Ein Spieltag in dieser Straßenfußballliga führt dem Zuschauer zwar die schwierige Situation der teilnehmenden Kicker vor Augen, macht aber auch den einzigartig verbindenden Effekt des Sportes deutlich: Sobald der Ball auf dem Feld ist, fragt hier niemand mehr, woher der andere kommt. Wie können Clubs einen positiven Einfluss auf die Lage der Flüchtlinge und anderen sozial benachteiligten Jugendlichen nehmen?
In welchen Bereichen kann die Arbeit noch intensiviert werden? Was wird bereits getan? Fakt ist: Die meisten Profifußballvereine setzen längst beispielhafte Zeichen, die weit über das Tragen eines zweifelhaften Trikotaufnähers hinausgehen.
Von Geld- und Sachspenden bis hin zu eigens auf die Beine gestellte Aktionen ist bei vielen Clubs ein Engagement festzustellen, das auf den täglichen Sportseiten natürlich nicht die Schlagzeilen dominiert. Es handelt sind zwar um kleine, aber keineswegs bedeutungslose Rädchen in einem riesigen Komplex rund um verschiedenste soziale Problemfälle.
Es ist schließlich unbestritten, dass der Sport ein großes Potenzial besitzt, wenn es um die darum geht, Menschen aus verschiedensten Lagen zusammenzuführen. Menschen, die sonst wohl kaum positive Berührungspunkte im Alltag hätten.
Seit fast 20 Jahren etabliert
Ich habe vor einiger Zeit einen "buntkicktgut"-Spieltag in der Dortmunder Nordstadt-Liga erlebt. Die Idee zu diesem interkulturellen Straßenfußball-Projekt entstand bereits 1997 in München und war Resultat aus der Betreuungsarbeit von Kindern und Jugendlichen in Gemeinschaftsunterkünften für Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber.
Die Aktion breitete sich bis heute in ganz Deutschland weiter aus. Ziel ist es, jungen Menschen verschiedener Herkunft eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu geben. Die Stärkung des sozialen und kulturellen Miteinanders wird in diesem Zuge gestärkt. Jede Woche erreicht die Aktion mehrere Tausend Jugendliche in Deutschland. Sie kommen aus Flüchtlingsunterkünften, Tagesstätten, Freizeitheimen, Vereinen oder von der Straße.
Meine Fahrt nach Dortmund machte der FC St. Pauli mit seinem Sponsor Relentless möglich, die über ihr gemeinsam initiiertes Projekt "Kiezhelden" soziale Kräfte bündeln. Die "Kiezhelden" fördern verschiedenste Aktionen, so auch die Liga "buntkicktgut", die an diesem Tag eine Spende im vierstelligen Bereich erhielten.
Spendenübergabe in Dortmund
Da ausgerechnet versucht wurde, den FC St. Pauli für seine Verweigerung der eingangs beschriebenen BILD-Flüchtlingsaktion in ein schlechtes Licht zu stellen, hier nochmal der eigentlich überflüssige Hinweis: Die Spendenübergabe in Dortmund, zu der diverse Blogger wie ich eingeladen wurden, fand bereits im Mai dieses Jahres statt und ist nur eine von vielen Aktionen, die der Kiez-Club in diese Richtung mit vorantrieb. Dem Verein fehlendes Engagement vorzuwerfen wäre so falsch wie gewissen Boulevard-Medien Seriosität zu unterstellen.
Dabei ist aber zu betonen, dass "buntkicktgut" auch von zahlreichen anderen Vereinen Unterstützung erhält. Schirmherr der Dortmunder Nordstadt-Liga ist beispielsweise BVB-Profi Neven Subotic, der den Nachwuchsspielern natürlich auch als Vorbild dient. Das Spieljahr der Straßenfußballliga ist in eine Sommer- und eine Wintersaison aufgeteilt.
An mehreren Nachmittagen in der Woche und vielen Wochenenden finden auf verschiedenen Bezirks- und Schulsportanlagen die Ligaspiele mit über 100 Kleinfeld-Teams statt. Die Teilnehmer werden dazu in verschiedene Altersgruppen aufgeteilt. Die Atmosphäre ist locker, das Team steht im Vordergrund, natürlich geht es vor allem auch um den Spaß.
Regelmäßige Kontakte zwischen den Teams
Der Unterschied zu anderen, oft nur sporadischen Fußball-Veranstaltungen liegt in der Kontinuität. Durch das Ligasystem können regelmäßige Kontakte zwischen den Teams intensiviert und eine kontinuierliche Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen ermöglicht werden. Viel wichtiger als die Rahmenbedingungen ist natürlich der Effekt für die Jugendlichen. Entscheidend sei beim Fußball ja nur, so heißt es häufig, was am Ende auf dem Platz herauskommt. Für dieses Straßenfußball-Liga gilt das mitnichten, wie ich bei meinem Besuch in Dortmund feststellen konnte.
Natürlich ist der Sport in erster Linie das verbindende Element. Der Fußball ist ein Medium, das alle kennen und durch das Verständigung auch ohne Worte möglich ist. Die Mannschaften sind international stark gemischt, sodass auch verschiedene Kulturen aufeinandertreffen und im Zuge des Spiels ein gemeinsames Ziel vor Augen haben.
Sobald der Schiedsrichter die Partie anpfeift, geht es um den Sieg, der nur als Team zu erreichen ist. Dafür bedarf es nicht einmal einer gemeinsamen Sprache. Durch das Zusammenspielen entsteht eine Gemeinschaft, welche die Jungen und Mädchen in dieser Form nur noch selten bis gar nicht mehr in ihrem Alltag erleben. Im Gespräch mit einigen der Jung-Kickern wird deutlich, wie wichtig diese Ablenkung für sie ist.
Markus Thorandt unterstützt "buntkicktgut"
Mit Begeisterung befragen die Kids beispielsweise den Ex-Pauli-Profi, Markus Thorandt, der für die Spendenübergabe die Reise nach Dortmund mit angetreten war, über seine härtesten Gegenspieler in der Bundesliga. Ob er schon gegen Aubameyang, Gündogan oder Reus gespielt hätte.
Ob er denn auch einen eigenen Facebook-Kanal hat und Fotos von sich postet. Sie erhaschen Eindrücke von jemandem, der ihren großen Traum lebt. Ein Betreuer erzählt lächelnd, dass sich viele bereits nach einem halben Jahr für einen Wechsel in die BVB-Jugend bereit fühlen.
"Da muss man dann doch ein bisschen aufklären", sagt er mit einem Augenzwinkern. Wobei ich feststellen musste, dass das Niveau während der Spiele teils bemerkenswert hoch war. Einige der Kicker könnten problemlos in höherklassigen Jugendteams spielen. Der Fußball ist hier aber weit mehr als Ablenkung, wirkt darüber hinaus auch als Ventil. Durch die geregelten und moderierten Abläufe dient er auch als Möglichkeit, Frust und Aggressionen abzubauen - natürlich immer im Rahmen des sportlichen Sinnes und Regelwerks. Wenn der Ball rollt, sind schreckliche Bilder der Vergangenheit für einen
Moment vergessen. Der Fokus liegt auf ihrer Leidenschaft, somit auf einer positiven Energie, die auch bei der Verarbeitung anderer Probleme hilft. Das Ausüben des Teamsports setzt ein kooperatives Sozialverhalten voraus und schult dieses in verschiedensten Spielsituationen.
Rudelbildung - auch beim Straßenfußball
So kommt es während meines Besuchs auch zu einer intensiveren Rudelbildung auf dem Platz, rund 15 Spieler sind darin verwickelt. Aber es löst sich auch ohne das Zutun der erwachsenen Betreuer auf, wie es zwar nicht immer, aber meistens der Fall ist. Trotz der sichtbaren Begeisterung der Jugendlichen, wenn sie auf dem Platz stehen, bleiben negative Emotionen natürlich nicht verborgen.
Ein junger Syrer erzählt mir beispielsweise, dass er das Fußballspielen liebt, aber nicht weiß, wie lange er dabei bleiben darf. In seiner Heimat sei es schwierig mit dem Kicken und er wüsste nicht, ob er langfristig in Deutschland bleiben darf. Diese Unsicherheit, dieses Warten auf Klarheit scheint allgegenwärtig und bedrückt viele der Spieler. Die geregelten Tagesstrukturen und Termine durch das Projekt helfen. Beschäftigung gibt es bei "buntkickgut" schließlich auch außerhalb des Bolzplatzes.
Die Jungs und Mädels können sich auch auf verschiedenen Wegen aktiv beteiligen - im Liga-Rat, in der Redaktion des eigenen Straßenfußball-Magazins "buntkicker", als Schiedsrichter oder Street Football Worker. Ein Spieltag auf den "buntkicktgut"-Bolzplätzen in Deutschland erdet den Zuschauer in gewisser Weise.
Fernab von den großen Vereinen, Stadien und Stars wird deutlich, welches Potenzial der Sport, der für viele schlicht in die Kategorie Freizeit fällt, selbst bei einem so großen sozialen Thema haben kann. Natürlich spielen nicht nur ausländische Kinder mit, sondern auch einheimische, die sich auch in einer schwierigen Lage befinden.
Viele Bundesligisten unterstützen soziale Projekte
Kultur, Herkunft und soziale Situation sind genau die Punkte, die dann nicht mehr entscheidend scheinen, sobald die Jugendlichen dem Ball hinterher jagen. Viele Bundesliga-Vereine fördern oder initiieren Projekte, die für sozial in Not geratene Jugendliche - natürlich auch für Erwachsene - eine Stütze sein können. Im Zuge des beschriebenen Projekts erfahren die Spieler eine Anerkennung ihrer Person, unabhängig von ihrer Lebenslage und kulturellen Heimat.
Es geht um Fairness, Toleranz, Partizipation und Gewaltfreiheit. Ein Engagement der Proficlubs in diese soziale Richtung kann man, gemessen an den Möglichkeiten und der großen Reichweite, sicher erwarten. Fakt ist: Es wird bereits einiges auf die Beine gestellt, auch wenn diese Inhalte nicht die Schlagzeilen der Sportseiten füllen.
Dabei sollte festgehalten werden, dass man durchaus den Vereinen die Entscheidung überlassen sollte, wie sie sich sozial engagieren. Die Erfahrung zeigt, dass dabei Projekte und Kampagnen entstehen oder gefördert werden, die es absolut wert sind. Eine Wertigkeit, die eine prinzipiell gut gemeinte, aber mit einem derart faden Beigeschmack behaftete Trikotaufnäheraktion eines Boulevardblattes, bei Weitem nicht erreicht.