Michael Teuber als kritischen Geist zu bezeichnen, ist wahrlich keine Übertreibung. Erst Anfang dieser Woche übte er Kritik an der Wahl des deutschen Fahnenträgers für die Eröffnungsfeier der Paralympics, deren Wettkämpfe seit Donnerstag im Gange sind. Der vierfache Paralympics-Sieger hätte mit Tischtennisspieler Jochen Wollmert bei seinen wohl letzten Spielen lieber einen der erfahreneren Recken als Fahnenschwenker gesehen und äußerte öffentlich sein Unverständnis an der Wahl des vergleichsweise unerfahrenen Weitspringers Markus Rehm. Dass der 48-Jährige dafür nicht nur positives Feedback erntete, nahm der Bayer in Kauf - wie so oft, wenn dem Familienvater etwas persönlich wichtig erscheint.
Es ist daher wenig verwunderlich, dass Teuber in seiner kurz vor dem Abflug nach Rio im Edel-Verlag erschienenen Autobiografie "Aus eigener Kraft", die er zusammen mit Co-Autor Thilo Komma-Pöllath geschrieben hat, trotz seiner Vielzahl an Erfolgen nicht nur von der heilen Sportlerwelt berichtet.
Nach einem schweren Autounfall auf dem Weg mit Freunden in den Surfurlaub 1987 ist der Teenager zwar inkomplett, aber irreversibel querschnittsgelähmt. Die Prognose der Ärzte nach mehreren Operationen ist für Teuber niederschmetternd. Sie bereiten ihn auf ein Leben im Rollstuhl vor, das er langfristig so nicht akzeptieren will.
Teuber schreibt über bisherige Tabuthemen
Über mehrere Jahre kämpft er sich mit langsam zurückkehrender Zuversicht und der nötigen Disziplin zurück in ein selbstbestimmtes Leben und lernt, mit Hilfsmitteln wieder zu Laufen. Bemerkenswert ist dabei, wie offen Teuber die Schwierigkeiten auf dem Weg zurück in den ersten Kapiteln anspricht.
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Dabei werden auch Tabuthemen wie Sexualität und mögliche Inkontinenz bei Menschen mit Querschnittslähmung thematisiert. "Ich habe mindestens fünf Jahre benötigt, bis ich ein wirklich natürliches Selbstvertrauen zurückerlangt hatte", erklärte er auf der Pressekonferenz seiner Buchvorstellung.
Seit nun mehr als zwei Jahrzehnten wird Teubers Leben vom Leistungssport bestimmt. Gänzlich zufrieden ist er mit den Umständen, in denen er und seine Kollegen leben, aber nicht. Dieser Thematik widmet der Paralympicssieger gleich mehrere Seiten:
Teuber: "Behindertensportler und Olympioniken sitzen in einem Boot"
"Leistungssportler werden in Deutschland nicht als Elite wahrgenommen", heißt es im passenden Kapitel "Wir sind Helden zweiter Klasse". Damit bezieht er sich nicht explizit auf Behindertensportler, die meistens trotz Vollzeitjob alles einem mindestens semiprofessionellen Sportlerleben unterordnen.
Teuber bezieht in diesem Statement auch die Olympioniken mit ein: "Wir sitzen ja irgendwie in einem Boot. Etwas überspitzt formuliert: Nach dem Fußball bilden sie die zweite und wir dann die dritte Klasse", erklärte er mit einem Lächeln.
Teuber hat es zwar sportlich dank seiner großen Erfolge - vier Goldmedaillen bei Paralympics sowie 16 WM-Titel - geschafft, sich über die Sporthilfe hinaus mit privaten Sponsoren den Status des Profis zu erarbeiten. Doch der Para-Cycler weiß: "Sportler, die sich auf die Sporthilfe verlassen müssen, führen zu meist ein Leben am Existenzminimum." Dementsprechend habe er mit Wohlwollen die Kritik einzelner Olympioniken am System wahrgenommen, wie sie etwa Schwimmstar Philip Heintz äußerte.
Leser erhält Nachhilfe für Lebenssituation der Berufssportler
Teuber, das wird in seinem Buch deutlich, ist genervt von der fehlenden Wertschätzung für Leistungssportler im Allgemeinen und für ambitionierte Behindertensportler im Speziellen. "Das prägt eine Stimmung in der viel gerechnet und wenig gejubelt wird. Angemessenes Verständnis für die ungewöhnliche Lebenssituation von Berufssportlern, die für Deutschland an den Start gehen, gibt es nicht", schreibt er.
Der Leser erhält durch die gute Zusammenarbeit von Teuber und Komma-Pöllath durchaus angemessene Nachhilfe für diese Verhältnisse. Zudem gibt es einen kurzen Exkurs, welche Wertschätzung Sportler in anderen Ländern erhalten.
Teuber: "Grenzen zum positiven Verschieben"
Michael Teuber sieht seine Biografie in gewisser Weise auch als "Mutmacher-Buch". Er sei sich selbstverständlich im Klaren darüber, dass nicht jeder Rollstuhlfahrer mit dem nötigen Willen irgendwann wieder laufen kann. "Ich möchte auch nicht, dass das so rüberkommt. Es geht vielmehr darum, Grenzen auszuloten, sie auszutesten und nach Möglichkeit zum Positiven zu verschieben."
Teuber selbst ist das auf beeindruckende Art und Weise gelungen. In diesen Tagen startet der Para-Cycler, der mit Frau und Tochter in der Nähe von München lebt, bei seinen 5. Paralympics und strebt im Einzelzeitfahren eine Medaille an. Dort ist er seit 2004 ungeschlagen. Gut möglich also, dass er zu seiner erfolgreichen Laufbahn ein weiteres erfolgreiches Kapitel hinzufügt. Seine Autobiografie ist unabhängig einer weiteren Medaille lesenswert - Sportfan muss man dazu nicht sein.