An der politischen Überladung von Fußballspielen als Symbol westlicher Stärke stören mich vor allem zwei Dinge. Da wäre zunächst die Widersprüchlichkeit, die sie in sich birgt. Das zunächst zum Zeichen gegen den Terror ernannte, letztlich aber doch unter bislang nicht vollständig bekannten Umständen abgesagte Freundschaftsspiel in Hannover und seine Nachwehen geben hierfür ein perfektes Beispiel ab.
Denn die Bilder von schwerbewaffneten Polizisten und einem in Rätseln sprechenden Bundesinnenminister haben sich wie schon die schrecklichen TV-Minuten von Paris ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Sie hinterlassen die Erkenntnis, dass Gefahrensituationen selbst von "oben" nur schwer zu überblicken, die Sicherheit zigtausender Menschen nur schwer zu garantieren ist. Die Verlockung, den als Symbol europäischer Überlegenheit auserkorenen Sport mit möglichst vielen Sicherheitsmaßnahmen auch wie ein solches zu verteidigen, ist also groß.
Sicherheitsmaßnahmen geben kein Gefühl der Sicherheit
Waffenstarrende Beamte oder Nacktscanner geben aber niemandem ein Gefühl von Sicherheit, sind sie doch das untrüglichste Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Dass vielleicht gar zu erwarten ist, was doch angeblich so gar keinen Einfluss auf unser alltägliches Leben hat. Echten Schutz bieten all diese oder kommende Maßnahmen indes nicht. Borussia Dortmund führte kürzlich als erster deutscher Proficlub Metalldetektoren an den Stadiontoren ein.
Schon lange werden Kurvenfans Feuerzeuge, Schlüsselanhänger oder gar Asthmasprays am Eingang abgenommen, weil sie als Wurfgeschosse verwendet werden könnten. Doch all das reicht offensichtlich nicht einmal dazu aus, Ultras daran zu hindern, dutzende von anderen Fanclubs entwendete Fan-Fahnen von je mehreren Quadratmetern Größe mit ins Stadion zu schmuggeln.
Im Sinne eines freiheitlichen Lebens können seine Einschränkungen wie Verbote, Kontrollen und die Allgegenwärtigkeit von Unbehagen auslösenden Waffen ohnehin nicht sein. Vielleicht sollte man das Muskelspiel beim Fußball also schnellstmöglich wieder ausschließlich den Spielern überlassen.
Der andere Aspekt ist der der sprachlichen Abgrenzung "Europas" von all den Regionen und Nationen des nahen Ostens, die im Zusammenhang mit dem Problemkomplex Terror, Autokratie & radikaler Islam derzeit mehr denn je sorgenvoll beäugt werden. Das abgesagte Spiel in Hannover wolle man austragen, um sich "für unsere Werte und Kultur einzusetzen", sagte zum Beispiel Oliver Bierhoff.
"Jetzt erst recht!"-Mentalität
Generell scheint es in den aktuellen Kommentaren aus Politik, Medien und Sport oft um eine Art Trotz, ein "Jetzt erst recht!" im Bezug auf das Ausleben explizit europäischer oder westlicher Werte zu gehen. Es dreht sich alles um's "Wir". In Deutschland hat sich das zum Beispiel in der Ansetzung des besagten Freundschaftsspiels widergespiegelt, doch es fanden und finden sich auch in zahlreichen anderen Artikeln oder Solidaritätskampagnen Formulierungen wie "Wir geben unsere Werte nicht auf!" oder "Je suis Paris", der Schriftzug der unter anderem das Trikot von Paris St.-Germain zierte.
Nun ist selbstverständlich nichts Falsches an Anteilnahme und Solidarität. Doch die Konzentration auf "Europa" oder ein schlichtes "Wir" greift zu kurz. Denn sie blendet aus, dass Europa ein Kontinent unterschiedlichster politischer Strömungen und Interessen von Syriza bis Marine Le Pen ist, dessen gemeinsame Werte sich bei genauerem Hinsehen an einer Hand abzählen lassen. Auch sollten wir nicht vergessen, dass die Attentäter von Paris Europäer waren. Ebenso dürfen Errungenschaften wie die eines freiheitlichen Lebens gedanklich nicht allein an Europa geknüpft werden. Und hier kommen die Fußballstadien ins Spiel.
Keine Frage von "Wir" oder "Die"
Denn was verdeutlicht besser das Dilemma dieser auf Europa und den Westen reduzierten Denkweise, als deutsche Freundschaftsspiele in Saudi-Arabien und Dubai oder eben jener Spruch auf der Brust von Ibrahimovic und Co. Denn PSG, das dort sonst mit "Fly Emirates" für die aus Dubai stammende Fluglinie wirbt, gehört einer Investorengruppe aus Katar.
Und das Emirat wird nicht nur eine Fußball-WM ausrichten, sondern lebt wie auch die beiden Erstgenannten nach dem Gesetz der der Freiheit diametral gegenüber gesetzten Scharia. Zudem unterstützt Katar eine nicht zu überblickende Anzahl der in Syrien kämpfenden Gruppierungen mit beträchtlichen finanziellen Mitteln.
Hier stellt der Fußball einmal mehr eine Art Lupenfunktion für die globalen Zusammenhänge dieser Gesellschaft dar: Sport, Freiheit, aber auch Unterdrückung und Terrorismus sind keine Fragen des "Wir" und "Die" und der europäische Fußball ist nicht das von Jogi Löw ersehnte "Zeichen für Demokratie und Freiheit", sondern eher eines dafür, dass die Dinge manchmal eben komplizierter sind.
Als friedliche Unterhaltung kann er dennoch weiterhin eine wichtige Rolle im Leben all derer spielen, die ihn genießen. Dabei sollten "Wir" es belassen.