Es gibt Szenen wie diese von Andre Drummond: Gegen die Bucks blockt er Jabari Parker beim Korbleger, auf der anderen Seite ist er als Erster vorne und verwandelt den Alley-Oop-Pass von Josh Smith. Der Pistons-Center ist einer der athletischsten Big Men der Liga, zeigt defensiv Präsenz und kann in der Offensive jeden Ball, den er in Korbnähe erreichen kann, durch die Reuse stopfen.
Doch es gibt auch Szenen von Drummond, in denen er in der Zone den Ball mit dem Rücken zum Korb bekommt und damit nichts anzufangen weiß. Schließlich versucht er sich an unzähligen unbeholfenen Pump-Fakes und nimmt dann - immer mit der rechten Hand - einen leicht zu verteidigenden Wurf.
Diese beiden Gesichter spiegeln sich im Vergleich der Saisonstatistiken wieder. Vergangenes Jahr traf Drummond 63 Prozent aus dem Feld. Dieses Jahr sind es 46,4 Prozent. Erstmals ist seine Freiwurfquote (46,3 Prozent) auf dem Niveau seiner Feldwurfquote - in diesem Fall ein zweifelhafter Erfolg. Folglich kommt er dieses Jahr nur auf 11,2 Punkte im Schnitt - vergangene Saison waren es 13,5 bei etwas weniger Wurfversuchen pro Spiel. Seine Einsatzzeit ging um vier Minuten zurück, sein PER liegt bei 15,44 im Vergleich zu 22.7 in der vergangenen Saison. Was ist passiert?
Chaos in der Offensive - trotz SVG
Zunächst einmal ist ein neuer Trainer passiert. Stan van Gundy übernahm vor der Saison das Ruder und agiert nicht nur als Head Coach, sondern auch als President of Basketball Operations und erhoffter Heilsbringer in Motor City. Endlich würde Ruhe einkehren bei den Pistons, so dachte man. Die jungen Spieler können sich entwickeln, da nach vier Trainern in den vergangenen vier Jahren ein System zu erkennen sein wird und Kontinuität einkehrt.
Die Pistons des ersten Saisonmonats ähneln den Pistons der vergangenen Jahre auf den ersten Blick allerdings aufs Haar. Die Offensive ist zum Wegschalten, Smith, Rookie Kentavious Caldwell-Pope und DJ Augustin treffen weniger als 40 Prozent ihrer Würfe, in den Kategorien effektive Wurfquote und offensive Effizienz zählt Detroit zum Bodensatz der Liga. Die einzigen Lichtblicke sind Brandon Jennings, der als einziger überdurchschnittlich trifft (39 Prozent Dreierquote) und Greg Monroe, dessen Vertrag zum Ende der Saison ausläuft.
Der Coach ärgert sich entsprechend und übt Selbstkritik: "Ich weiß, dass diese Mannschaft besser spielen kann als sie es gerade tut. Ich habe Vertrauen in die Spieler, die wir haben. Ich muss einen besseren Job machen, damit der Knoten platzt und wir erfolgreich spielen."
Drummond ist der entscheidende Faktor
Van Gundy allerdings nach dieser schmalen Stichprobe an den Pranger zu stellen wäre der falsche Weg. Auf den zweiten Blick offenbaren sich wichtige und grundlegende Änderungen, die der neue Chef am System vornimmt. Das entscheidende Puzzleteil in dieser Umstellung ist Drummond.
Der neue Coach wirft seinen Center in dieser Saison kompromisslos ins kalte Wasser. Drummond soll Dinge tun, die er zuvor nie getan hat. Den Gegenspieler aufposten zum Beispiel und von dieser Position aus mit dem Rücken zum Korb agieren. Jetzt einen Post-Move anbringen? Ins Dribbling gehen? Auf das Doppeln reagieren und den freien Schützen finden? Das ist nicht sein Spiel. Noch nicht. Immerhin hat SVG Erfahrung mit der Entwicklung von rohen, aber ungeheuer talentierten Centern.
Funktioniert die Howard-Formel?
Fünf Jahre lang trainierte er Dwight Howard und formte ihn zwischen 2008 und 2011 zum besten Fünfer der Liga. Ein zufälliger Vergleich? Ein Blick auf den Scouting Report von Drummond vor der Draft zeugt vom Gegenteil: "Drummond bringt alles mit, um der nächste Howard zu werden. Wenn er beim richtigen Team landet, vernünftig gecoacht wird und sich komplett dem Basketball verschreibt, dann könnte er der nächste Howard werden", so heißt es im Bericht.
Hier schwingen Fragen nach seiner Reife zwischen den Zeilen mit. Drummond gilt als etwas sorglos, mit den Gedanken häufiger nicht bei der Sache - ein Klassenclown, wie auch Howard einer ist. Allerdings ist der Piston erst 21 Jahre alt. Es bleibt also viel Zeit, um den Diamanten zu schleifen, der bereits vergangene Saison mit je 13 Punkten und Rebounds zu den besten Centern der Liga gehörte.
(Noch) kein Playmaker im Post
Zunächst fällt die Umstellung schwer. Drummond ist in der vergangenen Saison vor allem deswegen so effektiv gewesen, weil kaum Spielzüge für ihn gelaufen wurden. Er ist schnell im Fastbreak und ein starker Rebounder, kaum aufzuhalten, wenn er freie Bahn zum Korb hat. Durch diese Möglichkeiten kam er vergangene Saison zu seinen Punkten.
In dieser Saison bekommt er Gelegenheiten im Post und kann diese kaum nutzen. Er schließt überhastet ab, er kann nur seine rechte Hand benutzen und seine Fußarbeit ist extrem schwach. Da er nur selten in eine aussichtsreiche Position kommt, erhält er von seinen Mitspielern nicht oft genug den Ball. Das wird dadurch aufgefangen, dass diese Saison Spielzüge über ihn gelaufen werden. Drummond soll kreieren, vor allem für sich selbst. Vergangene Saison waren 85 Prozent seiner Wurfversuche Korbleger, Dunks oder Putbacks. In diesem Jahr sind es "nur" gut 70 Prozent.
Der Prozentsatz der erfolgreichen Würfe, denen ein Assist vorausging, ist von 57 Prozent auf 50 Prozent gesunken. Van Gundy verteidigt seinen Anspruch, seinem Center-Talent diese schwierige Umstellung zuzumuten. "Wenn du besser wirst, nehmen dir die Gegner deine besten Würfe weg. Ich erinnere mich an mein erstes Jahr in Orlando. Damals spielten wir unzählige Lobs zu Howard und in den letzten vier Jahren kamen wir vielleicht noch zu fünf pro Jahr." Drummond soll also darauf besser vorbereitet werden. Den 21-Jährigen weniger im Post spielen zu lassen, wäre sogar ein "großer Fehler".
Ausrichtung: Playoffs 2016
Der Grund dafür ist klar. SVG plant nicht nur für diese Saison, sondern darüber hinaus. Der Kader entspricht noch nicht seinen Vorstellungen. Das große Line-Up mit Smith, Monroe und Drummond funktioniert in dieser Saison so wenig in der letzten. Van Gundy braucht Schützen, die seinen Fixpunkt in der Mitte unterstützen sollen. Damit erreichten die Magic im Jahr 2009 die Finals. Dieser Fix-Punkt kann nur Drummond sein, da er viel zu talentiert ist, als dass man ihn weggeben könnte.
Monroe ist nach der Saison Free Agent, Smith könnte jeden Tag getradet werden, wenn sich ein Team findet, das seinen Vertrag übernehmen will. Die einzige Möglichkeit für die Pistons ist also, dass ihr Supertalent sein Spiel auf Superstarlevel hebt. Wenn es diese Saison noch nicht gelingt, wird van Gundy es hinnehmen. Nächstes Jahr sieht der Kader anders aus und ist möglicherweise mehr nach seinem Geschmack.
Schwieriger wird sein, Drummond bei Laune zu halten, auch wenn er Durchhalteparolen an sich selbst durchgibt: "Ich darf den Kopf nicht hängen lassen. Wir fangen gerade an, als Team etwas besser auszuschauen, da darf ich nicht über meine individuelle Leistung klagen."
In den letzten Spielen gegen die Bucks und Clippers sowie vor allem bei seiner Monster-Performance gegen die Bucks (26 Punkte, 20 Rebounds) sah Drummond deutlich besser aus, erzielte seine Punkte allerdings mehrheitlich wieder auf seine Art - indem er schneller und athletischer war als alle anderen. Dies könnte auch gegen die Warriors zum Tragen kommen (So., 21.30 Uhr im LIVE-STREAM FOR FREE). Und auf diesen Attributen können Stan van Gundy und die ganze Pistons-Organisation aufbauen.