Wer die Geschichte der Warriors in den letzten Jahren verfolgt hat, wird schon gemerkt haben, dass der Champ über einen ziemlich außergewöhnlichen Point Guard verfügt, der ganz allein Spiele entscheiden kann. Seine Brillanz ist kaum zu übersehen. Nachzufragen unter anderem bei den Oklahoma City Thunder, wo die Erinnerungen an Stephen Curry und Klay Thompson noch relativ frisch sein dürften.
Nun wurde Stephen Curry vor dem Finals-Rematch etliche Male auf sein Duell mit LeBron James angesprochen. Es ist natürlich nur logisch, dass die Augen auf die beiden derzeit wohl besten Basketballern des Planeten gerichtet sind. Doch Curry hatte sich schon im Vorfeld genervt gezeigt von dem Fokus auf einzelne Personen.
"Ich will auch LeBrons Thron nicht oder was auch immer. Ich versuche, Ringe zu holen und das ist es, worum es mir geht. Alles andere ist nicht relevant", meinte Curry kurz vor dem ersten Spiel der Finals und versuchte damit, das Augenmerk von seiner Person wegzulenken. Nicht er alleine hole Ringe, sondern sein geniales Team. Das wird der zweifache MVP nie müde zu betonen.
Eine Bank für alle Fälle
Wer die Geschichte der Warriors etwas intensiver verfolgt hat, der wird schon gewusst haben, dass dieses Team eben nicht nur aus Curry, Thompson oder Draymond Green besteht, dass es viel mehr ist als seine hervorstechenden Einzelteile. Wer sich dessen noch nicht bewusst war, bekam im ersten Spiel der NBA Finals einen beeindruckenden Beweis dafür geliefert, dass Warriors-Basketball Teamgeist bedeutet.
In einem Spiel, in dem Curry und Thompson zusammen so wenige Punkte auflegten wie zuletzt vor über zwei Jahren, bezwang der Champion trotzdem die Cavaliers. Die die beiden Stars merkten schnell genug, dass für sie an diesem Abend nicht viel drin sein sollte und Chef Curry übergab deswegen zügig an seine Hilfsköche.
"Wir reden schon seit zwei Jahren über unsere Tiefe im Kader. Wir können uns auf so viele Leute verlassen. Das hat man heute gesehen", offenbarte Head Coach Steve Kerr nach einem Spiel, in dem seine Second Unit soeben mit 45 Punkten geglänzt hatte und die Warriors immer wieder zum genau richtigen Zeitpunkt in Front gebracht hatte.
"Es war ein merkwürdiger Abend"
Es war relativ bald klar, dass die Cavaliers ihren Fokus in der Defensive komplett auf die beiden Warriors-Guards legten. Cleveland wollte erzwingen, dass die restlichen Spieler des Champs das Spiel gewannen, Thompson und Curry sollten es jedenfalls nicht sein. Eine Taktik, welche die Cavs schon über weite Teile der letztjährigen Finals angewandt hatten und welche in diesem Jahr zunächst schiefgehen sollte, weil die anderen Warriors eben bewiesen, dass auch sie Spiele gewinnen können.
Angefangen von Shaun Livingston, der vor nicht allzu langer Zeit noch kurz davor war, Sportinvalide zu werden, nun aber stattdessen persönliche Playoffrekorde aufstellt und Teams wie die Cavs vor schier unlösbare Probleme stellt. Über Leandro Barbosa, der bald 34 Jahre alt wird, während des Spiels dauernd am Rücken behandelt werden musste und trotzdem eine perfekte Trefferquote aufwies. Auch der bei den Cavs ausgemusterte Anderson Varejao sowie Festus Ezeli leisteten ihren Beitrag dazu, dass auch ohne den Chef fleißig gekocht wurde.
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Sieben Spieler punkteten zweistellig bei Golden State, Klay Thompson war nicht einmal dabei. 35 Punkte mehr als die Bank des Gegners erzielte die Second Unit der Warriors, auch das ist ein Rekord in dieser Saison. "Es war ein merkwürdiger Abend für mich, aber es hat auch unglaublich viel Spaß gemacht, meinen Kollegen zuzusehen, wie sie alles gemacht haben und uns den Sieg geholt haben", stellte Curry nach dem Spiel fest.
Es war auch deshalb ein merkwürdiger Abend, weil die Dubs entgegen der sonstigen Gewohnheiten kaum Gefahr aus der Distanz ausstrahlten und auch gar nicht allzu oft abdrückten. Es war ein Spiel, ganz nach dem Geschmack von Charles Barkley, mit mehr Action in der Zone und harten Fights um den Rebound. Ein Spiel, das wie gemacht war für Livingston und Andre Iguodala, die aus dem überragenden Bench Mob noch einmal herausstachen.
James lobt Livingston
Plus-Minus-Ratings sind nicht immer wirklich aussagekräftig. In diesem Spiel waren sie es. Dass ausgerechnet Iguodala (+21) und Livingston (+20) hier die mit Abstand besten Werte vorwiesen, kam nicht von ungefähr. Sie waren die beiden Spieler, die die entscheidenden Runs der Warriors im zweiten und letzten Viertel initiierten.
Livingston glänzte dabei vor allem offensiv, was später auch LeBron James lobend herausstellte. "Der Spielball geht an ihn. Er hat ihnen richtig viel Schwung gegeben", so der Cavs-Star. Gegen die Länge des Point Guards und dessen Turnaround Jumper hatte Cleveland einfach kein Mittel. "Shaun ist jemand, der schon so viel mehr Dinge erlebt und überwunden hat, als einfach nur ein Spiel an sich zu reißen", meinte der ebenfalls bärenstarke Draymond Green beinahe lapidar.
Auf der Gegenseite war Iguodala genau das richtige Mittel gegen die Dominanz von James, der anfangs noch Katz und Maus mit dem schmächtigeren Barnes gespielt hatte, angesichts der Deckung von Iggy aber kaum noch an den Spalding kam. In den letzten 22 Plays wurde James von Iguodala gedeckt, wobei er in dieser Spanne lediglich zwei Feldwürfe abgab. Der Finals MVP sorgte für die nötige Energie und entnervte den viermaligen Most Valuable Player der Liga.
Kerr und die Taktiktafel
"Andre ist extrem klug. Er weiß genau, wann wir ihn am meisten brauchen und er ist der gerissenste Typ in unserem Team. Dazu hat er heute die wichtigen Würfe getroffen. Ihm gefällt seine Rolle", lobte Curry einen seiner exzellenten Hilfsköche im Anschluss. Er wusste selbst, wie viel er seinem Teamkollegen zu verdanken hatte, sorgte dieser doch für den nötigen Fokus auf Seiten der Dubs.
Das stellte auch Coach Kerr noch einmal heraus, der während des Spiels eines seiner Whiteboards zum Aufzeichnen der Spielzüge wütend mit einem Stift zerstört hatte, weil sein Team ohne Iggy und Livingston auf dem Feld nachlässig wurde.
"Wir haben nach der Halbzeit komplett den Fokus verloren. Wir waren plötzlich defensiv hilflos und haben den Vorsprung verspielt. Da habe ich den Frust am Whiteboard ausgelassen. Das ist besser als an den Spielern", meinte Kerr, um dann zu ergänzen: "Die Bank hat uns wieder zurückgeholt. Sie haben einen hervorragenden Job gemacht."
Zwei derartig schwache und unsichtbare Spiele der Splash Brothers hintereinander muss der Trainer dabei höchstwahrscheinlich nicht miterleben. Und wenn doch, weiß er ja selbst am besten, dass sein Team auch dann nicht verloren ist. Oder wie Matchwinner Livingston nach dem Spiel treffend formulierte: "Es könnte jeder von uns zuschlagen. An jedem Abend."