NBA

Piraten-Paule und die Leichtmatrosen

Paul Zipser geht in seine zweite Saison bei den Chicago Bulls
© getty

Die Chicago Bulls stolperten in dieser Offseason mehr schlecht als recht in einen Rebuild. Auch für Paul Zipser bedeutet das ein neues Abenteuer, da das Fahrwasser nur wenig ruhiger wird.

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Die Transaktionen der Chicago Bulls

Zwei der drei Alphatiere sind weg. Chicago entschied sich, Rajon Rondo zu entlassen anstatt die 13,4 Millionen schwere Teamoption zu ziehen. Jimmy Butler wurde nach monatelangen Spekulationen am Draft-Tag zusammen mit dem 16. Pick (Justin Patton) zu den Timberwolves getradet. Dafür kamen Zach LaVine, Kris Dunn und der siebte Pick des Drafts, mit dem die Bulls Lauri Markkanen zogen.

Cristiano Felicio erhielt einen neuen Vertrag, der ihm über die kommenden vier Jahre 32 Millionen Dollar einbringen wird.

Der einzige Free Agent, der in die Windy City umziehen wird, hört auf den Namen Justin Holiday. Der Rückkehrer, der im Trade um Derrick Rose mit zu den New York Knicks verschifft wurde, unterschrieb einen Vertrag über zwei Jahre und 9 Millionen Dollar.

Joffrey Lauvergne durfte ebenso gehen wie Michael Carter-Williams und Anthony Morrow. Isaiah Canaan wurde entlassen. Das gleiche Schicksal ereilte Daniel Nwaba bei den Los Angeles Lakers - Chicago griff zu und sicherte sich den jungen Flügelspieler von der Waiver-Liste.

Antonio Blakeney und Ryan Arcidiocono erhalten die Chance, sich mit Two-Way-Contracts zu beweisen.

Die Zukunft von Nikola Mirotic ist noch ungeklärt. Die Bulls würden den Shooter gern halten, General Manager Gar Foreman glaubt an eine Unterschrift. Abwegig ist das nicht, denn aufgrund der Inkonstanz gab es keinen wirklichen Markt für den Restricted Free Agent.

Dwyane Wade zog seine Spieleroption in Höhe von 23,8 Millionen Dollar und bleibt dem Team damit - zumindest vorerst - als nun alleiniger Veteran und Leader erhalten.

Die Strategie der Chicago Bulls

Die Bulls waren nach einer Saison voller unerfüllter Hoffnungen zu einer Veränderung gezwungen. Die Kombination der drei Granden Wade, Bulter und Rondo funktionierte so gut, dass sie sich häufiger abseits des Courts angingen als gemeinsam auf dem Platz zauberten.

Für die unruhige Situation spielte Paul Zipser eine erstaunliche Rookie-Saison. Der Heidelberger bestritt als Zweitrundenpick 44 Partien, 18 Mal durfte er starten. In den Playoffs steigerte er sich im Vergleich zur Regular Season sogar noch und legte 7,3 Punkte (38 Prozent Dreier) und 3,5 Rebounds in rund 23 Spielminuten auf.

Die überraschende Wechsel-Bereitschaft von Wade im vergangenen Sommer hatte den Umbruch in Chicago im Prinzip nur herausgezögert. Die ständigen Spekulationen um die Zukunft von Butler taten der Organisation nicht gut. Zu keiner Zeit konnte die Truppe ihr Potenzial entfalten.

Nun haben die Bulls alles umgeworfen und streben den kompletten Rebuild an. Mit Butler trennten sie sich bewusst von einem der besten Two-Way-Player der Liga. Trotz des langfristigen Vertrags bekam Chicago aber vergleichsweise wenig für seinen Star. Das ein oder andere Asset mehr wäre sicher drin gewesen.

Das Prinzip der Offseason hieß: Alles muss raus. Eine Vertragsverlängerung und lediglich ein kleiner Free Agent - defensiver ging es kaum. Nicht einmal beim Salary Dump wollte Chicago helfen und nahm keine dicken Verträge anderer Teams auf, um sich dadurch zukünftige Picks zu sichern.

In dieser Hinsicht sind die Bulls zudem nicht gerade gut aufgestellt, was einen schnellen Rebuild erschwert. Sie besitzen keine zusätzlichen Draft-Möglichkeiten, müssen aber ihre Zweitrundenpicks 2018 und 2019 abgeben.

Das umstrittene Führungs-Duo Forman/John Paxson setzt nun auf die Jugend und gibt Fred Hoiberg damit erstmals die Möglichkeit, beim Aufbau seines eigenen Teams mitzuwirken. Chicago hat eines der jüngsten Roster der Liga und hofft auf Entwicklung.

Die Schwachstellen der Chicago Bulls

Logischerweise mangelt es dem Team an Erfahrung. Einzig Robin Lopez kann man neben Kapitän Wade noch als Veteranen bezeichnen. Es stellt sich aber die Frage, wann jener das sinkende Bulls-Schiff verlässt. Nicht, ob.

Die Fans in Chicago waren not unbedingt amused darüber, dass Wade seine Spieleroption zog, doch bei dem Gehalt war das mehr als verständlich. Bisher verweigert das Management Buyout-Gespräche, doch vermutlich wird die Ära Wade spätestens zur Deadline wieder beendet sein.

Doch selbst, wenn der Alt-Star bis Februar bleiben sollte - Wade kann nicht allen Spielern gleichzeitig seine Erfahrungen von drei Championships weitergeben. Immerhin wurde die Anzahl der Leader auf eins reduziert.

Das schwache Shooting von Downtown konnten die Bulls mit der Verpflichtung von Holiday, der in New York eine überzeugende Saison gespielt hat, ein wenig verbessern. Ohne Rondo und MCW gibt es zudem zwei Wurfverweigerer weniger im Team.

Sowohl Cameron Payne als auch Jerian Grant sind bisher den Beweis schuldig geblieben, dass sie als Backup auf der Eins NBA-Qualität haben.

Es wird keine leichte Aufgabe für den zurückhaltenden Hoiberg, der Mannschaft eine Identität zu verleihen. Vor allem, wenn alle Protagonisten parallel zur Team-Entwicklung nach individueller Verbesserung streben.

Der Hoffnungsträger der Chicago Bulls

Zach LaVine. In Minnesota hat LaVine eine erstaunliche Entwicklung hingelegt und der Konkurrenz bewiesen, dass er weit mehr als fliegen kann. In den meisten Kategorien steigerte sich der zweifache Dunk-Champion und legte vergangene Saison 18,9 Punkte, 3,4 Rebounds und 3,0 Assists auf.

LaVine ist erst 22 Jahre alt, hat noch einiges vor- und Potenzial in sich. Allerdings wird er nach seinem Kreuzbandriss im Februar weder zum Training Camp noch zum Saisonstart fit sein. Vielleicht nicht einmal vor 2018.

In Chicago wird man sich noch viel zu gut an den Karriere- (und Reha)verlauf von Derrick Rose nach dessen Kreuzbandriss erinnern. Hoffentlich sind die bestehenden Zweifel, ob LaVine seine Spritzigkeit behält, unbegründet.

In seiner Abwesenheit werden die Fans genau beobachten, ob Dunn nach seiner durchwachsenen Rookie-Saison im hohen Norden einen Schritt nach vorn machen kann und ob der finnische Neuling Markkanen wirklich der nächste Dirk Nowitzki ist. Spoiler: Er ist es nicht.

Das Fazit

Die Bulls haben sich in eine Situation hineinmanövriert, in der der Rebuild unvermeidlich und das einzig Richtige war. Der Butler-Trade allerdings hemmt die Entwicklungsmöglichkeit, war er doch eine weggeworfene Gelegenheit, sich für die Zukunft deutlich besser aufzustellen. Unvorstellbar, dass Gar/Pax in den letzten zwölf Monaten kein höherwertiges Angebot vorliegen hatten.

Erst mit dem Abschied von Wade wird der Umbruch dann komplettiert. Das üppige Salär tut Chicago aber angesichts der aktuellen Situation nicht sehr weh.

So lange, bis Mirotic ein neues Arbeitspapier unterschrieben hat, ist Zipser der einzige nominelle Small Forward im Kader. Das kann ein Vorteil sein, doch die Flügel-Minuten wird er sich ohnehin mit Wade, Denzel Valentine und Holiday teilen. Auf der Vier geht die Spielzeit eher an Portis und Markkanen.

Gelingt es Paule, die 3-and-D-Rolle besser auszufüllen als Holiday und Valentines Playmaking-Skills in den Schatten zu stellen, winkt ihm bis zur Rückkehr von LaVine vielleicht sogar die kontinuierliche Rolle als Starter.

Dass Zipser bei der Summer League in Las Vegas mit einer Knöchelverletzung zu kämpfen hatte, macht es für ihn bei der Fahrt in sein neues Abenteuer nicht wirklich einfacher.

Doch wie schon vergangene Saison könnte Paule der Konkurrenzkampf im nicht mehr tosenden, aber dennoch unruhigen Fahrwasser der Franchise zugutekommen. Die Möglichkeit, sich gegen die anderen, ebenfalls unerfahrenen Leichtmatrosen durchzusetzen, ist durchaus vorhanden. Messer zwischen die Zähne und Attacke!

Die Note: 5+

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