"Ich will MVP werden", beantwortete Lillard Ende Oktober in gewohnt selbstbewusster Manier die Frage nach seinem Ziel für die anstehende Saison. In einer Liga, in der LeBron James, Kevin Durant, Kawhi Leonard, James Harden oder andere Point Guards wie Steph Curry und Russell Westbrook Nacht für Nacht Traum-Statistiken auflegen, klingt dies im ersten Moment wie ein etwas zu hochgestecktes Ziel. Doch das Small-School-Product ist nicht der Einzige, der von sich überzeugt ist.
Auch Warriors-Coach Steve Kerr hat vor Saisonbeginn die Äußerung getätigt, die Scoring-Maschine des Conference-Rivalen als wertvollsten Spieler auf seinem Zettel zu haben: "Ich denke, KD wird ein paar Stimmen von Steph und ein paar von LeBron wegnehmen und dann wird Damian Lillard die Wahl gewinnen. Das ist meine Vorhersage."
Wirklich? Noch im Februar des Jahres wurde der Aufbauspieler der Portland Trail Blazers beim Voting für das All-Star-Game in Toronto ignoriert und keine zwölf Monate später befindet er sich im MVP-Rennen? Zumindest ungerechtfertigt ist diese Prognose nicht, denn: Damian Lillard ist ein Mann auf einer Mission.
Career Highs ohne Ende
Über die ersten elf Spiele legte Dame Karrierebestwerte in Punkten (30,7) Feldwurfquote (48,8), Freiwurfquote (91,0) und Rebounds (5,0) auf. Am gravierendsten ist jedoch die weitere Verbesserung im Drive: Knapp dreimal mehr als im letzten Jahr zieht Portlands "Letter O" (Spitzname, mit dem Lillard in Portlands Moda Center ausgerufen wird) zum Korb. Das bringt ihm 10,1 Freiwurfversuche pro Spiel ein. Damit erhält er vier Versuche mehr, einfache Punkte von der Linie einzufahren, als in der vergangenen Saison.
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Zugegebenermaßen hat Lillard noch nie Probleme damit gehabt, den Korb zu attackieren. Doch scheint er in dieser Saison eine weitaus bessere Balance zwischen dem Drive und seinem Wurf aus der Distanz gefunden zu haben.
Nummer zwei
Wo eine höhere Versuchsrate normalerweise die Effizienz eines Schützen verringert, trifft Lillard nach Penetration mit knapp 70 Prozent ein weiteres Career High. Nur DeMar DeRozan macht ligaweit mehr Punkte aus dem Drive.
In sieben von elf Spielen hat der Leader der Blazers die 30-Punkte-Marke geknackt und im ersten Duell mit Denver gleich zweimal seine altbekannten Clutch-Fähigkeiten unter Beweis gestellt. Doch werden Lillards Playmaking-Skills gerne übersehen.
Die Rollenspieler in Portland gehören wahrlich nicht zur Elite der Liga und verfügen über limitierte Möglichkeiten. Lillard kennt die jeweiligen Stärken und lässt Spieler wie Mason Plumlee, Maurice Harkless oder Al-Farouq Aminu wie solide NBA-Starter aussehen.
Der neue "The Logo"?
Lillard hat eine extrem große Reichweite. Der Mann aus Oakland nimmt den Dreier auch vom Logo kurz hinter der Mittellinie. Erfolgreich, wie er jüngst mehrfach (die Fans der Mavs und Grizzlies werden es wissen) unter Beweis gestellt hat.
"Ich war schon immer in der Lage von weit draußen zu treffen", äußerte sich Lillard zu seinen weiten Würfen: "Ich habe die Distanz im Gefühl und es ist nicht viel schwieriger für mich als die näheren Dreier zu treffen."
Genau diese Reichweite hat zur Folge, dass gegnerische Verteidiger den Guard bereits ab der Mittellinie verteidigen müssen und sich dadurch Möglichkeiten für ihn und seine Mitspieler bieten. "Wenn sie mich weiter draußen aufnehmen, gibt mir das mehr Raum, an ihnen vorbeizugehen und den Big Man zu attackieren", erklärte Lillard die Vorteile seiner Shooting-Range.
Der beste Backcourt?
Entlastung erhält Lillard offensiv von seinem Backcourt Partner C.J. McCollum. Der MIP des vergangenen Jahres ist der einzige, auf den die Mannschaft von Coach Terry Stotts hoffen kann, wenn Dame mal aus dem Rhythmus kommt.
Denn wenn Lillard nicht in Form ist, geht Portland als Verlierer vom Parkett. So gaben die Blazers bislang alle vier Spiele ab, bei denen Lillard ein negatives Plus-Minus-Rating hatte.
Das Guard-Duo sorgte in den ersten elf Spielen für sagenhafte 52,8 von Portlands 108,7 Punkten. Im Vergleich dazu: Das Warriors-Duo Curry und Klay Thompson erzielte in der historischen 73-Siege-Saison 52,2 Punkte pro Spiel.
Kann Lillard Defense?
Wo Lillards Offense glänzt, bleibt er in der Defensive weiterhin inkonstant. Zu häufig wendet er in der Off-Ball-Defense den Blick von seinem Gegenspieler ab um auf einen Steal des Passes zu spekulieren. So verpasst er hin und wieder schnelle Cuts seines Mannes.
Die Pick-and-Roll-Verteidigung hat sich hingegen verbessert. Seltener verliert Dame seinen Mann im Pick, was für die jungen Big Men der Blazers eine enorme Hilfe darstellt. Außerdem ist er stark genug, um sich nach dem Switch auch gegen Forward-Positionen nicht durch die Zone schubsen zu lassen.
Im Eins-gegen-Eins verteidigt Lillard inzwischen sogar mehr als ordentlich. Er kann schnellere Gegner in ihre ungeliebte Richtung und zu schwierigen Fadeaways oder Step-Back-Jumpern zwingen. Er erkennt Passwege, stellt diese zu und ist in der Help-Defense zur Stelle. All dies sind Aktionen, die nicht zwangsläufig durch Statistiken erfasst werden.
Mit 112 ist Lillards Defensive Rating noch weit von der 89,7-Marke entfernt, die ein Chris Paul auflegt, doch hängt dies auch mit seinem Supporting Cast zusammen. Portlands Verteidigung ist die viertschlechteste der Liga. Mentale Aussetzer stehen ihm zwar des Öfteren im Wege, doch Portlands Franchise Player ist - entgegen seines schlechten Rufs - durchaus in der Lage, zu verteidigen.
Schon immer Underdog
Apropos Ruf: Lillard hat über seine Karriere gesehen schon immer mit der Rolle des Underdogs zu kämpfen gehabt. Ob als übersehener Spieler in der High School, der im kleinen College Weber State landete, als Nummer sechs im schwachen Draft von 2012 oder jetzt, wo er sich im vom Rest der Liga weit abgelegenen Portland still und heimlich zum Elite-Point-Guard entwickelt.
So wurde der Social-Media-affine Teilzeit-Rapper noch nie in ein All-Star-Team gewählt, weder von den Fans noch von den Coaches. Seine beiden All-Star-Auftritte 2014 und 2015 kamen als Nachnominierung aufgrund von Verletzungen anderer Stars.
Dementsprechend gilt Lillard auch im MVP-Rennen als krasser Außenseiter. Auch, wenn Curry die heroischen Leistungen des vergangenen Jahres nicht bestätigen kann und er einige Stimmen an Warriors-Neuzugang Durant verlieren könnte, gibt es da immer noch LeBron, RW0 und The Beard.
Hohe Hürden
Um ernsthaft ein Teil der Diskussion um den wertvollsten Spieler der Liga zu werden, müsste Lillard die Trail Blazers wohl mindestens in die Top 3 der Western Conference führen. Derzeit steht man mit einer Bilanz von sieben Siegen bei vier Niederlagen auf Platz fünf.
Allein dieses Unterfangen scheint durch die limitierte Stärke des letzten verbliebenen Teams im hohen Nord-Westen und der Konkurrenz aus Golden State, San Antonio und L.A. schwer machbar.
Bestätigt Lillard allerdings seine Produktion und arbeitet an den defensiven Stellschrauben so hart, wie an seiner Musikkarriere, so gehört "Dame D.O.L.L.A" endgültig zu den Besten der Besten. Er könnte Portlands erster MVP seit Bill Walton 1977/78 werden. Nach dem Vater von Lakers-Coach Luke hat Lillard übrigens auch einen Song seines neuen Albums benannt. Wenn das mal kein Zufall ist...