Spieler wechseln, Rekorde fallen, Legenden bleiben: Rüdiger Vollborn ist für Leverkusen-Fans eine Institution. Page 2 hat den hauptamtlichen Fanbeauftragten interviewt und mit ihm über seine Karriere, Bayer 04 und das moderne Torwartspiel gesprochen.
Page 2: Herr Vollborn, fragt man die Leverkusener Fans, wer ihr Fan-Held, ihre Kultfigur ist, dann fällt immer wieder Ihr Name. Woher kommt das und was macht für Sie einen Fan-Helden aus?
Rüdiger Vollborn: Ich sehe mich nicht als Fan-Held. Ich bin 1981 nach Leverkusen gewechselt und habe immer versucht, nach bestem Wissen und Gewissen alles für den Verein zu geben. Und es macht es am Ende vielleicht dann die lange Zeit aus, die man im Verein ist, ohne zu wechseln. Doch auch Ulf Kirsten, Carsten Ramelow oder ein Bernd Schneider sind Fan-Helden, die nicht im Verein arbeiten wie ich. Ich bin von Torwart Nummer eins zu Torwart Nummer zwei geworden, dann zum Torwarttrainer und jetzt Fanbeauftragter. Und damit bin ich absolut glücklich.
Page 2: Sie sind 1981 als Berliner Junge nach Leverkusen gewechselt und haben dann 401 Bundesligaspiele für den Verein gemacht. In der schnelllebigen Bundesliga waren sie damit auch schon zu ihrer aktiven Zeit eine Ausnahmeerscheinung. Wann war Ihnen klar, dass Leverkusen langfristig ihre fußballerische Heimat ist?
Vollborn: Wohlgefühlt habe ich mich hier von der ersten Minute an. Ich komme zwar aus Berlin, doch die Großstadt war nie so mein Ding. Ich mag es eher überschaubar, will wissen, wo ich meine Butter, mein Brot und mein Fleisch kaufen kann, ich mag kurze Wege und das habe ich in Leverkusen vorgefunden. Der ganze Verein wuchs mir immer mehr ans Herz, weil es alles hier einen familiären Charakter hat. Zu meiner Zeit war ja zum Beispiel die Geschäftsstelle nur mit fünf bis sechs Mann besetzt und nicht so wie jetzt bei der GmbH. Nur ein einziges Mal kam mir ein Wechsel in den Sinn, als ich Torwart Nummer zwei hinter Dirk Heinen wurde. Da habe ich überlegt, ob ich mit 32 nicht zu jung bin, um auf der Bank zu sitzen. Doch unser Manager Reiner Calmund hat mir schnell klar gemacht, dass ein Wechsel für mich so nicht in Frage kommt. Zu meiner Zeit war es als Spieler auch nicht so einfach, zu wechseln. Da konnte man nicht so einen Druck aufbauen wie heute. Wir hatten keine Klauseln. Wir haben damals unsere Verträge unterschrieben und das wars. Wir haben uns auch daran gehalten, oder besser gesagt, wir fühlten uns auch daran gebunden. Daher ergab sich nie ein Wechsel.
Page 2: 18 Jahre Bundesligatorhüter, danach Torwarttrainer und jetzt Fan-Beauftragter. Das hört sich nach einer richtig guten Zeit an. Würden Sie rückblickend sagen "Ja, ich bin mit meiner Karriere glücklich"?
Vollborn: Ich sehe es nicht als Karriere, ich sehe es als Leben. Ich glaube, dass ich als Fußballer wenig anders mache würde. Mir fällt da auf Anhieb nichts ein. Vielleicht gibt es Kleinigkeiten, die ich ändern würde. Doch im Großen und Ganzen bin ich mit meinem Leben und - okay - mit meiner Karriere hier in Leverkusen schon mehr als glücklich.
Page 2: Sie als Fanbeauftragter kennen die aktuellen wie auch die Fans aus ihrer aktiven Zeit. Haben die Fans sich verändert und wenn ja wie?
Vollborn: In Leverkusen alleine schon durch die Anzahl. Ich habe in meiner Bundesligazeit zum Teil vor 7.000 oder 8.000 Zuschauern gespielt. Wenn dann Köln, Schalke oder Dortmund kamen, dann hatten wir regelmäßig ein Auswärtsspiel. Das ist ja zum Glück heute nicht mehr so: Unser Stadion fasst 30.000 Zuschauer und ist regelmäßig annähernd voll. Wir haben immer die berechtigte Hoffnung, dass es ausverkauft ist, das klappt auch zunehmend. Die Anzahl der Zuschauer ist halt schon eine ganz andere im Vergleich zu damals.
Page 2: Was hat sich noch verändert?
Vollborn: Die Form der Anfeuerung hat sich verändert. Es ist mehr ein ständiges Singen. Zu meiner Zeit war es anders. Da merkten die Fans, auf dem Platz passiert etwas und haben dann angefeuert. Heute gehen die Fans da eher in Vorlage und versuchen die Mannschaft zu unterstützen und hoffen, dass sie etwas zurückbekommen. Das kann auch kippen, doch dieses generelle Anfeuern war zu meiner Zeit eher situationsbedingt. Außer beim UEFA-Cup-Endspiel, das war hier 120 Minuten lang ein Nachvornetreiben durch die der Fans.
Page 2: Um beim Gewinn des UEFA-Cups 1988 zu bleiben. Erlebt man dies wie im Rausch und erinnert sich als Ganzes oder hat man da auch heute noch ganz bewusste Erinnerung an bestimmte Momente? Was war persönlich für Sie das ganz besondere, oder das Verrückteste an den Endspielen?
Vollborn: Das Verrückte war, dass ein Traum von mir in Erfüllung ging, den ich zwei Monate lang geträumt habe. Ich hatte die ganze Zeit von einem Elferschießen im Endspiel geträumt, obwohl wir noch das Halbfinale gegen den Deutschen Meister Werder Bremen zu spielen hatten (1:0 und 0:0). Das war dann auch schon sehr kurios, als wir in den Endspielen ein 0:3 noch umdrehen konnten, obwohl es im entscheidenden Rückspiel noch 0:0 zur Halbzeit stand. Das war schon etwas Einmaliges. Ich glaube auch in der Geschichte des europäischen Fußballs. So einen Rückstand noch einmal zu biegen, war schon etwas Besonderes. Für mich ist dieser 18. Mai 1988 heute noch, trotz zweier Söhne - die wissen das auch -, der schönste Tag in meinem Leben. Und ich glaube, das wird auch immer so bleiben.
Page 2: Klasse Geschichte. Eine Frage an den früheren Torhüter und Torwarttrainer: Wie haben sich die Torhüter in den letzten Jahren verändert? Würde es heute einen Rüdiger Vollborn noch geben können?
Vollborn: Ich war fußballerisch eine Vollniete, da würde ich heute keine Chance mehr haben. Die Regeländerung bei Rückpässen, den Ball nicht mehr in die Hand nehmen zu dürfen, hat mich an meine Grenzen gebracht und war der Genickbruch in meiner Karriere, weil es mich verunsichert hat. Ich habe mich in meiner ganzen Zeit als Torhüter nur um das Torwartspiel gekümmert und nie darum, wie ich den Ball mit dem Fuß spielen soll. Wie ich den Ball mit dem Fuß abwehren konnte, das wusste ich, da hatte ich einen recht schnellen Fuß. Heute sind die Torhüter ja fast schon Feldspieler, heute heißt der Torwart ja auch Torspieler, das sagt ja schon alles. Sie sind diejenigen, die den Angriff einleiten und sind manchmal schon eine Art Libero. Manuel Neuer macht das ja schon extrem und immer mehr Torhüter versuchen, dem gleichzukommen. Bernd Leno stellt sein Spiel auch immer mehr um. Was ich bei ihm sehr gut finde, ist seine Strafraumbeherrschung. Er kommt bei hohen Bällen sehr gut raus.
Page 2: Also eher ein mutiger Torwart?
Vollborn: Ja, eher ein mutiger Torwart, das sehe ich auch so. Um die Frage zu beantworten: Rüdiger Vollborn würde heute, was das reine Torwartspiel angeht, ohne Fußpassspiel, irgendwo zweite Liga spielen. Das denke ich so vom Gefühl her.
Page 2: Sie waren für Rene Adler so eine Art Vaterersatz. Sie haben den damals 15-jährigen Adler bei sich aufgenommen, er wohnte fast vier Jahre bei ihnen. Wie kam es dazu?
Vollborn: In Leverkusen ist es so, dass die von außerhalb verpflichteten jungen Spieler bei Gastfamilien untergebracht werden. Wir haben bewusst kein Internat. Hier geht man lieber den Weg der familiären Nähe und ich halte ihn auch für besser. Als ich Rene das erste Mal gesehen hatte, da war er gerade 15 Jahre alt geworden. Es war im Januar 2000 und Bayer Leverkusen wollte ihn sofort holen. Er hat dann im Zuge des Wechsels keine Gasteltern gefunden, die ihn aufnehmen konnten und irgendwann sprach mich der damalige Jugendnationaltrainer Jörg Daniel an, ob ich es mir nicht vorstellen könnte, Rene bei uns aufzunehmen. Nach dem Gespräch habe ich dann mit meiner Frau gesprochen und die grinste mich nur an und sagte: "Du wolltest ihn doch von Anfang an hier haben." So hat es sich das dann ergeben, dass ich mit unserem damaligen Jugendmanager Michael Reschke gesprochen habe und ihm an einem Sonntag gesagt habe, dass ich unseren Dachboden ausbauen könnte. Und am Montag waren die Handwerker von Leverkusen schon da.
Page 2: Wenn man sich die Karriere von Rene Adler anschaut, dann war es ja auch die richtige Entscheidung
Vollborn: (überlegt) Okay, jetzt ist Manuel Neuer da, doch ich hatte mir schon mehr Länderspiele für ihn gewünscht oder erträumt. Er hat sich dann aber auch zum ungünstigsten Zeitpunkt verletzt, sonst wäre er 2010 als klare Nummer Eins zur WM nach Südafrika gefahren.