"Hätte Nationalspieler werden können"

Robert Harting ist ein der deutschen Sport-Legenden
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SPOX: Wenn man die Kinder heute sieht und den ja eher sinkenden Stellenwert des Sports, wie besorgt sind Sie, dass da viel in eine ganz falsche Richtung läuft?

Harting: Ich glaube, wir haben immer noch nicht kapiert, wie viel dort falsch läuft. Klar, den Bäumen geht es gut, weil keine Jungs mehr raufklettern. Super. Ehrlich gesagt ist es die Dummheit der Menschen, die dafür sorgt, dass es immer erst noch schlimmer werden muss, ehe endlich etwas geändert wird. Das wird jetzt eine Generation dauern. Ich muss mir nur anschauen, welches Essen in den Schulkantinen serviert wird. Das regt mich extrem auf. Meine Freundin sagt, dass ich in die Politik gehen muss, wenn ich etwas verändern will. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich nie rosa Pudding mit Sahne hatte. Bei mir kam die Quarkspeise noch nicht aus der Maschine, die hat Mutti damals noch selbst zusammengerührt und hingestellt. Jetzt gibt es in der Sportschule solch ein Essen, das ist schon alles krass. Eigentlich funktioniert in diesem Land doch sehr, sehr wenig. Ich stelle Deutschland die Frage, wo denn hier die Vision ist? Wo soll es denn hingehen in den nächsten 30 Jahren? Aber da kommt ja nichts. Schade.

SPOX: Zurück zu Ihnen: Sie haben alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Olympiasieger, mehrfacher Weltmeister und Europameister. Welcher Erfolg war für Sie der wichtigste?

Harting: Der Olympiasieg war schon der fundamental wichtigste. Der Olympiasieg ist ein internationales Prädikat. Hier geht es um den Urgeist des Sports, er hat eine Einmaligkeit an sich. Es gibt ja auch keinen Vize-Olympiasieger, allein die Wortschöpfung zeigt, dass wir hier über etwas Einzigartiges reden. Er ist auch die einzige Währung, die überall auf der Erde funktioniert. Mehr können wir nicht erreichen. Er bringt dir mehr Reputation als alle anderen Siege.

SPOX: Reputation ja, Geld eher nein.

Harting: Wohl wahr. (lacht) Wir müssen ja auch mal mit dem Gedanken aufräumen, dass ich für meine eigentliche Leistung bezahlt werde. Es ist vielmehr so, dass der Olympiasieg, der aus massivster Aufopferung entsteht, erst der Beginn ist, dass ich mit Leuten reden kann, für die ich dann noch Leistung bringen muss, um dann am Ende Geld zu verdienen. Alles, was vorher passiert, ist quasi eine Risikoinvestition. Aber so ist eben der Markt. Die Fußballer können ja nichts dafür, dass sie so viel verdienen.

SPOX: Der Höhepunkt Ihrer zweiten Karriere soll natürlich der Olympiasieg in Rio werden im August. Wie lange soll die zweite Karriere überhaupt dauern?

Harting: Sie wird auf jeden Fall nicht so lange dauern wie die erste. Ich habe mich mit dem Karriereende auseinandergesetzt und mein Plan ist es, 2018 mit dem Höhepunkt Heim-EM in Berlin abzutreten. Ich will ein schönes Ende haben, bei dem dann auch die Freude am Sport im Vordergrund steht. Das wäre ja jetzt aufgrund der ganzen Querelen im Verband gar nicht möglich. Jetzt aufzuhören, wäre uncool. Also mache ich noch ein bisschen weiter. (lacht)

SPOX: Sie sprechen die IAAF an. Wie zuversichtlich sind Sie, dass sich unter der Regie von Präsident Sebastian Coe wirklich etwas verändert?

Harting: Was jetzt passiert, dass die Nationen, die sich nicht an die Richtlinien halten, ausgeschlossen werden, ist ja ein Gedanke, den wir in Deutschland schon vor fünf oder sechs Jahren hatten. Die Leichtathletik ist in einer interessanten Position in der Hinsicht, dass wir ein weltumspannendes Mitgliedsnetzwerk haben. Wenn der Präsident von einem Kontinent kommt, der überwiegend aus Entwicklungsländern besteht, kannst du keine europäischen Werte erwarten. Das ist völlig klar. In diesen Ländern gilt noch die Urform des Marktes, der Tausch. Gib mir drei Kühe, bekommst du drei Palmen. Wenn Leute aus solch einer Kultur dann hohe Ämter bekleiden, braucht man sich nicht zu wundern, wie die Dinge laufen. Mit Sebastian Coe ist jetzt eine westliche Instanz im Amt, insofern sollte sich eigentlich etwas ändern. Aber ob er der richtige Mann ist? Ich habe sehr, sehr wenig Vertrauen in solch große Institutionen. Ich hoffe es einfach.

SPOX: Meldonium ist durch den Fall Maria Sharapova in aller Munde. Glauben Sie, dass es den Athleten bewusst genug ist, wenn es Veränderungen auf der Liste der verbotenen Substanzen gibt?

Harting: Ganz ehrlich, wenn ich eine E-Mail mit einem Anhang von 25 Seiten bekomme, dann lese ich es nicht, weil das mein tägliches Leben als Sportler nicht zulässt. Normalerweise sollte mein Job das zwar verpflichtend zulassen, aber dann müssten wir jetzt wieder anfangen zu diskutieren, dass es nicht so professionell zugeht, wie viele denken. Letzten Endes ist es alles Amateur-Sport, der an Grenzen stößt. Im Fall einer hochbezahlten Athletin wie Maria Sharapova hätte man ja einfach jemanden hinsetzen können für 500 Euro die Stunde, der die 25 Seiten durchschaut. Das wird ja irgendwie drin sein. Aus Sportler-Sicht wäre die cleverste Variante, gar nichts zu nehmen, aber so riskierst du auch deine Gesundheit und musst akzeptieren, dass der Schnupfen bei dir länger dauert als bei deinem Arbeitskollegen im Büro - das ist auch nicht gerade toll. Im Fall Sharapova verstehe ich nicht, warum es notwendig ist, weil es normal ein Mittel für schwerkranke Menschen zu sein scheint. Menschen haben durch positive Nebenwirkungen von Medikamenten des Öfteren profitiert - siehe Viagra. Es ist der Graubereich, es ist Tuning. Und solange es kein Doping war, ist es auch kein Doping. Aber es ist ja gut, dass entdeckt wurde, dass diese Tuning-Methode ein massiver Eingriff in die körperliche Leistungsfähigkeit ist und entsprechend gehandelt wurde.