Achterbahn fahren ist nicht jedermanns Sache, viele Menschen sind mit dem gefühlten Verlust von Kontrolle und den schnellen Richtungs- und Steigungswechseln schlichtweg überfordert. Sie verfallen während der Fahrt entweder in panische Angst oder suchen im Anschluss geradewegs das nächste stille Örtchen, um den Mageninhalt loszuwerden.
Auch im Sport haben Achterbahnfahrten zumeist eine negative Konnotation. Sie stehen für fehlende sportliche Kontinuität, zuweilen sogar Planlosigkeit und treiben den gemeinen Fan gerne in den Wahnsinn. So wird grundsätzlich versucht, jenen Tendenzen aus dem Weg zu gehen, die Außenstehende an einen wilden Ritt auf Schienen erinnern. In Wisconsin ist das nicht anders, allerdings unter besonderen Voraussetzungen.
Spannendes Projekt
Denn die Milwaukee Bucks versuchen sich gerade an einem der spannendsten Projekte der NBA. Angeführt von Jungcoach Jason Kidd, rekrutierte die Franchise durch kluge Trades und intelligente Picks einen Kader, der vor Talent, Athletik und Länge nur so strotzt, aber auch unglaublich roh und unerfahren ist.
Speziell das Dreigestirn Giannis Antetokounmpo, Khris Middleton und Jabari Parker verspricht Conteder-Qualitäten und bildet einen Kern, der über Jahre das Gesicht der Franchise bilden kann. Gleichzeitig steht Milwaukee vor der Frage, welche Spieler die drei Heilsbringer auf dem Weg an die Spitze begleiten sollen und wie dieser Weg konkret aussehen könnte?
Bereits in der letzten Saison ließen die Bucks ihr Potenzial aufblitzen, bestachen vor allem mit ihrer knallharten Defense. Aus diesem Grund entschied sich Coach Kidd sogar zu dem Schritt, den formstarken Spielmacher Brandon Knight abzugeben und durch den deutlich unfertigeren, aber verteidigungstarken Michael Carter-Williams zu ersetzen. Wieder gewann der Kader an Länge und Athletik
Einleuchtende Idee
Die ersten Wochen und Monate nach dem Trade konnten als Erfolg gewertet werden, schließlich schaffte es das junge Team auf Platz sechs im Osten und damit sogar in die Playoffs. Doch so ganz wollten die Räder noch nicht ineinander greifen, zudem suchte man in Wisconsin sofort nach dem nächsten Update.
Big Man Greg Monroe konnte nach seiner Lehrlingszeit in Detroit für das spannende Projekt der Bucks gewonnen werden und wurde mit einem dreijährigen 51-Millionen-Dollar-Vertrag ausgestattet. Die Idee hinter der Verpflichtung las sich einleuchtend. Durch sein starkes Postgame sollte Monroe ein neues Element beisteuern und seine Defensivschwächen durch die übrigen Spieler aufgefangen werden.
Doch der Beginn der aktuellen Saison verlief nicht wie geplant. Vom Fleck weg hagelte es drei Niederlagen. Dies war der Startschuss zu einer Spielzeit, die mit dem Adjektiv 'unbeständig' perfekt umschrieben ist. Auf jede kleine Erfolgwelle wartete eine Reihe von Schlappen. Die längsten Serien: jeweils drei Niederlagen und drei Siege in Folge - im Sport eine klassische Achterbahnfahrt. So rückten vormalige Playoff-Hoffnungen mit aktuell Platz 12 im Osten und einer Bilanz von 26-31 in weite Ferne.
Monroe ist ein Problem
Die Defense schwächelte, die Offense kam nie so richtig in die Gänge. Besonders haperte es am Spacing. Kaum ein Dreier fand den Weg durch die Reuse, der Platz unter dem Korb wurde immer enger. Das Experiment mit Monroe offenbarte eklatante Schwächen. Nicht nur, dass Monroe weiterhin seine Probleme in der Defense hatte, er spielte ungern aus dem Pick'n'Roll, stellte Screens zumeist nur halbherzig.
Aber auch MCW wollte nicht so richtig in die Starting Five passen, da der Guard ohne Wurf offensiv einfach zu limitiert agierte. Nicht nur deshalb suchte Jabari Parker lange seinen Wurf, nachdem er zuvor fast die gesamte Rookie-Saison mit einem Kreuzbandriss ausgefallen war. Durch den geringen Platz um den Korb gab es nur selten Gelegenheiten, um sich in der Zone Selbstvertrauen für die Versuche aus der Mitteldistanz zu holen.
Der 9. Februar als Kehrtwende?
Vermutlich saßen Kidd und seine Kollegen bereits nächtelang im Büro zusammen, um eine Lösung für die angeführten Probleme zu finden, als der Coach schließlich eine einschneidende Veränderung in der Startaufstellung vornahm. Am 9. Februar gegen Boston staunten Experten und Fans nicht schlecht: Plötzlich standen O.J. Mayo und Miles Plumlee unter den ersten Fünf.
Ein Team aus zwei Shooting Guards, zwei Forwards und einem Center - wer sollte da den Spielaufbau übernehmen? Der erfahrene Mayo? Oder Distanzspezialist Middleton? Es wurde tatsächlich Giannis Antetokounmpo! Durch die Hereinnahme eines zusätzlichen Shooters, einem Big Men, der alleine über Screens und Dunks agiert, machte Kidd aus dem Griechen einen 2,11 Meter großen Albtraum für gegnerisch Point Guards.
Dieser Junge kann irgendwie alles
Denn eines stand bereits fest, als 'Greek Freak' das erste Mal ein NBA-Parkett betrat: Dieser Junge kann irgendwie alles mit dem Spalding. Und seine Versetzung beweist diese These eindrucksvoll. Zehn Spiele sind inzwischen ins Land gezogen, seit Kidd den waghalsigen Schachzug vornahm. Seitdem lesen sich die Zahlen von 'The Alphabet' auf All-Star-Niveau: 18,2 Punkte, 10,3 Rebounds, 6,3 Assists, dazu zwei Triple-Double.
Besonders im Fastbreak ist Antetokounmpo kaum in den Griff zu bekommen. Seine Größe, gepaart mit seinem Ballhandling, das ihm erlaubt, selbst in höchstem Tempo über den Court zu schreiten, macht es der gegnerischen Verteidigung nahezu unmöglich, das rasante Spiel des Griechen abzufangen.
Auch Kobe Bryant zeigte sich nach dem jüngsten Aufeinandertreffen mit den Bucks begeistert von den Fähigkeiten des 21-Jährigen: "Er hat die köperlichen Voraussetzungen und spielt sehr intelligent. Nun muss nur noch sein Selbstvertrauen für seine neue Rolle wachsen. Er hat das Talent, ein großartiger Spieler zu werden."
Dazu stehen vier weitere Spieler für Milwaukee auf dem Feld, die das Hardwood schnell überbrücken können und sich freudig für die präzisen Anspiele von Antetokounmpo anstellen. Bedingt durch seine Größe und die langen Arme kann er ohne Probleme das gesamte Feld überblicken.
Zahlen füttern die Maßnahmen
Das schlägt sich auch in den Zahlen seiner Kollegen nieder. Seit die 'Point-Guard-Ära' von Antetokounmpo begann, erzielte Parker im Schnitt knapp 20 Punkte pro Spiel und traf 53 Prozent FG aus dem Feld. Gleichzeitig profitiert er von der Herausnahme von Monroe und konnte seine Shooting Percentage unter dem Korb um fast 15 Prozent steigern, da nun mehr Platz für seine direkten Ring-Attacken zu Verfügung stehen.
"Manchmal musst du den jungen Spielern einfach etwas mehr Verantwortung schenken. Es ist immer ein Risiko, weil du willst, dass sie die Chance, die ihnen gegeben wird auch tatsächlich annehmen - aber diese Jungs tun es", freut sich Jason Kidd über den Effekt, den seine Lineup-Veränderungen erzielt haben.
Ohne Turnover zur Stammposition?
So ist es nicht unwahrscheinlich, dass Antetokounmpo auch auf Dauer seine neue Position begleiten wird. Mit einem Point Forward schafften es die Cleveland Cavaliers schließlich letztes Jahr noch in die Finals. Alleine die Turnover muss er noch in den Griff bekommen.
Der große Leidtragende dieser nachhaltigen Maßnahme scheint bisher kein Problem mit seiner neuen Rolle zu haben: "Meine Minuten haben sich gar nicht so kolossal geändert. Meine Zahlen sind konstant geblieben. Ich versuche weiterhin produktiv zu sein. Auch wenn die Leute denken, ich müsste starten, so will ich doch nur, dass wir gewinnen", erklärte Monroe vor wenigen Tagen.
Monroe stänkert nicht
Für den Big Man ist diese Veränderung ohnehin nicht grundsätzlich negativ zu sehen. Erstens konzentriert sich die Offensive der Bucks deutlich mehr auf den Anführer der Second Unit als es noch in der Starting Five der Fall war. Zweitens sind starke Center in der NBA rar gesät, besonders in der zweiten Garnitur eines Teams. So kann sich Monroe offensiv nach Lust und Laune austoben und hat defensiv weit weniger Probleme mit seinen Gegenspielern.
Trotzdem wissen die Bucks, dass diese Veränderung nur der erste Schritt sein kann. So überragend ist die Bilanz der letzten 10 Spiele auch nicht ausgefallen (6-4) und über 50 Millionen Dollar für den sechsten Mann rauszuhauen ist ein spürbares Pfund, das sich die notorisch sparsame Franchise eigentlich nicht erlauben kann.
Was passiert mit Howard?
Vielleicht war dies mit ein Grund dafür, weshalb sich Milwaukee nach weitläufigen Gerüchten um die Dienste von Dwight Howard bemüht haben soll. Der angefressene Rockets-Center hätte zwar ebenfalls seine Bälle unter dem Korb gebraucht, wäre allerdings deutlich effektiver im Setzen von Screens und im Abrollen. Dazu wäre alleine seine Defense ein klares Upgrade im Vergleich zu Monroe gewesen.
Nach dem Ablauf der Trade-Deadline könnte im Sommer der nächste Angriff auf Howard geplant werden, da auch der Center seine Bereitschaft für Gespräche erklärt haben soll. Abgesehen davon machen die Gedankenspiele der Bucks eines klar: man ist lernfähig in Wisconsin und scheut gleichzeitig nicht davor zurück, mutige Entscheidungen zu treffen.
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