Im hohen Norden Dänemarks türmen sich die Wellen fast zehn Meter in die Höhe. Der eiskalte Wind peitscht die Gischt auf, ist beinahe 100 km/h schnell. Die Strände haben etwas Unberührtes an sich, angespülte und vom Wasser geschliffene Hölzer säumen das Ufer, das auf nur zehn Grad warme Wellen trifft.
Hier in Kitmoller, in der Nähe von Aalborg, hat das Meer etwas Gefährliches. Man denkt an lange Strand-Spaziergänge, eingehüllt in beschichtete Regenmäntel. Woran man sicherlich nicht denkt, ist sich in die bedrohlichen Wellenberge zu werfen und sie auf einem Brett mit einem fragil wirkenden breiten Segel zu surfen.
"Du musst ein bisschen verrückt sein, um Windsurfen zu machen", beschreibt es Robby Naish, seines Zeichen lebende Legende, 1976 mit 13 jüngster Weltmeister der Geschichte, heute 24-facher Titelträger, natürlich auch das Rekord. Im Spätsommer 2011 stürzten sich vor der Küste von Kitmoller einige "Verrückte" in die Fluten.
"The German Wunderkind"
Am Ende des Wettkampfes war ein gerade einmal 17-jähriger Deutscher mit von Wind und Sonne modellierten Haaren und jungenhaftem Gesicht erstmals Weltmeister. "The German Wunderkind", urteilte die Branche. Sein Name: Philip Köster.Heute, vier Jahre später, hat er sich nach 2011 und 2012 zum dritten Mal zum Weltmeister gekrönt und ist ein Superstar, der in Deutschland nahezu unbeachtet nie Dagewesenes vor den Stränden dieser Welt zeigt. Derzeit feilt er als erster Surfer am Triple Loop, einem Dreifach-Salto. "Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Double Loop geschafft und er steht kurz vor einem dreifachen", sagt Naish, die Legende. Das zeigt, wie sehr Köster seinen Sport prägt, wie sehr er seine Grenzen verschiebt.
Mit 13 der erste Weltcup, mit 17 Weltmeister
Geboren wurde er 1994 auf Gran Canaria, wohin seine Eltern 1980 zogen, um dort eine Surfschule zu eröffnen. Er wuchs gerade einmal 70 Meter vom Strand entfernt auf. In einer Bucht in Vargas konnte er von seinem Zimmer aus die Wellen sehen. Nachdem er mit acht Jahren - wie übrigens auch sein Idol Naish - vom Virus des Wellenreitens infiziert worden war, stand er an Wochenenden frühmorgens auf und blickte in die ersten Sonnenstrahlen. Wenn der Wind das Meer aufbauschte und Wellen formte, schnappte er sich ein Surfbrett und begann ganz alleine draußen zu surfen.
Bis zu sechs Stunden war er täglich im Wasser und verließ es auch dann nur, weil sein Vater ihn mühsam überreden konnte, mit bläulichen Lippen ans Festland zurück zu kommen. Schon nach einem Jahr konnte der kleine Philip Sprünge, an denen sich sein Vater seit 30 Jahren vergeblich versuchte. Mit zwölf startete er bei seinem ersten Weltcup, mit 15 gewann er erstmals gegen die gestandene Elite und mit 17 wurde er in der Wasser-Wildnis von Kitmoller zum ersten Mal Weltmeister - der jüngste seit Naish.
"Ich kann es gar nicht richtig glauben", sagte er fast sprachlos und ein wenig schüchtern in die Kameras, die ihn nach seinem Coup einfangen wollten. Er ist das Gegenteil von Surfer-Legenden wie dem 2012 verstorbenen Andy Irons, der mit lockerem Lächeln durch die Welt surfte, immer nach der nächsten Party suchend, die Mädchen ihm zufliegend, die Drogen immer nah, was ihm letztlich zum Verhängnis wurde.
Auf dem Wasser nur noch Spektakel
Köster freut sich nach Wettkämpfen auf sein Zuhause Vargas, weil "es dort am ruhigsten ist". Er geht selten auf Partys, ist ein Familienmensch, weiß kaum, wo er hingucken soll, wenn die Kameras ihre Objektive in seine Richtung ausrichten. Und das tun sie mittlerweile regelmäßig. Klar, er ist dreifacher Weltmeister, gilt als bester Techniker und Springer des Windsurf-Zirkus, bei dem sowohl die Sprünge in die Wertung eingehen als auch das Surfen der Wellen selbst.
Vier Jahre nach seinem ersten Triumph ist er sichtbar älter geworden. Seine Haare sind kürzer, er trägt jetzt Bart, dem Jungenhaften ist etwas Markantes in seinem Gesicht gewichen. Seine Bescheidenheit und Schüchternheit sind geblieben. Und dennoch: Köster ist ein Star. Einer, der einem von Surfmagazin-Titelblättern entgegen blickt, einer, der von Red Bull ausgestattet wird. Und der Brausegigant nimmt nur die Größen unter Vertrag. Die, die Klasse und Vermarktbarkeit vereinen.
Denn trotz seiner Schüchternheit ist er perfekt geeignet für global angelegte Werbekampagnen, denn: Ist er da draußen im Wasser, dann ist da nichts Ruhiges oder Schüchternes mehr, sondern nur noch ein ungezähmtes Spektakel.Gigantische Sprünge und Starkwind
"Im Duell mit dem Gegner will ich immer den besten Move zeigen", sagt Köster - und hält Wort. Obwohl es beim Aufprall ist, als würde man auf Beton knallen, springt er in die Höhe. Bis zu unfassbare 18 Metern hoch. 2009 stellte er mit dieser Höhe einen bis heute gültigen Rekord auf. Wenn der Wind das Segel packt und ihn in nach oben treibt, dann denkt er nur noch an Drehungen, Salti und den Nervenkitzel. Teilweise sogar noch vor dem Einschlafen, wie er selbst sagt.
Nachdem er den legendären Triple Loop in diesem Jahr auf Gran Canaria fast gestanden hatte, konnte er sich nach eigener Aussage drei Tage nicht schmerzfrei bewegen. "Das war schon eine Gehirnerschütterung", sagt er in etwa so beiläufig, wie Fußballer von leichten Zerrungen sprechen. Denn er nimmt den Schmerz in Kauf, gerne sogar. "Das gehört dazu", sagt er. Mittelfuß, Handgelenk und Rippen brach er sich teilweise mehrfach an.
Er ist ein Starkwindsurfer. Einer, der am liebsten bei Windstärken um die neun aufs Meer rausfährt. Er braucht die rasenden zehn Meter hohen Wellen. Sein Stil hat etwas Brachiales. Mit seinen 90 Kilogramm und seinen 1,93 Metern Körpergröße ist er keiner der filigranen, katzenhaften Surfer, die mit wendigen und kleinen Sprüngen den Tücken des Wassers ausweichen. Köster rast voll in die Wellen hinein, zwingt sie, ihm zu gehorchen und dann hebt er ab und fliegt der Schwerkraft trotzend dem Himmel entgegen.
Das Wellenreiten bleibt vorn
Trotz dieses Spektakels, und obwohl der Sport wächst und an Sponsoren und Stationen auf der Tour gewinnt, bleibt das Windsurfen stets im Schatten des Wellenreitens ohne Segel. Während Videos von Windsurf-Stars wie Naish oder Köster meist höchstens die 200.000-Mauer an Klicks auf YouTube durchbrechen, erreichen die Bewegtbilder der Wellenreit-Ikonen Kelly Slater oder Andy Irons weit über zwei Millionen Views auf der Plattform.Andy Irons im Porträt: Der mit der Welle tanzte
Durch das Segel, die größere Schwerfälligkeit im Vergleich zum freien Surfen, fehlt dem Windsegeln der Sexappeal. Ohne das Segel muten die Wellenreiter wie Künstler an, die freihändig die Ozeane bezwingen, während Windsurfer weitaus menschlicher wirken. Das Segel erscheint Laien oft wie ein Gegenstand, der bloß zum Festhalten am Brett befestigt ist.
Beginn einer Ära?
Nach seinem Doppel-Titel 2011 und 2012 blieb er in den zwei Folgejahren blass, wurde nur Siebter und Sechster. Auch, weil der Wind oft nicht so stark blies, wie er es gerne hat. 2014 etwa gewann der Franzose Thomas Traversa, der unter 1,70 Meter groß ist. Auch seine gefährlichsten Rivalen Marcilio Browne und Victor Fernandez Lopez sind kleiner als er. Deshalb war der Sieg in diesem Jahr "etwas ganz Besonderes". Denn Köster ist nicht nur äußerlich gereift, sondern auch im Wasser. Sein Repertoire ist nun geschliffener, er ist erfahrener, taktiert besser.
Deshalb könnte er eine Ära kreieren. Schließlich ist er erst 21. "Ich möchte den WM-Titel schon zurück. Warum mache ich sonst Wettkämpfe?", fragte er 2012. Selbiges dürfte auch für das nächste Jahr gelten. "Den Hunger auf Siege verlierst du nie", bestätigt Naish. Und der muss es mit seinen 24 Titeln wissen. Auch wenn dies ein Rekord für die Ewigkeit sein dürfte, ist sich der US-Amerikaner sicher, dass Köster den Sport prägt und prägen wird wie kein Zweiter: "Er hat das Surfen auf ein höheres Niveau gehievt und macht Sprünge, die sind einfach unglaublich."
Das Meer als große Liebe
Jetzt hat Philip Köster erst einmal Pause. Er könnte sich am Festland zurücklehnen, Mojitos trinken, sich um seine bald erscheinende eigene Brett-Kollektion kümmern und die "unglaublichen Sprünge" für einen Moment ruhen lassen. Das wird bei Köster nicht passieren. Er wird auch in den nächsten Wochen und Monaten im Wasser sein. Er reist dann mit Freunden um die Welt, um an den besten Stränden zu surfen. Einfach nur so zum Spaß, ohne sich um die Wertung der Punktrichter zu kümmern. "Ich genieße diese Momente. Abschalten, alles andere ist weit weg, es gibt keine Regeln. Eine andere Welt", sagte er der Welt.
Er wird dann an seinem Triple Loop feilen und Wellen suchen, wie die im Norden Dänemarks. Wellen, die anderen so menschenfeindlich erscheinen und wo sein Stern aufging. "Ohne das Meer fühle ich mich als halber Mensch", sagt er und meint damit das echte Meer. Bedrohlich, laut und wild.