Eines der letzten Bilder, die es von Bill Johnson gibt, zeigt einen Mann, wie sich kein Mann sehen will. Johnson sitzt in einem Rollstuhl mit sechs Rädern. Das linke Auge ist geschlossen, das rechte beinahe. In einer Tasche an der linken Armlehne stecken ein Trinkbecher und die obligatorischen Zigaretten, vor ihm auf dem Tisch zwei Aschenbecher. Das Bild ist beinahe fünf Jahre alt, geändert hat sich danach wenig. Bis Donnerstag. Da verlor Bill Johnson den Kampf um sein Leben, den er zuletzt allenfalls noch halbherzig geführt hatte.
Johnson war Abfahrts-Olympiasieger, am 16. Februar 1984 in Sarajevo fuhr er, ein 24 Jahre altes Großmaul aus den USA, ein "Nasenbohrer", wie ihn Österreichs Ski-"Kaiser" Franz Klammer verächtlich nannte, allen davon. Mit Ansage! Danach ging es bergab. Zuletzt war Johnson in einem Pflegeheim in Gresham bei Portland im US-Bundesstaat Oregon untergebracht. Bingo um drei, Abendessen um sechs. Er lebte, obwohl er im Juli 2013 beschlossen hatte: Lasst mich in Ruhe sterben. Zweieinhalb weitere Jahre ließ ihn der Tod warten.
Die Karriere von William Dean Johnson begann ungewöhnlich. Mit 17 stand der Kalifornier wegen Autodiebstahls vor Gericht, der Richter stellte ihn vor die Wahl: Ski-Internat oder Knast. Nur sechs Jahre später fuhr er im Weltcup mit, ging allen auf die Nerven mit seiner rüden und überheblichen Art, er war, salopp gesagt, schon ein ziemlicher Kotzbrocken. Nach Sarajevo stürzte er sportlich ab. Er machte sich unbeliebt im Team, für Olympia 1988 qualifizierte er sich nicht.
Richtig aus der Kurve flog Johnson 1992, als sein jüngster Sohn, 17 Monate alt, im Whirlpool eines Freundes ertrank. Sieben Jahre später hatte ihn seine Frau Debbie mit den zwei anderen Söhnen verlassen, Johnson war pleite, lebte in einem Trailer, wollte nicht arbeiten, war ziellos, soff, nahm Drogen. Dann kam ihm eine Idee - und der verhängnisvolle 22. März 2001, als er in Big Mountain/US-Bundesstaat Montana in einem Trainingslauf zu den US-Meisterschaften stürzte.
2002 trug er das olympische Feuer
Um Debbie zurückzugewinnen, um seinem Leben wieder einen Sinn zu geben, hatte sich Johnson "ski to die" (fahre Ski, um zu sterben) auf den Unterarm tätowieren lassen und beschlossen, sich für die Olympischen Spiele 2002 in Salt Lake City zu qualifizieren. Als 41-Jähriger. Nach dem Sturz in Big Mountain und einer Notoperation lag er drei Wochen lang im Koma. Er überlebte. Die linke Gehirnhälfte war seitdem geschädigt, die Beweglichkeit stark eingeschränkt.
Johnson kämpfte sich durch Reha-Maßnahmen, fuhr sogar wieder Ski, sie ließen ihn 2002 das Feuer in Salt Lake City tragen, ehe Wahrnehmung, Erinnerungsvermögen und Urteilsvermögen sowie die Mobilität auch der rechten Körperhälfte nachließen. Dann, 2010, erlitt Johnson einen massiven Schlaganfall. Er wurde nach Gresham verlegt, in die Nähe seiner Eltern. Er konnte sich kaum bewegen und nicht mehr sprechen. Er lebte von Sozialhilfe und Spenden. Immerhin hatte er wieder Kontakt zu seinen Söhnen.
Nach einer Infektion im Juni 2013 verfügte Johnson: keine lebenserhaltenden Maßnahmen mehr! Seitdem wartete er auf den Tod - aber der Tod ließ ihn warten. Bis jetzt. "In den vergangenen drei Wochen hat er die schlimmsten Schmerzen durchlitten", sagte seine Mutter DB Johnson-Cooper der Zeitung The Oregonian. "Er konnte nicht mehr schlucken, er konnte keine Nahrung mehr zu sich nehmen." Das Ende zog sich für einen Mann, dem es im Leben nie schnell genug gehen konnte.