Dank seiner "jungen Wilden" muss das deutsche Tischtennis das nahende Ende der "Ära Timo Boll" nicht fürchten. Für Silber und famose Auftritte bei der Mannschafts-WM in Chengdu ohne die angestammten Topspieler verneigte sich die nationale Prominenz des Sports trotz einer erwartbaren 0:3-Abfuhr im Männer-Finale gegen den hochfavorisierten Serienchampion China tief vor der neuen Erfolgsgeneration von Bundestrainer Jörg Roßkopf um Europameister Dang Qiu.
Vorneweg war natürlich Ex-Doppelweltmeister Roßkopf nach nach seinem WM-Verzicht auf die Olympia-Zweiten Boll, Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska voll des Lobes für sein Team. "Dieses WM-Silber", meinte Roßkopf, "glänzt wie Gold. Wir haben Unfassbares erreicht. Das ist eine große Sache für das deutsche Tischtennis. Viele haben uns das nicht zugetraut, aber wir haben ein Superturnier gespielt."
Mit Blick auch auf die vorangegangenen Aufholjagden im Viertelfinale gegen Frankreich (3:2 nach 0:2) und in der Vorschlussrunde gegen Südkorea (3:2 nach 1:2) zog auch Boll persönlich den Hut. "Wir und Ihr können superstolz sein. Das habt Ihr toll gemacht", meinte das 41 Jahre alte Idol in einer Videobotschaft des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB).
Tatsächlich boten seine designierten Nachfolger im fünften Finalduell einer deutschen Männer-Mannschaft mit den chinesischen Drachen bei den vergangenen sechs WM-Turnieren keinen Anlass zu Kritik. Auch Boll, Ovtcharov und Franziska waren in den vorherigen Finals und auch im Olympia-Endspiel 2021 in Tokio gegen die Übermacht China einer Sensation kaum einmal näher als nun Roßkopfs WM-Finaldebütanten gekommen. Im Finale von Chengdu war einzig Qiu ein Satzgewinn vergönnt.
Tischtennis: "Junge Wilde" mit "außergewöhnliche Leistungen"
Trotz der verkraftbaren Abschlussniederlage durften sich Qiu, sein Düsseldorfer Klubkollege Kay Stumper und Ex-Meister Benedikt Duda (Bergneustadt) als Gewinner fühlen. Qiu, weil der Top-10-Spieler seine Feuertaufe als Führungsspieler bestand, Duda besonders wegen seiner Siegpunkte gegen Frankreich sowie Südkorea und der erst 19 Jahre alte Junioren-Europameister Stumper, weil der Teenager spätestens durch sein imponierendes WM-Debüt als Versprechen für die Zukunft gelten muss. Ovtcharov wertete den Erfolg denn auch als Nachweis, "wie breit wir aufgestellt sind. Das flößt unseren Gegnern Respekt ein".
Roßkopf sah seine Hoffnungen jedenfalls erfüllt: "Man muss jungen Spielern frühzeitig Verantwortung übertragen, denn sie müssen rechtzeitig lernen, mit Drucksituationen umzugehen."
Die Verbandsspitze reagierte verzückt. "Ich mag", sagte DTTB-Ehrenpräsident Hans Wilhelm Gäb in Anspielung auf Roßkopfs Vabanque-Spiel bei der Nominierung, "gar nicht mehr von zweiter Garnitur sprechen." Auch DTTB-Chefin Claudia Herweg schwärmte: "Wir sind bei der Nominierung ein hohes Risiko eingegangen. Scheiden wir in der Vorrunde aus, ist die Kritik groß. Aber diese Mannschaft hat einen großartigen Glauben an sich selbst an den Tag gelegt. Solch außergewöhnliche Leistungen entstehen aus Können, Glaube, Wille und Miteinander."
Weil die Roßkopfs Mannschaft wie schon beim EM-Triumph 2021 - ebenfalls ohne die "Dinos" Boll und Ovtcharov - lieferte und die Frauen Bronze gewannen, gelang dem DTTB in Chengdu ein Erfolg mit Seltenheitswert: In der 96-jährigen WM-Historie standen erst zum dritten Mal nach 1997 und 2010 beide DTTB-Teams auf dem Podium. Außerdem kehren die deutschen Europameister-Mannschaften als einzige Medaillengewinner vom "Alten Kontinent" aus China zurück.