Doc Rivers ist derzeit wahrlich nicht zu beneiden: Wenige Tage nachdem der Head Coach der Los Angeles Clippers sein Team auf den dritten Platz in der Western Conference geführt hatte, sorgte Donald Sterling - Clippers-Eigner und damit sein Boss - mit rassistischen Statements für einen der größten NBA-Skandale überhaupt und überschattete damit die hervorragende Serie gegen die Golden State Warriors, die man knapp in Spiel 7 gewinnen konnte.
Nur Rivers selbst weiß, wie kräftezehrend es war, eine plötzlich führerlose Franchise in diesen Stunden unter Kontrolle zu halten, in alle Entscheidungen bis hin zum Design der Fan-Shirts einbezogen zu werden - und nebenher noch Stephen Curry zu stoppen.
Die unendliche Sterling-Geschichte
Der Wahnsinn ist allerdings noch lange nicht dabei: Die Liga erklärte Sterling umgehend zur Persona non grata und will ihn nun zum Verkauf der Franchise zwingen. Ein fast beispielloser juristischer Grabenkampf könnte die Folge sein, zumal Sterlings Noch-Ehefrau Shelly ihre 50 Prozent natürlich behalten will. Sie sei ja schließlich keine Rassistin. Was denkt Rivers dazu?
Fast nebenher ernannte die NBA einen neuen Interims-Vorsitzenden für die Clippers: Dick Parsons, früher bei CitiGroup und Time Warner, kündigte umgehend an, mit Doc, der nebenbei auch "Senior Vice President of Basketball Operations ist, eine "vollwertige Partnerschaft" einzugehen. Klingt nach langen, ermüdenden Sitzungen. Was sagt Rivers denn dazu?
Und dann tauchen ja auch fast täglich neue Tonbandaufnahmen von Sterling auf. Was ist ihre Meinung, Doc?
Konzentration aufs Sportliche
Kein Wunder, dass sich der 52-Jährige alle Mühe gibt, den Fokus wieder auf das Sportliche zu richten: "Wir sollten uns Sorgen über Westbrook und Durant machen", versucht er die Ablenkungen kleinzuhalten. "Die sollten uns Bauchschmerzen bereiten, denn derzeit setzen sie uns immer mehr unter Druck."
Richtig, da ist ja auch noch Playoff-Basketball! In der zweiten Runde im Westen ist es für die Clips selbstverständlich nicht leichter geworden: Gegen die Oklahoma City Thunder um den frischgebackenen MVP Kevin Durant verlor man zuletzt zweimal in Folge und muss heute Abend beim Stand von 1-2 vor heimischem Publikum nun unbedingt gewinnen - eine 3-1-Führung für das Team mit Heimvorteil wäre wohl mehr als eine kleine Vorentscheidung.
Der überragende 122:105-Auswärtserfolg zum Auftakt der Conference Semifinals hat dementsprechend an Strahlkraft verloren: Die Clippers halten zwar ganz gut mit, dennoch war die Heimpleite am Freitag ein herber Rückschlag. Nach 144 Playoff-Minuten gegen OKC haben sich für Doc vor allem zwei Probleme herauskristallisiert - vom wertvollsten Spieler der NBA ganz zu schweigen.
Blake Griffin ≯ Serge Ibaka
Da Los Angeles keinen Verteidiger der Marke Tony Allen zu bieten hat, ist klar: Der 25-Jährige wird seine Punkte machen. Chris Paul hat mit Russell Westbrook alle Hände voll zu tun. Bleibt Blake Griffin: Die Nummer 3 im MVP-Voting hat in der abgelaufenen Regular Season nochmal einen draufgepackt. Wenn Los Angeles die Conference Finals - und mehr - erreichen will, muss Griffin dominieren.
Aber er hat ein Problem. Und das heißt Serge Ibaka.
Ibaka gehört zu den besten Verteidigern der Liga, hat aber schon länger viel mehr zu bieten als knallharte One-on-one-Defense und Weakside-Blocks. Man könnte sogar argumentieren, dass Ibaka bisher eine insgesamt bessere Serie spielt als sein Konterpart. Bei 15,3 Punkte und 6,6 Rebounds für den Spanier gegenüber 24 Punkten 6,3 Boards und 3,6 Assists für Griffin klingt das zugegebenermaßen vermessen, zumal Griffin ungleich mehr Aufmerksamkeit zu Teil wird.
Nasenbluten für Griffin
Aber Ibaka glänzt nicht erst seit seiner 90-Prozent-Quote aus dem Feld in Spiel 3. In den ersten beiden Partien hielt er Griffins Quote bei 41 Prozent - der Superstar kam erst dann richtig zum Zug, wenn sein Schatten auf der Bank saß. Griffin hat bisher 18 Minuten mehr auf dem Parkett verbracht, aber nur vier Würfe mehr verwandelt (25:21). Symptomatisch eine Szene vom Freitag: Griffin fing sich einen Ellbogen von Ibaka ein, blutete aus der Nase - aber bekam nicht einmal ein Foul zugesprochen.
Es liegt an Rivers, die Vorzeichen dieses Duells so zu manipulieren, dass Griffin daraus als Sieger herausgeht. Weniger Post-ups, dafür mehr Face-up-Situationen? Mehr Pick-and-Rolls, um einen Switch zu provozieren? Zunächst einmal geht es ihm allerdings um die Defense: "Wir müssen näher an ihm dran sein." Und Ibaka selbst? Der freut sich vor allem auf die Herausforderung: "Es ist immer gut, gegen den Besten anzutreten."
Der gute Westbrook
Wer die Thunder regelmäßig spielen sieht, der kennt die zwei Seiten von Russell Westbrook. Die "gute Seite" - ein explosiver, fleischgewordener Flummi, akute Triple-Double-Gefahr, das Ying zu Durants Yang - und die "böse Seite" mit vogelwilden Turnover, hirnrissigen Würfen und einfach zu wenig Hirn. Die böse Seite trat gegen die Memphis Grizzlies zu oft an die Oberfläche und konnte die Schwächephase von KD damit nicht auffangen.
Westbrook ist unberechenbar, so viel steht fest. Aber gegen Los Angeles gibt es bisher absolut keinen Grund zur Klage. Klar, die Defense von Memphis war sehr viel stachliger. Aber vielleicht, ja vielleicht hat Coach Scott Brooks aus dem ersten Spiel gelernt. Man schaue sich nur die Zahlen an: In der Niederlage war sein Point Guard Topscorer (29), verzeichnete aber mehr Turnover als Assists (6:4). Im zweiten Spiel waren die Punkte immer noch da (31), aber viel mehr Kontrolle (10 Assists, nur noch 4 Turnover). Und am Freitag war es dann der Westbrook, wie ihn sich viele Kritiker wünschen: 23 Punkte, 13 Assists, und vor allem nur noch 2 Turnover.
Für eine wirkliche Analyse ist diese Stichprobe zu klein. Aber wenn sich Rivers einen Westbrook wünschen dürfte, dann würde er wohl die "25+ Würfe, 5+ Turnover, viele Dreier, frühe Shotclock"-Version wählen. Die Frage wird sein, ob er sie zusammen mit Chris Paul aus dem Thunder-Guard herauslocken kann. Denn kann er es nicht, dann wird es ganz schwer.
Ein Spiel - und Zeit - gewinnen
Das sind nicht die einzigen Baustellen für den Meistercoach von 2008. Die Rollenspieler der Thunder haben bisher eine bessere Figur geboten, Jamal Crawford scheint die Wahl zum Sixth Man nicht gut verkraftet zu haben (8/29 FG in den letzten zwei Spielen). Auch an den Brettern ist man bisher dreimal unterlegen, teilweise sogar deutlich.
Es gibt also viel zu tun vor dem heutigen Abend: "Wir müssen einfach besser verteidigen, sodass wir offensiv durch Fastbreak-Möglichkeiten unseren Rhythmus finden", gibt die Clippers-Galionsfigur die Richtung vor. Zudem dürfe man trotz des "Must-win-Games" nicht verkrampfen. Das weiß auch Chris Paul: "Wir dürfen die Köpfe nicht hängen lassen. Wir müssen einfach Spiel 4 holen." Denn dann geht die Serie wieder von vorn los. Und vielleicht lässt dann auch der Trubel von außen nach - zumindest ein bisschen.