Zwei, drei Gläschen zum Anstoßen - für viel mehr blieb den deutschen Volleyballern nach dem EM-Silber keine Zeit. Bereits um 4.10 Uhr, knapp fünf Stunden nach Spielende, fuhr der Mannschaftsbus am Montagmorgen Richtung Flughafen. Dabei hatte der Teammanager extra einen Club gebucht, doch nach der Niederlage im Fünf-Satz-Krimi gegen Favorit Russland in Krakau kamen Georg Grozer und Co. schlichtweg zu spät. Die Reservierung war bereits abgelaufen.
"Alle haben vorher gedacht, die Russen gewinnen ganz leicht", sagte Bundestrainer Andrea Giani. "Aber das ist Volleyball", fügte der Italiener verschmitzt hinzu. Mehr als ein Bier wollte Giani dann aber doch nicht auf die unglaubliche Leistung seiner Mannschaft trinken, das Turnier hat auch den 47-Jährigen unheimlich viel Kraft gekostet: "Ich muss mich jetzt erstmal erholen."
Schon am Samstag hatte die Auswahl des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) mit dem 3:2 im Halbfinale gegen Serbien Geschichte geschrieben und die erste EM-Medaille einer deutschen Männermannschaft perfekt gemacht. Am Ende waren es sogar nur zwei magere Pünktchen, die das Team vom Titel trennten.
Deutsche "haben keine Angst"
Schon während des Spiels gegen die bislang übermächtig erscheinenden russischen Riesen bekamen die Spieler das Grinsen kaum noch aus dem Gesicht. "Wir haben ein riesengroßes Herz, wir haben keine Angst, vor niemanden", sagte Diagonalangreifer Grozer. Der 32-Jährige wuchs einmal mehr über sich hinaus und lieferte eine Weltklasse-Leistung ab.
Am Ende war Grozer, der bereits in wenigen Tagen zu seinem neuen Klub Nowosibirsk aufbricht, einfach nur dankbar. "Mich haben diese jungen Leute total fasziniert. Ich bin so froh, dass ich hier mitspielen durfte. Danke nochmal, dass Giani mich zurückgeholt hat", so Grozer, der sich eigentlich in diesem Sommer seiner Familie widmen wollte. Doch der Trainer überzeugte den Star von seinem Konzept.
Giani setzt auf eine gesunde Mischung von erfahrenen Spielern und Talenten aus der Bundesliga. Tobias Krick (18) und Julian Zenger (20) von den United Volleys RheinMain beförderte der Trainer kurzerhand in die Startformation - mit großem Erfolg. Beide sind ein Gewinn für die Nationalmannschaft - ebenso wie die Einwechselspieler, die ihre Leistung jederzeit abrufen konnten.
Gianis Schützlinge sind bei dem Turnier in Polen als Mannschaft über sich hinausgewachsen. Gerade im Finale, als das Team den zuvor entrückt spielenden Russen die ersten beiden Sätze im Turnier abnahm, bewiesen sie Siegermentalität und Willenskraft. Dank Giani hielt Deutschland dem Druck stand.
Duell auf Augenhöhe gibt DVV viel Mut für die Zukunft
Dass die neu formierte Auswahl am Ende knapp an einer Überraschung vorbeischrammte, schmälert die überragende Leistung der Spieler und Betreuer nicht - im Gegenteil. Der 14-malige Titelträger ist derzeit eigentlich in einer anderen Liga unterwegs als der europäische Rest, nur die Deutschen lieferten den Russen ein Duell auf Augenhöhe.
Dies könnte so bleiben. Den der Verband hat das Projekt mit Giani langfristig angelegt, Fernziel ist die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele in Tokio. Der 47-Jährige hat einen Vertrag bis 2018, der DVV kann diesen per Option bis 2020 verlängern. Zunächst hat sich Giani aber etwas anderes vorgenommen: "Ich bin hier, um zu gewinnen. Bei nächster Gelegenheit holen wir die Goldmedaille." Am liebsten aber in drei Jahren in Tokio.