Mehr als nur "Hau drauf"

Von Roman Brandt
Muay Thai ist einer der ältesten Kampfsportarten der Welt
© getty

Muay Thai ist eine der ältesten Kampfsportarten der Welt. Sie umgibt eine gewisse Faszination, wird aber auch heute noch von vielen Europäern kritisch gesehen. Trotzdem generiert diese Kampfkunst in Deutschland eine immer höhere Popularität. Im ersten Teil wird die Geschichte des Sports vorgestellt.

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Der junge Mann hat einen Auftrag. Der Kopf der Buddha Statue wurde gestohlen - eine Katastrophe für die Menschen in seinem Dorf. Ting soll das Heiligtum, das über das Wohl des Dorfes wacht, wiederbeschaffen.

Mithilfe der ältesten Kampfsportart der Welt, dem Muay Thai, wird ihm das gelingen. So lässt sich die Story des thailändischen Films Ong Bak um Tony Jaa, der weltweit über 20 Millionen Dollar einspielte, kurz skizzieren.

Der stellenweise brutale Film passt gut zum Stigma, welches die thailändische Kampfsportart umgibt: Muay Thai ist brutal, Muay Thai kennt keine Regeln, Muay Thai ist nur was für Schläger. Mit diesen Aussagen tut man der Sportart jedoch unrecht.

Der Vollkontaktsport genießt nicht erst seit der Ong Bak-Reihe große Beliebtheit in Deutschland. Dieser Artikel versteht sich als kleine Ode an Muay Thai - ohne dabei die kritischen Aspekte dieser Sportart zu ignorieren.

The Art of War

Muay Thai ist eine äußerst komplexe traditionelle Kampfkunst, die sich vermutlich aus dem Muay Thai Boran (boran ≙ traditionell) - einem Sport, der mit Waffen und unterschiedlichen Bewegungen, die weit über die waffenlosen Methoden des heutigen Muay Thai hinausgehen, geführt wird - und Krabi Krabong (krabi ≙ Schwert/Säbel, krabong ≙ Stab), einer Kampfkunst mit unterschiedlichen Kurz- und Langwaffen, zusammensetzt.

Das Thaiboxen wird als "Kunst der acht Gliedmaßen" bezeichnet, weil es im Kampf acht Angriffspunkte (Fäuste, Ellbogen, Füße und Knie) gibt. Im klassischen Boxen gibt es nur zwei (Fäuste).

Fünf Runden a drei Minuten

Ein Muay Thai-Kampf geht in der Regel über fünf Runden a drei Minuten. Am Ende setzt sich der Gegner durch, der den besten Mix aus Taktik, Strategie, Kondition, Kraft und Fitness aufbieten kann. Der Schiedsrichter kann den Kampf, sofern er die Gesundheit des Sportlers gefährdet sieht, früher abbrechen.

Geht ein Kämpfer dreimal in einer Runde zu Boden, wird das Duell ebenfalls für beendet erklärt. Früher umwickelten die Fighter ihre Hände mit Stoff, tunkten diese in Leim und tauchten sie in Glasscherben.

Aufgrund der damit verbundenen hohen Verletzungsgefahr wurde diese Art des Kampfes 1929 verboten.

Seitdem kämpfen die Sportler mit handelsüblichen Bandagen und Boxhandschuhen.

Diese "Entschärfung" war auch von essenzieller Bedeutung, damit sich diese Kampfkunst nach dem Ende des zweiten Weltkrieges auch in Europa entwickeln konnte.

Was macht er denn da?

Etwas, dass dem europäischen Zuschauer meist befremdlich vorkommt, ist die rituelle Zeremonie direkt vor dem Kampf. Begeht der Kämpfer den Ring, dann geht er gegen den Uhrzeigersinn alle Ringecken nacheinander an.

Dabei berührt er mit der rechten Hand das Ringseil, während er mit der linken Hand seinen Kopf berührt. Dies geschieht im Glauben, auf diese Weise negative Kräfte außerhalb des Ringes zu lassen. Ist dies vollbracht, beginnt der Wai Khru Ram Muay.

Das ist ein traditioneller Tanz, mit dem der Familie und dem Trainerteam Tribut gezollt wird. Er unterscheidet sich von Kämpfer zu Kämpfer.

Traditionell dabei: Mongkol

Begleitet wird dieser Tanz von einer kleinen Kapelle, die auch während des Kampfes musiziert. Ein weiteres markantes Zeichen der Kämpfer ist der Mongkol - ein Reif, den die Sportler auf dem Kopf tragen und der sie vor der Gefahr beschützen soll. In Thailand ist es außerdem üblich, dass die Kämpfer nicht mit ihrem Familiennamen, sondern unter dem Namen ihres Gyms, den sie repräsentieren, antreten.

Die Haltung ähnelt der des klassischen Boxens. Da der Einsatz von Ellbogen- und Fußschlägen verteidigt werden muss, wird die Deckung beim Muay Thai jedoch etwas höher und weiter vom Kopf weg gehalten. Die Ellbogen werden zum Schutz vor Tritten genutzt und sind daher die ganze Zeit eng am Körper zu lassen.

Auch die Auslage ist der im Boxsport ähnlich. Ein Fuß steht weiter vorne, der Kämpfer gleitet immer wieder vor und zurück. Um seinen Gegner zu bekämpfen, nutzt der Kämpfer Kicks mit dem Schienbein (Roundhouse Kicks), Faust- sowie Ellbogen- und Knieschläge. Auch das Clinchen ist Bestandteil des Sports.

Trotz des Stereotyps, dass im Muay Thai alles erlaubt ist, gibt es einige verbotene Techniken. Kopfstöße, die in der Urform noch erlaubt waren, sind ob der hohen Verletzungsgefahr heute untersagt. Das Nachschlagen auf einen auf dem Boden liegenden oder knieenden Gegner ist ebenfalls verboten. Auch Schläge und Tritte gegen den Hinterkopf, das Knie, den Unterleib und gegen den Rückenbereich sind nicht zulässig

Geschichtsstunde

Die Experten sind sich uneinig, wo genau diese Sportart ihre historischen Wurzeln hat. Es gibt jedoch Dokumente und Aufzeichnungen, die den Sport gar bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen können.

Einigkeit herrscht dagegen bei dem Ursprung von Muay Thai: Es entwickelte sich aus den Kriegskünsten der thailändischen Soldaten.

Diese verwendeten in ihren Gefechten Speere, Bögen und Schwerter. Waren diese abhanden gekommen oder teilweise zu klobig, setzten die Kämpfer ihre Beine, Fäuste und Ellenbogen ein.

Weil die Soldaten damit erfolgreich waren, fokussierte man sich in der Armee immer mehr auf diese Sorte der Martial Arts.

Teil des Trainings der thailändischen Armee

Muay Thai war somit schon immer Teil des militärischen Trainings der thailändischen Soldaten, die auf diese Weise die waffenlose Verteidigung ihres Landes erlernten. Einige Theoretiker gehen davon aus, dass die Thais im Rahmen einer Völkerwanderung aus China kamen.

Daher seien thailändische Kampftechniken auch durch chinesische Einflüsse geprägt. Weil viele Artefakte, die die MT-Entwicklung erklären könnten, in zahlreichen Kriegen verbrannt wurden, kann man den genauen Ursprungsort bzw. zeit des Sports nicht beziffern.

Aufgrund des hohen Stellenwertes von Muay Thai in Thailand arbeiten auch heute noch viele Forscher und Historiker daran, die Historie dieser Kampfkunst nahtlos aufzuarbeiten.

Die dunklen Seiten des Sports

Muay Thai ist der unumstrittene Volkssport in Thailand. Es gibt dort über 60.000 Vollzeitboxer - und das bei einer Population von 60 Millionen. Thai Jungen (und auch Mädchen zum Zwecke der Selbstverteidigung) werden im Laufe ihres Lebens bewusst oder unbewusst das Thaiboxen erlernen.

Man muss jedoch anmerken, dass diese Kampfkunst vor allem ein Phänomen der unteren Schichten ist. Mittellose Thailänder sehen im Kampfsport meist die einzige Möglichkeit zum sozialen Aufstieg. Daher beginnen die Kinder bereits im Kleinstalter mit der Ausbildung. Gewisse Schulen erlauben den Kindern außerdem die Ausbildung.

Um die Schulden dieser abzahlen zu können, müssen die Schüler jedoch Kämpfe bestreiten - und das oft bis zum Karriereende. Viele Kinder werden auch einfach an die Kampfschulen verkauft, um Wetteinsätze oder sonstige Schulden der Eltern zu tilgen.

Betrug und Glücksspiel

Nach der aktiven Karriere bleibt den Kämpfern ebenfalls meist nur das Traineramt als Alternative, um die Existenz zu gewährleisten. Geld spielt im Rahmen dieser Sportart generell eine prominente Rolle. Trotz des Glücksspielverbots in Thailand werden die Kämpfe vom Gros der Zuschauer nur zur Platzierung von Wetten besucht.

In der schwülen und vollen Atmosphäre des Stadions verspielen viele ihren letzten Baht. Überall, wo hohe Geldbeträge im Einsatz sind, hält auch der Betrug Einzug. Unangebrachte Kampfansetzungen (mit etwa massiven Gewichtsunterschieden), manipulierte Kämpfe, bestochene Kampfrichter und Doping sind keine Seltenheit in Thailand.

Etwas, das den Europäern ebenfalls sauer aufstößt, ist die undurchsichtige Bewertungsregelung der Schiedsrichter. Ein klar definiertes Punktesystem wird nämlich schmerzlich vermisst. Oftmals sind die Zuschauer vom Ausgang des Kampfes überrascht. Einige dieser Probleme kennen wir im Westen jedoch auch aus dem Boxsport.

Diese Probleme sind unter anderem Grund für die in der Vergangenheit eher langsame Verbreitung von Muay Thai in den westlichen Ländern. Es gibt aber noch weitere Adaptionsschwierigkeiten: Die akustische dauerhafte Beschallung eines Kampfes mit traditioneller Musik ist dem europäischem Publikum zuwider (man denke nur an das Entrüsten der Europäer wegen den Vuvuzelas bei der Fussball-WM in Südafrika).

Auch die Dominanz der Sportart durch das kleine Thailand ließ die Sportart lange Zeit wie ein rein regionales Phänomen erscheinen. Regelmäßige Fernsehübertragungen suchte man daher im Westen auch in der Vergangenheit vergeblich. Zu speziell war die Sportart, zu fremd die Kultur und zu lang die Namen der Protagonisten.

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