"In Peking war alles der Wahnsinn"

Von Interview: Jannik Schneider
Dimitrij Ovtcharov will sich im Einzel und im Team eine Medaille erspielen
© getty

In London glich Einzel-Bronze noch einer Sensation. Mittlerweile hat sich Tischtennis-Ass Dimitrij Ovtcharov als China-Jäger Nummer eins etabliert. Im Interview geht er auf das Duell mit den übermächtigen Superstars ein, erklärt, wie er zum Startverbot seiner russischen Vereinskollegen steht und äußert sich zur Wertschätzung seiner Sportart.

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SPOX: Herr Ovtcharov, Ihre Familie stammt aus der ehemaligen UdSSR, zudem schlagen Sie seit einigen Jahren für den Spitzenklub Fakel Orenburg in der russischen Liga und der Champions League auf. Welchen Blick haben Sie mit diesem Hintergrund auf die Debatte um einen Ausschluss russischer Sportler bei den Olympischen Spielen in Rio?

Dimitrij Ovtcharov: Während meines letzten Russland-Aufenthalts wurde darüber viel diskutiert, da ging es vor allem um die Entscheidung für oder gegen die Leichtathleten. Ich komme aus einer Sportart, in der Doping eine untergeordnete Rolle spielt und habe deswegen einen anderen Blickwinkel auf die Thematik. Doch wenn Sportlern irgendetwas nachgewiesen werden kann bezüglich Doping oder sie gar in ein System verwickelt gewesen sind und damit die sportliche Ethik verletzt haben, dann gehören sie auf keinen Fall zu Olympia und müssen hart bestraft sowie gesperrt werden.

SPOX: Wie standen Sie denn zu einem generellen Ausschluss aller russischen Athleten?

Ovtcharov: Den habe ich von Beginn an nicht gut gefunden. Ich kenne ja die russischen Tischtennis-Jungs und so gut wie ich sie jetzt die vergangenen Jahre kennengelernt habe, kann ich mir beim besten Willen kein Doping im Tischtennis vorstellen. Diesen Sportlern, die die olympischen Werte immer geachtet haben, nun ihren Lebenstraum zu zerstören - das wäre schon sehr hart gewesen. Denn sie haben sich ihr Startrecht über viele Jahre hart erarbeitet.

SPOX: Wie oft sind Sie denn in Russland?

Ovtcharov: Ich lebe und trainiere in Düsseldorf. Acht Mal im Jahr bin ich in Russland, überwiegend in Orenburg. Dort spiele ich die Heimspiele in der Champions League. Die russische Liga trifft sich zu Sammelspieltagen, das ist dann auch mal in Moskau und St. Petersburg - oder Ekaterinenburg. Dort finden oft auch die Playoffs statt.

SPOX: Die Sie mehr als einmal erreicht und auch gewonnen haben, genauso wie die Champions League. Wie erleben Sie in Russland die Tischtennis-Mentalität?

Ovtcharov: In Orenburg leben 600.000 Menschen und da sind wir Sportart Nummer eins, auch wenn jetzt die Fußballer in die erste Liga aufgestiegen sind. Das Interesse an Tischtennis ist sehr, sehr hoch. Deshalb wurde vor Jahren schon ein großes Tischtenniszentrum eröffnet. Dort trainieren hunderte von Kindern unter tollen Bedingungen, um für gute Strukturen bis in den Profi-Bereich zu sorgen - auch der Behindertensport ist dort integriert. Da hat sich eine Tischtennis-Hochburg entwickelt, ein echter Hype. Auch deshalb verfügen wir über eine große Heimstärke.

SPOX: Obwohl Sie erst 27 sind, haben Sie auch schon für andere europäische Topklubs wie Borussia Düsseldorf oder Royal Vilette Charleroi in Belgien gespielt. Wo steht da Orenburg im Vergleich?

Ovtcharov: Borussia und Charleroi sind die erfolgreichsten Vereine in der europäischen Geschichte. Orenburg ist aber schon sehr speziell. So eine Professionalität, wie sie Orenburg an den Tag legt, mit Ärzten, Physiotherapeuten, mit dem Management, das uns immer komfortable Flugzeiten organisiert, das findet man sonst wohl nur im Fußball vor. Das macht schon sehr viel Spaß, dort zu spielen. Die Spieler und das Team um das Team herum sind eine eingeschworene Einheit.

SPOX: Und dennoch definieren sich Tischtennisprofis eher als Einzelsportler. Die Chinesen sind das Non plus ultra. Was machen die Sportler aus dem Reich der Mitte denn besser?

Ovtcharov: Tischtennis in China hat einen vergleichbaren Stellenwert wie Fußball in Deutschland. Das Know-How der Chinesen über unsere Sportart ist unglaublich hoch. Es gibt fast unbegrenzte staatliche Fördermittel von klein auf. Es gibt so viele Kids, die im ganzen Land verteilt mit erstklassig ausgebildeten Trainern und Sparringspartnern trainieren. Die Trainingsumfänge sind schon früh sehr hoch, während bei uns in diesem Alter viel Wert auf die schulische Laufbahn gelegt wird. Der professionelle Sport beginnt in Deutschland eigentlich oft erst so richtig mit 18. Zu diesem Zeitpunkt haben Chinesen schon so viel Vorsprung, dass es manchmal so scheint, als wäre das ein ganz anderer Sport, den sie betreiben.

SPOX: Das klingt ja nach Chancenlosigkeit. Wieso können Sie trotzdem mithalten, wie Sie es in der Vergangenheit schon mehrfach bewiesen haben?

Ovtcharov: Ich hatte viel Glück, dass ich durch meinen Vater, der in der UdSSR selbst Nationalspieler gewesen ist, schon sehr früh, sehr professionell trainieren konnte. Auch Timo Boll wurde früh von seinem damaligen Trainer Helmut Hampel gefordert und gefördert. Deshalb sind wir da noch ganz gut dabei. Wenn man gegen die Chinesen erfolgreich sein will, muss man früh anfangen und von guten Trainern trainiert werden. Da hatte ich enorme Hilfe von meinem Vater. Ohne ihn wäre das auf keinen Fall möglich gewesen.

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