Medizinische Feinarbeit in Königsblau

Von Joel Grandke
Kevin-Prince Boateng ist 2013 vom AC Milan zu Schalke gewechselt
© getty

In der Regel fällt er eindeutig in die Kategorie "reine Formsache": der obligatorische Medizincheck vor einem Vereinswechsel. Während der Spieler sich im Hospital auf Herz und Nieren abklopfen und durchleuchten lässt, gehen in den Fan-Shops schon die ersten Trikots mit der Beflockung des sicher geglaubten Neuzugangs über den Tresen.

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Die eingefleischten Fans brüten zuhause bereits über Schlachtgesängen für die Kurve, die sie auf ihren neuen Star umdichten können. Und die Medienabteilung des Vereins wartet nur noch auf das grüne Licht, um die längst formulierte Vollzugsmeldung in den Medienverteiler zu jagen. Alles stets mit dem sicheren Gefühl, dass ja lediglich der lächerliche Medizin-Check aussteht, den jeder Rheuma-Patient noch auf einem Bein bestehen würde. Da kann ja nichts mehr schief gehen. Sicher nicht. Den schafft jeder.

Die Grenzen zwischen zu großem Optimismus und kindlicher Naivität verschwimmen allerdings schneller, als manch einer annimmt. Diese Erfahrung machten in der aktuellen Transferperiode vor allem die Fans der Vereine, die vor der Verpflichtung eines Spielers des FC Schalke 04 standen.

Zunächst musste Abwehr-Recke Felipe Santana (immer noch Schalke) unverrichteter Dinge den Heimweg aus Köln antreten, nachdem beim dortigen Medizincheck ein Muskelfaserriss in der Wade diagnostiziert wurde.

Auf Schalke wird man sich gewundert haben, nach dem Motto: "Ups, der war gestern aber noch nicht da..." Nur wenig später kehrte der wenig geschätzte Sidney Sam (immer noch Schalke) aus seinem Kurzurlaub in Frankfurt zurück, den er eigentlich für eine Vertragsunterschrift bei der Eintracht nutzen sollte.

Blut im Urin sowie erhöhte Nierenwerte wurden ihm nachgewiesen, was sicherlich nicht nur an dem schlechten Essen beim Italiener am Vorabend gelegen haben konnte. Nun machte auch noch die Nachricht die Runde, dass Kevin-Prince Boateng (immer noch Schalke) in Lissabon durch den Medizin-Check gerasselt sei.

Es folgte zwar ein schnelles Dementi, allerdings wird sich bis heute gefragt, ob der AC Milan den Prinzen nicht doch aus gesundheitlichen Gründen so überraschend - nach starken Leistungen - gen Ruhrpott ziehen ließ. Manager Horst Heldt wehrte sich vehement gegen diese Behauptungen. Bei dem orthopädischen und internistischen Medizincheck habe es "keine besonderen Auffälligkeiten" gegeben.

In diesem Zuge stellt sich die Frage, wie solch ein Test auf Schalke überhaupt abläuft. Ich sah es als meine journalistische Pflicht an, der königsblauen Prozedur auf den Grund zu gehen. Wird in Gelsenkirchen tatsächlich gepfuscht? Welche Rolle spielt Dr. Müller-Wohlfahrt? Und überhaupt: Gibt es da auch was von Ratiopharm?

Da mein Hausarzt, dem ich an dieser Stelle natürlich Informantenschutz zugesichert habe (- das bin ich Dr. Claus Meyer aus Hamburg einfach schuldig -), über beste Kontakte verfügt, wurde mir das geheime Original-Protokoll von Boatengs damaligem Medizincheck auf Schalke zugespielt. Hier nun der erschreckende und exklusive Einblick. Aber nicht vergessen: Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker - aber bitte nicht die aus dem Großraum Gelsenkirchen!

1. Formales zum Patienten

Ort, Datum: Gelsenkirchen, 30. August 2013

Name: Boateng

Vorname: Kevin-Prince

Geburtsdatum: 06.03.1987

Größe: 1,86 Meter

Gewicht: _ (... so etwas fragt man doch nicht beim ersten Treffen!)

Körbchengröße: Spieler verweigert Aussage / aus medizinischer Sicht wohl "eine gute Handvoll"

2. Anamnese (Dabei handelt es sich um ein Gespräch zwischen Patient und Therapeut, bei dem die Leidensgeschichte des Patienten aus dessen persönlichen Erfahrung zusammengefasst wird / Protokoll führt der Therapeut):

"Ich fragte den Patienten zunächst, ob er gerade Schmerzen habe, woraufhin dieser über ein starkes Drücken im linken Knie klagte. Ich unterbrach das Gespräch und verabreichte ihm drei starke Schmerztabletten, mit denen Tiermediziner ansonsten Elefanten für operative Eingriffe betäuben.

Ich setzte das Gespräch im Anschluss fort und stellte dem Patienten die gleiche Frage nochmal, woraufhin der Patient von keinerlei Schmerzempfinden berichten konnte. Somit scheint mir die aktuelle Verfassung des Spielers absolut unbedenklich zu sein. (Der Vorrat an entsprechenden Tabletten reicht schließlich locker bis Saisonende. Dopingkontrolleure kennen den Wirkstoff nicht einmal...) Ich fragte den Patienten, ob er sich in der Vergangenheit schwerere Verletzungen zugezogen hatte, woraufhin dieser Geschichten über "Kreuzbandrisse" und "Muskelverletzungen" zu erfinden begann.

Im Augenwinkel sah ich allerdings, wie er dabei leicht die Finger kreuzte, was in der Psychologie als klares Anzeichen einer Lüge gedeutet wird. Ich sehe aus medizinischer Sicht also keine Probleme bei diesem Punkt. Wenn sich der Spieler im Laufe der Spielzeit verletzt meldet, sollte also berücksichtigt werden, dass diese Aussagen offensichtlich nicht immer der Wahrheit entsprechen. Vielleicht ist ein Einsatz also trotzdem möglich.

Auch die Phantomschmerzen im Knöchel, die bei ihm angeblich seit einem Foul an Michael Ballack auftreten sollen, scheinen eher ein Hirngespinst (oder medizinisch korrekt: "verbaler Durchfall") zu sein. Abschließend diskutierte ich die eigentlich wichtigen Fragen mit dem Spieler, die ich wie immer dem Freundschaftsbuch aus der Spielerkabine entnahm: "Was ist deine Lieblingsfarbe? / Welche Eissorte isst du am liebsten? / Wie lautet dein Lebensmotto? / How much is the fish?" Alle Antworten entsprachen aus medizinischer Sicht den Anforderung unseres Vereines."

3. MRT-Untersuchung (MRT (=Magnetresonanztomographie; auch Kernspintomographie)ist ein Verfahren, das zur Darstellung von Struktur und Funktion der Gewebe und Organe im Körper eingesetzt wird):

"Auch bei dieser Station zeigten sich keine Auffälligkeiten. Da die MRT-Röhre unseres Instituts leider gerade in der Reparatur ist, mussten wir an dieser Stelle improvisieren. Ich ließ mich mit dem Patienten kurzerhand unter Blaulichteinsatz in das nahegelegene "Fun-in-the-Sun"-Sonnenstudio in Gelsenkirchen-Buer fahren.

Dort schob ich den Spieler planmäßig zehn Minuten in die Röhre ("Turbo-Bräuner") und überprüfte haarklein seine Reaktion. Das Ergebnis: Keine Rötungen oder Verbrennung. Er sollte somit für ein längeres Sommertrainingslager problemlos gerüstet sein. Die Organe scheinen auch am rechten Fleck. Nach der bewährten Faustformel "Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pils" kann ich berichten, dass der Patient absolut leistungsfähig zu sein scheint.

4. EKG-Messung und Echokardiografie (EKG (=Elektrokardiogramm) ist die Aufzeichnung der Summe der elektrischen Aktivitäten aller Herzmuskelfasern / Echokardiografie ist eine zusätzliche Ultraschalluntersuchung des Herzens):

Bei der routinemäßigen EKG-Messung kam es zu einem kleinen Malheur. Da gerade meine Mittagspause begann, ließ ich meinen medizinischen Assistenten (immerhin im zweiten Semester des Medizinstudiums) diesen Test vornehmen. Anstatt die Elektroden auf dem Brustkorb des Patienten zu platzieren, klebte er sie auf dessen Oberschenkel. (Die Annahme meines jungen Assistenten, dass ein Fußballer doch dort seinen wichtigsten Muskel habe, korrigierte ich bereits in der Nachbesprechung.) Was dann passierte, fällt wohl in die Kategorie "Folgefehler".

Die bedenkliche EKG-Anzeige legte die Vermutung nahe, dass ein Kammerflimmern bei dem Patienten eingesetzt hätte. Folgerichtig und geistesgegenwärtig griff mein Assistent zum Defibrillator, den er dem verdutzten Patienten auf beide Oberschenkel setzte und abdrückte. Nachdem er diesen Vorgang zweimal wiederholte und immer noch keine Besserung auf der Anzeige eintrat, kam ich gerade aus meiner Mittagspause und wies ihn auf seine Fehler hin.

Die anschließende EKG-Messung am Herzen des Patienten verlief reibungslos und ohne Auffälligkeiten. Bei der echokardiografischen Ultraschalluntersuchung habe ich auch ebenfalls Positives zu vermelden: Der Spieler ist nicht schwanger und droht daher auch nicht in nächster Zeit wegen einer Babypause auszufallen!

5. Urinprobe:

Für die Urinprobe schickten wir den Patienten in die dafür vorgesehenen Räumlichkeiten, damit er ungestört sein Werk verrichten konnte. Wir wunderten uns bereits, warum der Patient dafür so viel Zeit benötigte. Ich fragte vor der verschlossenen Tür vorsichtig, ob er vielleicht eine Flasche Wasser bräuchte, damit es funktioniert.

Er solle sich darüber hinaus nicht unter Druck setzen lassen, da wir gut in der Zeit lagen. Die Antwort aus der Kabine: "Was soll ich damit? Ihr hättet hier mal etwas zum Anschauen bereit legen sollen!" Während wir schnellstmöglich versuchten, einen kleinen Zimmerbrunnen zu organisieren, öffnete der Patient bereits die Tür und übergab uns tief schnaufend den Becher.

Dieser war mit einer milchig-klebrigen Flüssigkeit gefüllt, die mit Urin nicht wirklich etwas zu tun hatte. "Bis zum gewünschten Strich konnte ich den nun nicht voll machen, das halte ich auch für etwas überambitioniert", erklärte er kopfschüttelnd. Die Analyse der abgegebenen Flüssigkeit war aus sportmedizinischer Sicht nicht sonderlich aufschlussreich, allerdings konnte dem Patienten eine hervorragende Zeugungsfähigkeit bescheinigt werden.

6. Spiroergometrie (Verfahren während körperlicher Belastung, bei dem durch Messung von Atemgasen die Reaktion von Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel untersucht wird):

Bei der Untersuchung auf dem Trimmrad zeigte der Patient gute Ergebnisse. Wir hatten ihm nach den vorigen Strapazen extra Stützräder an sein Rad gebaut, damit er sich einzig auf das Strampeln konzentrieren konnten. Nachdem wir die Belastung planmäßig erhöhten, fielen die Werte des Patienten merklich ab.

Folglich ließen wir ihn die restliche Zeit einfach im "steil-bergab-mit orkanböigem-Rückenwind"-Modus radeln. Mit einem großen Ventilator versuchten wir das Rückenwind-Gefühl auch im Behandlungsraum zu verstärken. Auch die vorherige EPO-Zufuhr schien Früchte zu tragen.

Nachdem der Patient dennoch schon vor Ablauf der Zeit vor dem Zusammenbruch stand, übernahm mein medizinischer Assistent für die restlichen 20 Minuten den Lenker und trat in die Pedale. Gemeinsam schafften wir es, die nötigen Werte eines Profifußballers zu erreichen. Folglich: Keine Bedenken!

7. Sprungkraftmessung:

Der Patient musste über eine Stange springen, die in einer Höhe von 50 Zentimetern angebracht war. Da er auch beim dritten Versuch die Stange mit den Knien herunterriss, boten wir im die Alternative, dass er auch Limbo unter dieser hindurchtanzen könnte.

Nach und nach hoben ich und mein Assistent die Stange höher, bis er fast gerade unter dieser durchlaufen konnte. Er musste aber durchaus den Kopf stark in den Nacken legen und leicht ins Hohlkreuz gehen, demnach sahen wir den Test als bestanden an.

Zu stark konnte er seinen Rücken nicht beugen, da er nach eigenen Angaben unter einem Bandscheibenvorfall leide, der ihn fußballerisch aber kaum einschränke. Zugegeben hatte der Test nun herzlich wenig mit Sprungkraft zu tun, allerdings kann man sich auf Youtube Videos anschauen, in denen er bei Kopfbällen ziemlich hoch steigt. Fazit: Bestanden!

8. Koordinationsuntersuchung:

Abschließend stand die Überprüfung der motorischen Qualitäten an. Mit speziellen Gummiseilen und Wackelbrettern sollte der Patient seine Koordinationsfähigkeiten unter Beweis stellen. Diese Methoden erwiesen sich aber als ungeeignet. So konnte er nur auf dem Brett stehen, wenn er sich an der Schulter meines Assistenten abstützte.

Mit den Gummiseilen verknotete er sich sogar völlig die Beine, sodass wir ihn erst nach einer halben Stunde Schwerstarbeit aus dieser misslichen Lage befreien konnten. Alternativ spielten wir einfach eine Runde "Twister", bei welcher der Patient beeindruckende Fähigkeiten offenbarte.

Erst, als die rechte Hand auf Gelb, der linke Fuß auf Grün, die linke Hand ebenfalls auf Grün und der rechte Fuß auf Rot musste, brach er zusammen. Aus unserer Sicht hatte er zu diesem Zeitpunkt aber längst bestanden.

9. Fazit:

Der Patient bewältigte alle Station des Medizinchecks mühelos. Aus meiner Sicht bestehen keinerlei Bedenken: Er ist für die Bundesliga absolut gerüstet und kann ruhigen Gewissens verpflichtet werden.

Die Fitness-Werte befinden sich sogar noch im oberen Bereich unseres aktuellen Profikaders. Für die Befürchtungen, dass irgendwelche alten Verletzungen aufbrechen und das Knie für wiederholte Ausfallzeiten sorgen wird, sehe ich keinen Anlass. Da haben wir schon ganz andere Jungs von der Intensivstation auf den Trainingsplatz geholt...

Herzliche Grüße,

Prof. Dr. xxx xxxx

Der FC Schalke 04 im Steckbrief