SPOX-Höllentrip an den Zuckerhut

Ziel der Träume - und der Reise: Rio mit der berühmten Christusstatue
© getty

Die Reise zu den Olympischen Spielen nach Rio wird für SPOX-Redakteur Felix Götz zu einer 36-Stunden-Odyssee. Eine satte Verspätung, Unwetter, portugiesische Kirchenlieder und das totale Chaos in Salvador sorgen für Wirbel. Ein Erlebnisbericht.

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Mittwoch, 3. August, 17.00 Uhr, Flughafen München: Die schönste Freude ist die Vorfreude. Die ist umso größer, wenn man wie ich erstmals vor Ort von Olympischen Spielen berichten darf. Ich habe mir auferlegt, den Moment vor Beginn des Abenteuers in vollen Zügen auszukosten und bin deshalb überpünktlich.

Ein letzter Kaffee vor dem Check-In, ein Abschieds-Drink nach der Sicherheitskontrolle - jetzt kann es losgehen. Von München via Lissabon nach Rio de Janeiro. In 17 Stunden, so meine grobe Berechnung, würde ich mein Hotelzimmer am Zuckerhut bezogen haben.

19 Uhr, Flughafen München: Delayed ist ein Wort, das man auf keinen Fall am Gate angekommen lesen möchte. Schon gar nicht, wenn es sich dabei um eine zweieinhalbstündige Verspätung handelt.

Ich war zwar immer eine Niete im Umgang mit Zahlen. Aber diese Rechnung leuchtet mir ein: Wenn der Flug von München nach Lissabon um zweieinhalb Stunden verspätet ist, wird es, wenn man in Lissabon 90 Minuten Aufenthalt hat, mit dem Anschlussflug nach Rio eng.

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19.30 Uhr, Flughafen München: "Das können Sie vergessen." Der Mitarbeiter am Service Desk der von mir genutzten Airline weiß, wie man einem Reisenden Mut macht. Der Flieger nach Rio werde kaum warten können. Wie es in Lissabon weiter geht, müsse ich vor Ort klären. Immerhin gibt es Gutscheine, die sofort verprasst werden.

22 Uhr, Flughafen München: Endlich hat die Warterei ein Ende, Boarding Time für den Flug nach Lissabon. Noch viel wichtiger: Den Gesang der 40-Mann-Truppe, die vom Weltjugendtag in Krakau gekommen ist und die Abflughalle seit zwei Stunden "beglückt", bin ich los.

22.05 Uhr, Flughafen München: Pech gehabt. Selbstverständlich besteigt auch die Weltjugendtag-Truppe das Flugzeug nach Lissabon und singt weiter. Portugiesische Kirchenlieder habe ich nun wahrscheinlich alle gehört.

Donnerstag, 4. August, 1.00 Uhr, Flughafen Lissabon: Die erste Etappe ist geschafft, doch die kleine Hoffnung, der Anschlussflug nach Rio könnte vielleicht doch noch erreicht werden, erweist sich als unbegründet. Am Flughafen kümmert sich eine einzige Airline-Mitarbeiterin um diejenigen, die weiter nach Brasilien reisen. Chaos ist so natürlich vorprogrammiert. Ein weiteres Problem: Die Flüge nach Rio sind so kurz vor Olympia natürlich nahezu ausgebucht. Es wird nun versucht, alle Mann auf verschiedene Linien umzubuchen.

1.30 Uhr, Flughafen Lissabon: Zwei ungarische Kollegen sorgen für tumultartige Szenen. Ich habe zwischendurch wirklich die Befürchtung, die beiden könnten der zierlichen Airline-Mitarbeiterin an die Gurgel gehen. Der Grund: Ihr Flugangebot für den nächsten Tag. Sie sollen von Lissabon via Rom und Brasilia nach Rio fliegen und wären somit erst am Freitagmorgen vor Ort.

Es entwickelt sich ein Streitgespräch der feinsten Sorte. Ich habe mittlerweile den Kollegen Frank Kastner von der Deutschen Presse-Agentur getroffen, der in der gleichen Maschine saß und ebenfalls Rio als Ziel hat - und von nun an mein treuer Begleiter sein wird. Gespannt lauschen wir dem Zoff zwischen den Ungarn und der Airline-Mitarbeiterin, der sich letztlich aber doch nervig lange hinzieht.

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2 Uhr, Flughafen Lissabon: Endlich bin ich an der Reihe. "Wenn die Ungarn schon so eine katastrophale Route bekommen, wie wird es mir dann ergehen", denke ich mir. Doch ich hab scheinbar noch einigermaßen Glück. Am nächsten Tag soll ich via Salvador nach Rio fliegen. Einverstanden!

Für die Nacht wird ein Hotel zur Verfügung gestellt. Ich will mein Gepäck haben und erfahre: Das ist auf dem Weg nach Brasilia. Warum weiß nur der Himmel. Egal: Eine Nacht geht auch ohne frische Sachen, immerhin springen drei Stunden Schlaf heraus.

Donnerstag, 11.30 Uhr, Flughafen Lissabon: Schon auf dem Weg zum Gate höre ich den mir vertrauten Gesang. Die Weltjugendtag-Besucher sitzen gleich mit im Flieger nach Salvador. Immerhin geht es diesmal pünktlich los, im Flugzeug gibt es zudem die fast perfekt passende Film-Auswahl in Sachen Olympia-Einstimmung: Ich ziehe mir Dokus über Eddie the Eagle und Jesse Owens rein - was will man mehr?

Donnerstag, 20.30 Uhr deutscher Zeit, Flughafen Salvador: Zwei Stunden bleiben zum Umsteigen, schon die Passkontrolle verschlingt davon die meiste Zeit. Als der Kollege Kastner und ich an einem Gepäckband vorbeigehen, sehe ich aus dem Augenwinkel einen großen grauen Koffer. Der demolierte Griff wird von einem roten Klebeband zusammengehalten.

Von wegen Brasilia: Mein Koffer ist in Salvador! Wo der wohl gelandet wäre, wenn ich ihn hier nicht zufällig entdeckt hätte? Auch wenn mittlerweile die Gefahr besteht, SPOX am Geruch zu erkennen, bleibt keine Zeit, um die Klamotten zu wechseln. Die Zeit drängt, der nächste Check-In muss erfolgen.

Donnerstag, 22.30 Uhr, Flughafen Salvador: Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß. Kaum am Gate angekommen erfahren wir, dass der Flughafen wegen eines Unwetters derzeit komplett gesperrt ist. Die Informationslage ist äußerst mau. Fragt man nicht direkt nach, bekommt man nichts mit.

Donnerstag, 23.30 Uhr, Flughafen Salvador: "Der Flughafen bleibt für den Rest des Tages gesperrt, euer Flug nach Rio wurde gestrichen", sagt man uns am Gate. Wir sollen unser Gepäck wieder abholen und uns außerhalb des Sicherheitsbereichs bei einem Schalter melden. Von dort würden uns ein Hotel und ein neuer Flug am Freitag vermittelt.

Leider werden wir mit unseren Koffern nur von Schalter zu Schalter geschickt. Jeder erzählt uns eine andere Story oder versteht uns erst gar nicht, stimmig erscheint uns nichts. So langsam sind wir genervt. Kollege Kastner versichert zwar, bei seinen Reporter-Reisen an der Seite der deutschen Ringer in Teheran und Weißrussland vogelwilde Sachen erlebt zu haben, an ein ähnliches Chaos könne er sich aber nicht erinnern.

Freitag, 5. August, 0.30 Uhr, Flughafen Salvador: "Wir sitzen in der Kacke", bringt Kastner unsere Situation auf den Punkt. Er bietet sich als Gepäckwächter an und setzt sich in eine Ecke. Ich pilgere daraufhin zum x-ten Schalter und versuche, mein Anliegen zu erläutern.

Als ich mein Flugticket vorlege, springt die kleine, korpulente Frau hinter dem Schalter auf und gibt mir mit den Armen fuchtelnd zu verstehen, dass ich ihr schnellstens folgen solle. Per Schrei durch die überschaubare Flughafenhalle alarmiere ich meinen Begleiter, der sofort mit dem Gepäck herbeigeeilt kommt.

Freitag, 00.40 Uhr, Flughafen Salvador: Die Frau vom Schalter fuchtelt noch immer mit den Armen und drängelt sich mit uns an den Fersen an der Schlange vor der Gepäckabgabe vorbei ganz nach vorne.

"Euer Flug geht doch", bekommen wir zu hören. Unsere Frage nach dem "Wann" wird mit "Jetzt" beantwortet. Zum zweiten Mal hetzen wir durch den Sicherheitscheck und von da aus zum Gate. Eine halbe Stunde später hebt der Vogel mit dem Ziel Rio ab.

Freitag, 3 Uhr, Flughafen Rio: Während der Kollege Kastner scherzt, dass es in Brasilien mit Sicherheit mehrere Rios gebe und wir deshalb garantiert in der falschen Stadt gelandet seien, kommen wir an einem Schild vorbei: Welcome to the Olympic Games 2016 in Rio de Janeiro. Wir haben es fast geschafft.

Freitag, 3.30 Uhr, Flughafen Rio: Wir müssen noch am Flughafen unsere Akkreditierungen einschweißen und damit gültig machen lassen. Das funktioniert überraschend problemlos. Als aber ein Sportfunktionär lautstark vor sich hin flucht, er habe in den vergangenen Stunden auf seinem Direktflug die Hölle durchgemacht und werde nie wieder Holzklasse fliegen, verfinstern sich unsere Mienen in seine Richtung. Wenn Blicke töten könnten ...

Freitag, 4 Uhr, im Taxi zum Hotel: Schon nach wenigen Kilometern stellt sich mir die Frage, wie hier Olympia-Stimmung aufkommen soll? Überall stehen und fahren Soldaten mit Maschinenpistolen in der Hand. Was Sicherheit vermitteln soll, wirkt auf mich eher beklemmend.

Freitag, 5 Uhr, in meinem Hotel: 36 Stunden sind seit meiner Ankunft am Flughafen München vergangen. Jetzt ist SPOX in Rio angekommen. Mit der großen Hoffnung, dass sich das Olympia-Flair noch einstellen möge. Lasst die Spiele beginnen.

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