Die Mavs hatten Carmelo Anthony eingeladen. Er sollte sich Dallas einfach mal ansehen, mit Besitzer Mark Cuban und Dirk Nowitzki sprechen. Vielleicht würde er sich am Ende ja tatsächlich für Texas entscheiden. Melo tat es nicht. Wirklich überrascht dürfte niemand gewesen sein, dass Dallas trotz Audienz schlussendlich nicht zum Kreis der Favoriten auf eine Verpflichtung Anthonys zählte. Am allerwenigsten wohl die Mavs selbst.
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Einen Versuch war es wert - wieso auch nicht - nur pflegt Dallas seit einigen Jahren kein allzu erfolgreiches Verhältnis zu namhaften Free Agents. Deron Williams entschied sich einst für New Jersey respektive Brooklyn, Dwight Howard für Houston und Anthony nun für New York. Die Mavs? Mussten sich mit Plan B anfreunden. Und das taten sie überraschend schnell. Denn während die gesamte Liga noch auf die endgültigen Entscheidungen der Herren James und Anthony wartete, während der Markt nahezu stillstand, schuf Mark Cuban Fakten.
Parsons statt Melo oder LeBron
Chandler Parsons wurde kontaktiert, eingeladen, umgarnt - und schließlich ein Offer Sheet vorgelegt. 46 Millionen Dollar für 3 Jahre. Mehr als Dirk Nowitzki verdienen wird (voraussichtlich 30 Millionen in drei Jahren). Dazu eine satte Gehaltserhöhung. Immerhin stellte Parsons seine 16,6 Punkte, 5,5 Rebounds und 4 Punkte Houston vergangene Saison für nur gut 900.000 Dollar zur Verfügung. Ein wenig üppig mutet das Angebot der Mavs deshalb schon an.
Dahinter steckte jedoch Kalkül. Schließlich war Parsons lediglich Restricted Free Agent. Hätten die Rockets ihren Small Forward also halten wollen, sie hätten nur mit Dallas' Angebot gleichziehen müssen und Parsons hätte sich den innertexanischen Umzug sparen können. Cubans Überlegung war deshalb einfach. Durch ein frühes, üppiges Offer Sheet sollte Houston vor Fakten gestellt werden, denen es sich nur schwer entziehen könnte, hatte speziell James erst einmal über seine Zukunft entschieden.
Druck auf die Rockets
Denn, so die Annahme, würde LeBron seine alte Heimat Cleveland seiner neuen Heimat Miami vorziehen, was er schlussendlich auch tat, stünde Chris Bosh' Abschied vom South Beach ebenfalls unmittelbar bevor. Der war wiederum zur obersten Rockets'schen Priorität geworden, nachdem immer deutlich geworden war, dass weder LeBron noch Melo gesteigertes Interesse am Lonestar-State hatten.
Entschiede sich Bosh dann für Houston, so könnten sich Rockets nur schwerlich leisten, Dallas' Angebot für Parsons zu mitzugehen. Ein wenig überraschend blieb Bosh jedoch in Miami - und Cuban dürfte angesichts Houstons nun üppig vorhandenem Cap Space ein wenig geschwitzt haben. Ohne Aussicht auf eine Starting Five aus Patrick Beverley, James Harden, Chandler Parsons, Chris Bosh und Dwight Howard war Rockets-GM Daryl Morey der Preis für Parsons aber wohl zu hoch.
Houston entschied sich für Trevor Ariza und Cuban durfte einen freudigen Post absetzen. "Willkommen in Dallas, Chandler Parsons!!!", schrieb der Mavs-Besitzer auf seinem Cyper-Dust Account. Cubans Plan ging auf - wenngleich nicht zwingend wie geplant - und der Champ von 2011 ist glücklich. Glücklich, endlich einen namhaften Free Agent verpflichtet zu haben. Dass dafür etwas mehr Geld nötig war, als man Parsons eigentlich zahlen sollte: geschenkt! Zumal die diesjährige Free Agency ohnehin eine latente Tendenz zur Überbezahlung pflegt.
Kein herausragender Defender - aber solide
Dass die Mavs Parsons nicht zum Schlussverkaufspreis bekommen würden, war deshalb zu erwarten. Doch sie wollten den Small Forward. Unbedingt. Dabei wird er Dallas' wohl größte Schwachstelle nicht beheben können. Denn ein Elite-Defender ist Parsons wahrlich nicht. Mitunter stellt er sich zwar deutlich besser an als sein Ruf vermuten lassen würde, den Flügel verteidigen wie ein Luol Deng oder Trevor Ariza - angeblich ebenfalls Kandidaten in Dallas - kann er jedoch nicht.
Soll Parsons aber offenbar auch nicht. Denn so fragwürdig der Preis auch erscheinen mag, so sehr die Mavs ein defensives Upgrade vertragen könnten, irgendwie passt der Forward nach Dallas. Parsons dürfte anstelle von Shawn Marion auf der Drei starten, was Matrix wiederum dazu bewegen könnte, die Mavs zu verlassen, da er sich angeblich nicht mit der Rolle als Backup anfreunden kann. An Parsons' Seite stünden, Stand jetzt, damit Devin Harris - wenngleich dessen Vertrag noch unterschrieben werden muss - Monta Ellis, Dirk Nowitzki und Tyson Chandler.
Zwei Defender und drei Scorer also. Keine ganz schlechte Konstellation. Zumal Dirk bereits vergangene Saison bewiesen hat, dass er sich zu Ellis' Gunsten etwas zurücknehmen kann und auch Parsons sich längst mit dem Gedanken angefreundet hat, offensiv frühestens die zweite, eher sogar dritte Geige zu fiedeln. Was sollte er an der Seite eines Harden und Howard auch anderes tun?
Gewohnte Situation
Anpassungsschwierigkeiten sind deshalb nicht unbedingt zu erwarten. Parsons weiß, was es heißt, mit einem Shooting Guard zu spielen, der den Ball dominiert, der gleichzeitig aber fähig ist, nach dem Zug Richtung Korb den offenen Mitspieler an der Dreierlinie zu finden. So lief das Zusammenspiel mit Harden mitunter ab, so könnte auch das Zusammenspiel mit Mona Ellis ablaufen.
Denn, wenngleich seine Quoten von draußen keinesfalls herausragend sind (37 Prozent 3FG), gilt Parsons als guter Schütze. Er wird so für das nötige Spacing sorgen, Räume für Ellis' Drives schaffen und gleichzeitig nur allzu gern einspringen, sollte Nowitzki im Post gedoppelt werden, was dem Finals-MVP von 2011 wiederum ebenfalls mehr Platz verschaffen dürfte.
Carlisle setzte auf Vielseitigkeit
Nun wären rund 15 Millionen im Jahr für einen reinen Sidekick jedoch reichlich viel. Und deshalb hat Coach Rick Carlisle mit Parsons auch Großes vor. Er will sich die Vielseitigkeit seines neuen Small Forwards zunutze machen. "Ich denke, er kann die 3, 4, 2 und 1 spielen", sagt Carlisle über Parsons. "Er kann viele unterschiedliche Dinge bringen. Er kann den Facilitator geben, er kann zum Korb ziehen, er kann werfen und viele verschiedene Positionen verteidigen. Er passt sehr gut zu uns."
Das tut er tatsächlich. Zumal Parsons nicht stur am Perimeter warten muss, um Einfluss auf das Spiel nehmen. Speziell aus dem Dribbling heraus versteht er es, für sich und andere zu kreieren. Am Ring schließt er verlässlich ab, hat beim Drive zudem das Auge für den Mitspieler. Qualitäten, die Carlisle gefallen, die er im Umkehrschluss jedoch auch umgesetzt sehen möchte.
Auch als Recruiter gefragt?
Chandler Parsons wird in Dallas also deutlich mehr Verantwortung übernehmen müssen als während seiner ersten drei NBA-Jahre bei den Rockets. Offenbar jedoch eine Situation, die der Forward gesucht hat. "Ich weiß die Chance, die mir Houston gegeben hat, wirklich zu schätzen und hatte drei großartige Jahre", sagt er gegenüber "ESPN". "Aber ich freue mich jetzt unglaublich auf das nächste Kapitel meiner Karriere in Dallas. Darauf, mit Dirk, mit einem der Größten, zusammen- und unter einem großartigen Besitzer wie Mark Cuban zu spielen."
Vielleicht kommt Parsons in Zukunft sogar eine weitere Rolle zu. Immerhin bezeichnete er sich einst als besseren Recruiter als Dirk und hatte nicht unerheblichen Anteil, dass sich Dwight Howard vergangenen Sommer für Houston entschied - und unter anderem gegen Dallas. Sollten die Mavs kommenden Sommer also erneut einen namhaften Free Agent hofieren, dürfte Parsons einen weiteren Auftritt haben.