so oft zeigt sich hier jedoch, dass alles eine Frage der Perspektive ist - selbst die NBA-Zukunft stand für Rose vor nicht allzu langer Zeit noch auf dem Spiel. Jetzt hat er die Kontrolle darüber zurückgewonnen.