Anthony Davis sitzt am 1. November in der Umkleide vor seinem Spind und ist umringt von Reportern. Kein Wunder: Er hat mit 35 Punkten, 15 Rebounds, 3 Steals und 3 Blocks ein Megaspiel gegen die Milwaukee Bucks hingelegt. Dennoch sieht er nicht glücklich aus.
Warum sollte er auch? Seine Pelicans haben die ersten vier Spiele der Saison verloren, drei davon zuhause. Und das, obwohl Davis in diesem Zeitraum durchschnittlich 37 Punkte, 13,3 Rebounds, 3 Steals und 3 Blocks pro Spiel erzielt. Die Frustration steht ihm ins Gesicht geschrieben: Er wirkt abwesend und sieht die Journalisten nicht einmal an. Seine Nase ist gerötet und die Augen glasig, fast so, als ob der Big Man gerade geweint hätte. Man könnte es verstehen.
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"Es ist definitiv frustrierend. Wir können einfach nicht gewinnen", erklärte der gebürtige Chicagoer. Doch die Pleitenserie hat gerade erst angefangen: Sein Team wird die weiteren vier Spiele der Saison verlieren und mit einer katastrophalen 0-8-Bilanz starten.
Doch spulen wir knapp vier Wochen vor, zum Postgame-Interview nach einem Sieg der Pelicans über die Lakers. Davis ist wie ausgewechselt: Er lacht und scherzt mit den Reportern, ist ausgelassen und wirkt hoffnungsvoll, während er über den Sieg spricht. Was war passiert?
Jrue is back!
Jrue Holiday war passiert. Nachdem der Point Guard die ersten zwölf Einsätze verpasst hatte, um sich um seine schwangere Frau zu kümmern, die wegen eines Hirntumors operiert werden musste, kehrte er am 18. November gegen Portland zurück. Und siehe da: Die Pels durften ein dickes W in ihren Kalender eintragen.
Seit der Rückkehr des 26-Jährigen weisen sie eine positive Bilanz auf (5-4). Mit 15,4 Punkten, 6,1 Assists und einer Wurfquote von 46,2 Prozent aus dem Feld ist Holiday sehr ordentlich in die Saison gestartet, wovon natürlich auch das Team und die Braue profitieren.
Offensiv- und Defensiv-Rating sind um 4 beziehungsweise 3 Punkte besser geworden, zudem stieg die Dreierquote in den letzten sieben Spiele von miserablen 29,3 Prozent (30. Rang) auf respektable 36,5 (8. Rang).
Im Passspiel hat sich auch etwas getan: Die Nummer der Assists ging mit Jrue von 22 auf 24.5 pro pro Spiel hoch, während die Turnover-Anzahl von 13.1 auf 11.5 pro Spiel sank. Beides sind Werte, die im oberen Drittel der Liga anzusiedeln sind.
Nötige Verstärkung für den Franchise-Player
Kein Wunder, dass sich Head Caoch Alvin Gentry über Holidays Rückkehr freut: "Er hat durch sein Scoring viel Druck von Davis genommen. Er ist ein Spieler, den man am Ende des Spiels den Ball geben kann." Auch Holiday selber war heilfroh, wieder auf dem Platz zu stehen: "Ich freue mich sehr. Meine Teammitglieder waren in dieser schweren Zeit immer da für mich. Zurückzukommen und so für sie zu kämpfen - darüber bin ich sehr glücklich."
Als Zweitoption zieht er im Angriff die Aufmerksamkeit der Gegner auf sich und nimmt damit gleichzeitig viel Druck von der Braue. Wie wichtig eine brauchbare Unterstützung für Davis ist, zeigt folgende Statistik: Die Pelicans konnten sieben von zehn Spielen gewinnen, sobald ein Mitspieler von Davis die 20-Punkte-Marke knackt. Genau das war in den vergangenen beiden Spielen aber mal wieder nicht der Fall - und prompt hagelte es zwei Niederlagen. Die Gegner waren mit den Clippers und Thunder allerdings hochkarätig.
Historische Saison der Monobraue
Holiday hin oder her, bester Spieler und Schlüssel zum Erfolg ist und bleibt selbstverständlich AD. Mit 23 Jahren schreibt der Big Man fast täglich Geschichte und holt 40 Punkte samt 15 Rebounds, als ob es das einfachste der Welt wäre. Er ist ohne Frage ein Mitfavorit im MVP-Rennen, sofern es die Pelicans schaffen, irgendwie zurück ins Playoff-Rennen zu kommen beziehungsweise eine positive Bilanz aufzuweisen. Der letzte MVP eines Teams unter .500 war Kareem Abdul-Jabbar 1975/76, als er mit seinen Lakers 40 Siege einfahren konnte und die Playoffs nur von der Couch aus verfolgen konnte.
Davis ist in dieser Saison der Einzige, der in einem Match 40+ Punkte und 15+ Rebounds auflegte- und das bereits drei Mal! Sein wohl bestes Spiel kam gegen die jungen Nuggets aus Denver mit 50 Zählern, 15 Rebounds, 5 Vorlagen, 4 Blocks und 5 Steals.
Wenn er sein PER von 31,8 halten kann, würde er die statistisch effizienteste Saison seit Wilt Chamberlain spielen - und das in einer Ära, die vom durchschnittlichen Spielniveau deutlich höher ist.
Immer Richtung Postseason
Doch was ist das überhaupt wert? Trotz eines schwachen Saisonstarts ist eine Teilnahme an der Postseason theoretisch noch möglich. Der Westen hat zwar viele Topteams, doch unten herum ist er etwas schwächer als der Osten. So konnte sich Houston letztes Jahr mit 41 Siegen auf den achten Platz schleichen.
Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Pels dank einer Monster-Saison von Anthony Davis als Tabellenachter in die Playoffs schleppen. 2015 gelang es ihnen schon einmal, allerdings war erwartungsgemäß in der ersten Runde gegen die Warriors Schluss.
Dieses Erfolgserlebnis war dem Front Office allerdings nicht genug. Coach Monty Williams wurde gefeuert und durch Gentry ersetzt, der - das unglaubliche Verletzungspech richtete sein Zerstörungswerk an - nicht an die Erfolge seines Vorgängers anknüpfen konnte. Fragwürdige Roster-Moves taten ihr Übriges, man nehme den Vertrag von Omer Asik (5 Jahre, 57 Millionen).
"AD nur ein guter Spieler"
Die letzte Saison war also ein klarer Rückschritt. Um dahin zurückzukommen, wo die Pels einst waren, braucht es mehr als einen Davis in Überform. "Er kann uns nicht alleine schlagen", erkannte auch Enes Kanter nach dem jüngsten Sieg seiner Thunder über New Orleans.
Der Türke konnte sich auch eine Spitze in Richtung AD nicht verkneifen: "Nur ganz spezielle Spieler können eine Partie ganz alleine entscheiden. Russell Westbrook ist so einer. Er hat nicht nur die Stats, sondern macht seine Mitspieler besser. Ich will nichts Schlechtes über Davis sagen. Doch er ist einfach nur ein guter Spieler. Das war's aber auch."
Leider hat es der Kritisierte nicht immer selbst in der Hand, um solche Meinungen zu ändern. In der Zukunft sind seine Kollegen gefragt - unter anderem Jrue Holiday und die Entscheidungsträger im Büro.