Der Sommer ist für NBA-Fans eine extrem aufregende Zeit. Gespielt wird zwar nur in der Summer League, dafür werden jedoch Teams neu aufgebaut, Gerüchte machen die Runde, Spieler wechseln Teams, bekommen neue Verträge. Es ist die "Silly season", wie der Amerikaner sagt.
Jeder Trade, jeder Vertrag, eigentlich sogar jede Aussage wird auf die Goldwaage gelegt. Von Medien, von Experten, von Bloggern, von Fans. Hat Spieler X so viel Geld überhaupt verdient? Ist Team X völlig verrückt, Spieler Z in einem Trade mit abzugeben? Diese Diskussionen sind für den Sommer mindestens genauso wichtig wie die Moves an sich.
Der Sommer wäre extrem langweilig, wenn jedes NBA-Team so arbeiten würde wie die San Antonio Spurs.
Kontroversen? Fehlanzeige
Das soll keine Kritik sein. Nur bietet dieses Team einfach selten Zündstoff, die Entscheidungen sind fast immer nachvollziehbar. Natürlich gibt es auch mal Ausnahmen wie den lukrativen neuen Vertrag für Tiago Splitter im Sommer 2013, nachdem dieser in den Finals doch sehr überfordert aussah. Oder den Trade von George Hill für den 15. Pick alias Kawhi Leonard ein Jahr zuvor.
Selbst wenn ein Move der Spurs jedoch auf den ersten Blick verwundert, wird er wenn überhaupt nur sehr verhalten kritisiert. Vielen ist die Gefahr einfach zu groß, später als Depp dazustehen. Denn üblicherweise zahlt es sich aus, was die Spurs machen. Splitter und der amtierende Finals MVP sind zwei sehr gute Beispiele dafür.
Vorreiter Buford und Pop
Diesen Status haben sich GM R.C. Buford und Coach Gregg Popovich über die Jahre hart erarbeitet. Wenn ein Duo in der Liga Narrenfreiheit besitzt, ist es dieses. Kein Wunder, wenn man auf die Erfolgsbilanz der Spurs in den Amtszeiten der beiden Macher blickt. Es scheint, als wären die beiden der Konkurrenz immer mindestens einen Schritt voraus.
Sie sondierten zum Beispiel früher und intensiver als andere internationale Ligen und entdeckten dabei Spieler wie Tony Parker und Manu Ginobili. Sie erkannten den Wert von Corner-Threes früher und bildeten limitierte Offensivspieler wie Bruce Bowen zu Spezialisten aus.
Kein Team hatte über die Jahre mehr Erfolg darin, anderswo Verschmähte aufzugabeln und zu legitimen Rollenspielern zu machen. Ein paar aktuelle Beispiele: Danny Green (D-League), Boris Diaw (von den Bobcats entlassen), Patty Mills (Australien, 55. Pick 2009).
Mills und Diaw bleiben
Der Sommer 2014 fügte sich in dieses Bild nahtlos ein. Mit Mills und Diaw wurden zwei Säulen des Meisterteams gehalten, insbesondere die Verlängerung mit Diaw galt als essenziell. Schließlich zeigte der Franzose vor allem während der Finals, welchen Wert er für Pops System besitzt.
Der Kontrakt mag mit 28 Millionen Dollar über vier Jahre etwas exzessiv wirken, ist allerdings so teamfreundlich strukturiert, dass es keinen echten Grund zum Meckern gibt. Nur 17,5 Millionen Dollar sind garantiert.
Auch Mills, der in der abgelaufenen Saison eine Art Durchbruch feierte und der bei anderen Teams wohl eine größere Rolle hätte bekommen können, unterschrieb einen neuen Deal über drei Jahre und 13 Millionen Dollar. Und nicht zuletzt verlängerte Coach Pop höchstpersönlich für mindestens zwei weitere Jahre.
Anderson, der nächste Boris?
Im Draft kam mit Kyle Anderson ein dem Anschein nach klassischer Spurs-Spieler. Der knapp 2,06 m große Forward wird als nicht besonders athletischer, aber extrem spielintelligenter und passfreudiger Big Man mit Guard-Skills beschrieben. Werfen kann er auch. Einmal bitte die Hand heben, wer sich hier an einen gewissen Franzosen in Diensten des Meisters erinnert fühlt.
"Er bringt Sachen, die Spieler seiner Größe normalerweise nicht drauf haben", sagte sein Highschool-Coach Bobby Hurley mal über ihn. "Er weiß, wie man das Spiel spielt", schloss sich College-Coach Steve Alford an. "Das hört sich simpel an, aber nur wenige Spieler verstehen es wirklich. Er tut es."
Wer am Draft-Abend die Einschätzungen der Experten verfolgte, kam nicht um den Eindruck herum, dass da mindestens zehn Teams eine große Chance verpasst hatten und dass den Spurs mal wieder ein Steal gelungen war. Einige trauen dem früheren UCLA-Studenten sogar zu, gemeinsam mit Kawhi Leonard und Co. die Zukunft der Franchise zu prägen.
Popovich: "Sie war perfekt"
Die Zukunft prägen sollen auch die neuen Gesichter auf der Trainerbank. An allererster Stelle ist hier natürlich Becky Hammon zu nennen, die erste weibliche "Vollzeit"-Assistentin der NBA. Auch wenn es Popovich natürlich völlig egal ist, dass die Spurs mit ihrer Verpflichtung Geschichte geschrieben haben.
"Coach Pop hat mir sehr deutlich gesagt, dass er mich wegen meines Basketball-IQs und meinen anderen Qualifikationen geholt hat", berichtete Hammon, "er sagt, es ist halt einfach so, dass du nebenbei eine Frau bist." Auch Buford hat betont, es sei nicht darum gegangen, Historisches zu schaffen. Was es bedeutet, müssen andere beurteilen. Uns ging es darum, dass sie die richtige für den Job ist."
Hammon bringt die Erfahrung einer langen und erfolgreichen WNBA-Karriere mit, zudem überzeugte sie Pop im letzten Jahr während der Offseason, als sie bei ihm hospitierte. "Sie war perfekt", sagte er damals, "sie weiß, wann man redet und wann man die Klappe hält. Das wissen viele nicht. Sie kann sich einbringen, und unsere Spieler haben sie schnell respektiert. Sie versteht das Spiel."
Als Pop 2012 seinen Rückflug von den Olympischen Spielen in London antrat, fand er sich auf einmal mit Hammon im Flugzeug wieder, und beide redeten den ganzen Flug über miteinander. Eine Begegnung, die ihn beeindruckte. "Seit diesem Trip hat er sich sehr für sie interessiert, nicht als Trainerin, sondern als Person", weiß sein Partner Buford, "wenn man ihn kennt, weiß man, dass es Pop nie um Basketball geht, sondern um Menschen."
"Das passiert nicht einfach so"
Die bisherige Einserin der San Antonio Stars gilt derweil als extrem spielintelligent und war für ihr Team bereits in den letzten Jahren eine Art Spielertrainerin. Sie selbst bezeichnet Coaching als etwas, das für sie "natürlich" erscheint. "Das ist natürlich eine große Herausforderung, aber es ist Basketball, und in dem Bereich fehlt es mir nicht an Selbstvertrauen."
Dass ausgerechnet die Spurs als erste Franchise diesen Schritt wagten, kommt nicht wirklich überraschend daher. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass sie einen neuen Weg beschreiten.
Hätte es auch ein anderes Team sein können? "Ich denke ja", sagt Hammon, "aber die Spurs sind diejenigen, die es wirklich gewagt haben. Sie haben gesagt: 'Das gefällt uns, daraus könnte etwas Gutes entstehen.' Es ist kein Zufall, dass sie immer einen Schritt voraus sind. Das passiert nicht einfach so."
Messina macht den Schritt
Die Schlagzeilen gehörten also Hammon, aber auch die bereits Wochen zuvor vermeldete Verpflichtung von Euroleague-Legende Ettore Messina könnte sich als richtungweisender Schachzug entpuppen.
Der Italiener hat in Europa alles erreicht und wurde von den Spurs seit Jahren umworben, da Popovich ein großer Fan von Messina ist. Viele andere Teams, unter anderem die Los Angeles Lakers, wollten den viermaligen Euroleague-Champion bereits über den großen Teich holen. Bisher reichte es jedoch nur zu einer Beraterrolle in L.A. während der Saison 2011-12.
"Ich bin geehrt, so einen hochdekorierten Mann in unserem Team begrüßen zu dürfen", kommentierte Pop die Verpflichtung euphorisch, "Messina ist ein großartiger Trainer, ein großartiger Anführer und jemand, von dem wir alle etwas lernen können."
Inspiration für Popovich
Messinas Stern ging bei Virtus Bologna auf, wo er 2001 unter anderem seinen ersten Euroleague-Titel holte. Der damalige Star des Teams? Ein gewisser Manu Ginobili. Popovich und Buford hatten ihn spätestens seit dieser Zeit auf dem Radar.
Ihre Wege sollten sich über die Jahre noch öfter kreuzen. Pop und Messina leiteten ein Camp zusammen, in der Preseason 2013 trafen die Spurs zudem auf Messinas damaliges Team ZSKA Moskau.
"Ich werde mir das Video genau anschauen, weil ich Messinas Teams immer bewundert habe", gestand Pop damals, nachdem San Antonio in der Overtime 95:93 gewonnen hatte. "Sie haben eine bessere Balance aus Penetration und Ballverteilung als wir. Wir wollen ein richtig gutes Team sein, was das angeht, und wir haben schon einige "europäische" Elemente in unser Spiel aufgenommen. Aber er macht das noch besser. Ich will mir das genau anschauen, um zu sehen, was wir noch verbessern können."
Es zeugt von der Persönlichkeit Popovichs, dass er als (mittlerweile) fünfmaliger NBA-Meister immer offen für neue Ideen bleibt und bereitwillig zugibt, wenn ihn jemand inspiriert. Es zeugt aber auch von der Klasse des Italieners, der nicht zu Unrecht als Visionär internationalen Basketballs gilt. Es dürfte interessant sein zu beobachten, was die Kombination aus beiden für das Spurs-Spiel bedeuten wird.
Der Nachfolger?
Bedeutet Messinas Verpflichtung vielleicht sogar mehr? Der Italiener hat mehrfach betont, dass er kein Problem damit hat, Pops rechte Hand zu sein und nicht selbst das Sagen zu haben. Allerdings häufen sich die Spekulationen, dass Popovich in Messina seinen eventuellen Nachfolger heranzieht.
Der Spurs-Coach ist mittlerweile 65. Zwar ist er von der früheren Ankündigung, gemeinsam mit Tim Duncan aufzuhören, etwas abgerückt. Er wird jedoch nicht ewig weitermachen, so viel ist klar. Und auch wenn es noch nie einen europäischen NBA-Head-Coach gab: Wenn irgendeine Franchise hier den ersten Schritt machen würde, wer sollte das wohl sein, wenn nicht die Spurs?