"Ich denke nicht, dass es ein großer Schock war. Sie ist eine großartige Spielerin. Ihre Spielweise ist super, super geeignet dafür, auf Gras gut zu spielen." Worte von niemand geringerem als Serena Willams nach ihrer Niederlage gegen Sabine Lisicki. Im Achtelfinale von Wimbledon. Trotz 3:0-Führung im dritten Satz.
Lisicki-Coach Fissette: "Will, dass sie ruhig im Kopf ist"
Auch wenn Williams, mit einer Siegesserie von 34 Matches angetreten und für viele die beste Spielerin aller Zeiten, auf die Bremse trat: Der Sieg von Lisicki sendete durchaus Schockwellen durch die Tenniswelt. Und jetzt, zwei Runden später, ist auch Deutschland infiziert.
Boris und Dirk fiebern mit
Während andere "Drachentöter" von Wimbledon wie Sergiy Stakhovsky (warf Roger Federer raus) oder Michelle Larcher de Brito (besiegte Maria Sharapova) ihren Tag an der Sonne genossen, nur um ein Match später die Koffer zu packen, legte die 23-jährige Lisicki nach, besiegte Kaia Kanepi und in einem wahren Tennisthriller auch noch Agniezka Radwanska.
Die erste Deutsche im Wimbledon-Finale seit Steffi Graf - die Lisicki vor ihrem Halbfinale übrigens per SMS viel Glück wünschte - versetzt Deutschland zumindest für ein paar Tage wieder ins Tennis-Fieber: Während Superstars wie Dirk Nowitzki und Boris Becker per "Twitter" gratulierten, bemühte sich die ARD prompt darum, das Finale am Samstag um 15 Uhr deutscher Zeit im Free-TV übertragen zu dürfen. Eine Flut von Werbespots in den kommenden Wochen wäre keine Überraschung.
1,87 Millionen Euro kann die Tochter eines deutsch-polnischen Vaters und einer polnischen Mutter am Samstag verdienen. Damit hätte sie ihr in bisher sieben Jahren erspieltes Karriere-Preisgeld schon fast verdoppelt. Aber wer ihr nach den letzten Spielen in das vor Freude tränenüberströmte Gesicht schaute, der weiß: Es ist Liebe.
"Boom Boom Bine" lebt ihren Traum
Liebe auf den ersten Blick, um genau zu sein. 2009 stürmt die 1,78 Meter große Rechtshänderin aus dem Nichts bis ins Viertelfinale. Zwei Jahre später ist es sogar das Halbfinale, 2012 wieder die Runde der letzten Acht. Und jetzt der Triumph? "Ich kann nicht glauben, dass ich im Finale bin", rang sie nach dem Krimi gegen Radwanska um Worte.
Lisicki trägt ihr Herz auf der Zunge: "Ich liebe Wimbledon einfach so sehr", stammelte sie ein ums andere Mal nach ihren Erfolgen in die Mikrofone - und man nimmt es ihr ab. Nichts an ihr wirkt gestellt. Wer reagiert schon überrascht, wenn man erfährt, dass ihr Hund "Happy" heißt? Stattdessen muss man konstatieren: Das passt!
Auf dem Platz spiegeln sich ihre Emotionen derart in ihrem Gesicht wider, dass man als Zuschauer einfach mitgehen muss. Der Wechsel von Zuversicht zu Unsicherheit und Frust, von Verzweiflung zu einer wilden Entschlossenheit und schließlich zu gelöster Ekstase nach dem verwandelten Matchball gegen Radwanska kommt an auf der Insel, auf der man "Boom Boom Bine" schon fast adoptiert zu haben scheint.
Bartoli: Der beidhändige Flummi
Marion Bartoli sorgt durch ihre Art und Spielweise dagegen zuallererst für Befremdung. Zwischen Ballwechseln wirkt sie fast hyperaktiv, absolviert Probeschwünge und hüpft vor dem Return ständig auf und ab. "Ich will meine Gegnerin damit nicht entnerven", erklärt sie ihr Energizer-Bunny-Dasein. "Ich versuche einfach, für den folgenden Punkt bereit zu sein." Emotionen zeigt sie bis auf die im Damentennis obligatorische Faust nach wichtigen Punkten keine, das Gesicht bleibt regungslos.
Erstes Markenzeichen ist bei der 28-Jährigen jedoch die beidhändige Vorhand: Als Kind spielte die Linkshänderin zuerst mit Rechts, hatte mit der Vorhand dann aber zu wenig Kraft. Der Vorschlag, doch beidhändig zu agieren, stößt erst auf Gegenliebe, als sie Monica Seles im French-Open-Finale sieht. "Das sah sehr simpel aus", erinnert sie sich. "Ich habe es ausprobiert und, bumm, sofort war die Vorhand sehr gut." Die so verkürzte Reichweite gleicht sie mit einem besonders langen Schlägerhals aus.
Ohne den Papa geht es nicht
2007 stand Bartoli schon einmal im Wimbledon-Finale, schaltete auf dem Weg ins Endspiel Justine Henin aus, verlor dann aber glatt mit 4:6 und 1:6 gegen Venus Williams. Ein Vorteil gegenüber Lisicki? "Dieses Mal hat sie die Erfahrung", betont Amelie Mauresmo, Siegerin von 2006, die Bartoli in London betreut. "Vielleicht hilft ihr das im Finale."
Mauresmo hat, zumindest kurzzeitig, die Aufgabe von Vater Walter Bartoli übernommen. Der frühere Arzt und passionierte Schachspieler coachte seine Tochter, auf der WTA-Tour ja nicht unüblich, fast über ihre ganze Karriere, oft mit unkonventionellen Mitteln. Ganz ohne Reibereien lief es nicht ab: 2011 geriet er, in Wimbledon auf der Tribüne sitzend, sich mit ihr derart in die Haare, dass sie ihn aufforderte, den Platz zu verlassen.
Trotzdem gehört er dazu. Da sie sich im französischen Fed-Cup-Team weigerte, ohne den Papa an der Seitenlinie anzutreten, was gegen interne Regeln verstößt, spielte sie von 2004 bis Anfang 2013 kein einziges Mal für die Grande Nation - und musste sogar auf die Olympischen Spiele in London verzichten. Das kam in der Heimat ganz und gar nicht gut an, mittlerweile lebt sie in der Schweiz.
Im September 2012 entschied sie sich dann, auf ihren Vater als Trainer zu verzichten. "War es eine harte Entscheidung? Natürlich", gibt sie zu. "Aber es war Zeit, etwas anderes auszuprobieren." Nachdem Gerald Bremond und Jana Novotna, die vor 15 Jahren hier gewann, im Frühjahr nach jeweils nur einem Turnier das Handtuch warfen, war Vater Walter im Mai wieder an ihrer Seite. In London telefoniert sie täglich mit ihm - ohne geht eben doch nicht.