Vom Eis hallten die Jubelschreie glücklicher Spieler, Mannschaftskapitän Marcel Goc vergoß Freudentränen, auf der Tribüne klatschten sich deutsche Olympiasieger beinahe die Finger wund vor grenzenloser Begeisterung. Nach einem Spiel fast wie im Rausch und einem 4:3 (1:0, 3:1, 0:2) gegen Rekord-Olympiasieger Kanada kämpft die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen von Pyeongchang nun sensationell sogar um Gold.
"Heute Abend gebe ich eine Runde Bier aus"
"Verrückt! Verrückte Welt! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, es ist unglaublich, was die Mannschaft hier geleistet hat. Keiner wusste, was heute geschieht", sagte Bundestrainer Marco Sturm, der das Spiel so unbewegt verfolgte, als fließe Eiswasser in seinen Adern. Er versprach seinen Spielern: "Heute Abend gebe ich eine Runde Bier aus." Sein Kapitän Goc ergänzte in der ARD: "Es ist ein unbeschreibliches Gefühl. Ich bin einfach nur happy, ich bin so stolz, dass wir das geschafft haben."
Großes Lob kam direkt nach der Schlusssirene vom ehemaligen Bundes- und Meistertrainer Hans Zach: "Das ist überragend. Der größte Erfolg des deutschen Eishockeys." Am Sonntag (13.10 Uhr OZ/3.10 Uhr MEZ) steht zwischen der erfolgreichsten Mannschaft der deutschen Eishockey-Geschichte und einem "Wunder von Pyeongchang" Rekordweltmeister Russland.
Zach allerdings behauptet: "Im Finale ist alles möglich. Die Chance ist, dass Russland uns unterschätzt." Der große Turnierfavorit besiegte im zweiten Halbfinale den Erzrivalen Tschechien mit 3:0. Silber wie bei den Weltmeisterschaften 1930 und 1953 hat die DEB-Auswahl aber bereits sicher - und damit mehr erreicht als die deutschen Mannschaften, die 1932 und 1976 bei Olympischen Spielen jeweils Bronze gewannen. "Ihr seid ja völlig wahnsinnig", twitterte NHL-Profi Tom Kühnhackl aus Nordamerika.
Spätes Zittern nach drei-Tore-Führung
Vor den Augen von Olympiasiegern wie Kombinierer Johannes Rydzek oder den Rodlern Tobias Wendl und Tobias Arlt überzeugte die deutsche Mannschaft mit Leidenschaft, aber auch mit herrlich herausgespielten Toren und einer Abwehrschlacht in den letzten zehn Minuten gegen die allerdings eher zweitklassige Vertretung des Eishockey-Mutterlandes. "Unwirklich. Damit hatten wir nie gerechnet", sagte Torschütze Frank Mauer.
Durch DEL-Toptorjäger Brooks Macek (16./5:3-Überzahl), Matthias Plachta (24.) und Mauer (27.) ging Deutschland mit 3:0 in Führung - das Kabinettstückchen von Mauer beim dritten Treffer war eine Augenweide. Durch Strafzeiten brachten die Deutschen die Kanadier aber wieder zurück ins Spiel.
Nach Gilbert Brules Anschlusstreffer (29.) bei deutscher Unterzahl schlug Patrick Hager (33.) erneut in Überzahl für die deutsche Mannschaft zurück. Brule musste kurz darauf (33.) nach einem brutalen Check gegen David Wolf vorzeitig in die Kabine.
Nach dem Gegentreffer durch Mat Robinson (43.), einem vergebenen Penalty von Dominik Kahun (44.) und einer Strafzeit von Plachta kam Kanada durch Derek Roy auf 4:3 heran (50.). Mehr aber auch auch nicht, obwohl Kanada am Ende den Torhüter vom Eis nahm.
Deutsches Team hält kanadischem Druck stand
Die Bronze-Gewinner von 1976 hatten ihren Nachfolgern aus der Heimat viel Glück gewünscht. "Die Zeit ist reif, dass neue Helden geboren werden", sagte Alois Schloder dem SID, er sah Parallelen zum "Wunder von Innsbruck": "Die Chemie stimmt, daher ist alles möglich." Rekordnationalspieler Udo Kießling meinte: "Für das deutsche Eishockey hat dieser Erfolg eine große Bedeutung und schiebt vielleicht eine Entwicklung an, die etwas nachhaltiger ist."
Kanada, nach der NHL-Absage fast ausschließlich aus Europa-Legionären zusammengestellt, begann mit starkem Druck. Doch die DEB-Auswahl konnte sich schneller als gegen Schweden befreien. Auch die ersten Unterzahlsituationen überstand sie unbeschadet. Nach dem Führungstreffer von Münchens Torjäger Macek dominierte die deutsche Mannschaft phasenweise das Spiel und hatte die besseren Torchancen.
Als Yannic Seidenberg auf der Strafbank saß, überwanden die Kanadier zum ersten Mal den erneut starken Torhüter Danny aus den Birken. Beim Schuss von Brule in den Winkel war der Münchner machtlos. Danach ging die deutsche Mannschaft erneut mit drei Treffern Vorsprung in Führung, brachte die Kanadier aber durch zahlreiche Straftzeiten wieder heran und sich fast um den Sieg. Aber nur fast.