Marcus Mariota brauchte genau eine Halbzeit, um seine Kritiker zum Schweigen zu bringen. Der Hawaiianer hätte am College zu sehr vom System der Oregon Ducks profitiert, die Spread Offense würde seine Stats aufhübschen, hieß es im Vorfeld der Saison.
Auch deshalb ging Rivale Jameis Winston an Draft-Position eins zu den Tampa Bay Buccaneers, der Ex-Seminoles-QB schien mit seinen Fähigkeiten reifer für die NFL als Mariota, dem viele einen ähnlichen Karriereverlauf wie Robert Griffin III andichten wollten. Wie passend, dass beide Signal Caller im ersten Match der Saison aufeinandertrafen.
Während Winstons erster Pass in den Händen von Titans-Cornerback Coty Sensaubaugh landete, der den Football kurz danach zum Touchdown in die Endzone trug, feuerte Mariota seinen zweiten Pass in die Arme von Kendall Wright, der daraus einen 52-Yard-Touchdown machte.
Zur Pause hatte Mariota vier Passing-TD's aus dem Konto - ein Novum für einen Debütanten. Einzig Fran Tarkenton gelangen ebenfalls vier Touchdowns, der brauchte dafür aber zwei Halbzeiten. 13 von 15 Pässen fanden am Ende das Ziel, 209 Yards und ein perfektes Passer-Rating von 158,3 krönten Mariotas NFL-Debüt, bei dem die Titans Winstons Bucs mit 42:14 nach Hause schickten.
Farbklecks in Nashville
Mariotas starkes Debüt ist nur der Auftakt einer Rookie-Saison voller Highlights. Gegen die New Orleans Saints wiederholt er beim 34:28-Overtime-Sieg seine Leistung von vier Touchdowns und keiner einzigen Interception und ist damit der einzige Rookie, dem so eine Leistung zweimal gelingt.
Gegen Jacksonville erzielt er mit einem 87-Yard-Run den drittlängsten Running-Touchdown eines Quarterbacks seit 1960 und wird zugleich der erste NFL-Spieler überhaupt, der 250 Passing Yards, 100 Running Yards und mehrere Touchdowns in einem Spiel wirft. Die Kirsche auf der Sahne gibt's im Duell mit den New York Jets. Mariota fängt einen 41-Yard-Touchdown-Pass von Runningback Antonio Andrews.
Trotzdem geht zum Saisonende die Trophäe für den "Pepsi NFL Rookie of the Year" an Winston und nicht an Mariota. Den prestigeträchtigeren Rookie-Award der "Associated Press" bekommt sogar Rams-Runningback Todd Gurley. Mariota dagegen wird in der Diskussion um die Trophäe nur selten, wenn überhaupt genannt. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist er der mit Abstand talentierteste Spieler in einem Titans-Team, das bereits nach wenigen Spielen Head Coach Ken Whisenhunt vor die Tür setzt und durch Mike Mularkey ersetzt.
Nur die Cleveland Browns, die zwischenzeitlich im Chaos um Johnny Manziel versinken, kommen ebenfalls auf eine Bilanz von 3-13. Zum anderen verpasst der 22-Jährige vier Spiele wegen kleinerer Knieverletzungen - die Tennessee übrigens aller verliert. Hätte der Hawaiianer aller Spiele absolviert, wäre sein Name wohl auch öfter in der Diskussion genannt worden.
Gute Statistiken für "The Flyin' Hawaiian"
Denn schlecht lesen sich Mariotas Statistiken definitiv nicht. 2818 Passing Yards, dazu 19 Touchdowns, zehn Interceptions und mit 62,2 Prozent die fünftbeste Passquote der NFL. Würden die Statistiken auf 16 Spiele angepasst, käme "The Flyin' Hawaiian" auf knapp 3750 Yards und 25 Touchdowns. Eine Leistung, die noch kein Rookie überhaupt erbracht hat. Einzig Andrew Luck, Cam Newton und eben Winston haben überhaupt mehr Yards in ihrer Rookie-Saison erworfen - und dabei alle Spiele absolviert.
Hinzu kommt, dass der 22-Jährige mit 252 Rushing Yards in Ansätzen bereits seine Gefahr außerhalb der Pocket andeutete. Mariota musste angesichts der stumpfen Waffen in der Titans-Offense viel improvisieren, bei seinem 87-Yard-Touchdown gegen die Jaguars entkam er nur knapp sechs auf ihn zustürmenden Verteidigern und beschleunigte dann blitzschnell auf über 30 Kilometer pro Stunde.
In ingesamt elf Plays erreichte er diese Geschwindigkeit, nur Tavon Austin und Antonio Brown hatten 2015 ligaweit mehr. Alleine durch seine scheinbar eingebaute Highlight-Funktion gibt er den Titans schon mehr Charme als sämtliche QB-Experimente der letzten Jahre.
Opfer seiner Mitspieler
Warum es bei den Titans trotzdem nicht wirklich lief, liegt also nicht an Mariota. Denn um den jungen Quarterback herum fehlt es schlicht und ergreifend an Qualität. Neben einem dünnen Wide-Receiver-Corps um Dorial Green-Beckham und Kendall Wright ist Tight End Delanie Walker noch Mariotas effektivste Waffe in der Offense, aber auch keine wirklich gute.
Auf Runningback durften sich Bishop Sankey, Dexter McCluster und der langzeitverletzte Rookie David Cobb probieren, alle drei enttäuschten aber auf ganze Linie. Hier werden die Titans sicherlich noch nachlegen.
Allerdings nicht mit dem ersten Pick der im April anstehenden Draft, denn damit dürfte ein Spieler für die O-Line nach Nashville kommen. OT Laremy Tunsil von der Ole Miss gilt als aussichtsreicher Kandidat für den Top-Pick, sollte Tennessee kein überragendes Trade-Angebot für sein Wahlrecht bekommen.
Die O-Line ist nämlich mit das größte Problem Mariotas, ligaweit ließ sie die meistens Sacks (54) zu, alleine Mariota erwischte es 58 Mal. Der Youngster reagierte dafür recht ordentlich und wurde das Ei oft schnell genug los, lange Pässe sind so aber fast unmöglich und rauben der eh schon sehr begrenzten Titans-Offense eine weitere Waffe.
Mariota "reagiert für sein Alter ruhig"
Trotzdem machte Mariota laut CBS-Experte Rich Gannon noch das beste aus seiner Situation: "Viele junge QB's verfallen in solchen Situationen in Panik und schmeißen den Football auf gut Glück in die Mitte des Feldes, wo er dann meist von der Secondary abgefangen wird. Marcus reagiert für sein Alter schon ziemlich ruhig und klug." Charles Davis vom "NFL Network" schlägt in die gleiche Kerbe: "Er macht seine Sache gut, er hat das Potential für einen Pro-Bowl-Quarterback."
Carr als Vorbild?
Auch wenn Mariota noch das ein oder andere Mal beim Playcalling nicht das nötige Selbstvertrauen an den Tag legt und die Defense des Gegners nicht immer richtig liest, die Titans schauen bereits erwartungsvoll auf sein zweites Jahr in Nashville. Davis hat hierzu auch eine Prognose parat: "Ich denke es wird ähnlich wie bei Derek Carr ablaufen, der in seinem ersten Jahr auch keine gute Unterstützung hatte. Mariota wird bessere Mitspieler in der Offense bekommen und nochmal einen Sprung machen."
Tatsächlich befand sich Carr vor einem Jahr in einer ähnlichen Situation, verzückte aber dann gemeinsam mit Rookie-WR Amari Cooper und Veteran Michael Crabtree die Liga und flirtete zwischenzeitlich mit den Playoffs. Die kommen für die Titans und Mariota vermutlich noch ein Jahr zu früh, dennoch hat Mike Mularkey in der Offseason Zeit, seinem Team sein System einzuimpfen. Dieses soll auch mehr Running-Plays für seinen Signal Caller enthalten: "Wir werden ihn nicht so einsetzen, wie die Panthers Cam Newton. Aber wenn du einen Quarterback wie Marcus hast, dann musst du die Defense mit seinen Runs auch unter Druck setzen."
Mariota hat mittlerweile gezeigt, dass er nicht nur ein Günstling der Spread Offense ist, sondern auch in der NFL ein guter Starting-QB sein kann. Winston hatte die bessere, aber auch verletzungsfreiere Rookie-Saison. Beide treffen voraussichtlich im Jahr 2019 das nächste Mal aufeinander, sofern sie bei ihren aktuellen Teams bleiben. Dann wird endgültig zu sehen sein, wer von beiden die bessere Wahl im April 2015 war. Eins ist aber schon sicher: seine Kritiker hat Mariota erstmal verstummen lassen.