"Als ich in der Highschool war, habe ich mich dafür geschämt, anders zu sein. Ich wollte wie die anderen sein: einfach nur normal", sagt Nathan Leigh Charles mit einem Lächeln.
Die Worte gehen ihm Jahre nach dem Schulabschluss leicht über die Lippen. Sie sind Teil eines Lebenswegs, der so nie vorgesehen war.
Eigentlich sollte Charles schon lange tot sein. Gestorben an den Folgen von Mukoviszidose.
Schockdiagnose nach drei Monaten
Drei Monate nach seiner Geburt am 9. Januar 1989 hatten Charles' Ärzte die vererbte Stoffwechselerkrankung diagnostiziert. Die Nachricht traf seine Eltern, Heike und David, aus heiterem Himmel.
Hoffnung gab es keine, die Diagnose kam einem Todesurteil auf Zeit gleich. Nur ein paar wenige Jahre würde es dauern. Nicht einmal seinen zehnten Geburtstag sollte der Junge aus Baulkham Hills nordwestlich von Sydney erleben.
"Es war schwierig, emotional und irgendwie auch Angst einflößend", erinnert sich Mutter Heike. "Wir lebten für jeden einzelnen Tag, den unser Kind erleben würde."
Ein Tanz im Grenzbereich
Trotz der schweren Erkrankung, bei der die Sekrete der Düsen zäher als bei einem gesunden Menschen sind und so die Infektionsgefahr von Lunge, Bauchspeicheldrüse und anderen Organen wie der Leber extrem erhöhen, sollte ihr Sohn ein normales Leben führen.
Der Junge aus einfachen Verhältnissen spielte unter anderem Tennis, bevor er im Alter von fünf Jahren beim Wahroonga Tigers Rugby Club vorstellig wurde. Es war Liebe auf den ersten Blick. Seine Eltern hatten zwar Bedenken aufgrund der Belastung, die der Sport mit sich bringt, ermutigten ihn aber. Auch die Ärzte unterstützten die Betätigung, wenngleich sie ein großes Risiko mit sich brachte.
Der Körper eines Rugby-Spielers wird immensen Anforderungen ausgesetzt, die selbst bei gesunden Menschen ein Höchstmaß an Zähigkeit erfordern. Für einen Mukoviszidose-Patienten kann jede harmlose Erkältung zur lebensbedrohlichen Gefahr werden, im Durchschnitt werden die Betroffenen nur rund 40 Jahre alt. Die Folge ist ein ständiger Tanz auf der Rasierklinge.
Wenn Charles am 9. Januar 2017 seinen 28. Geburtstag feiert, hat er den Drahtseilakt aber nicht einfach nur überlebt, sondern deutlich mehr geschafft. Er ist der einzige Profi-Sportler in einer Vollkontaktsportart, der an Mukoviszidose leidet.
Widersacher im eigenen Körper
Charles lebt seinen Traum, obwohl er seit seiner Kindheit neben den Gegnern auf dem Feld auch den Feind in seinem Inneren bekämpft. "Es hat mir schon damals einfach unheimlich viel Spaß gemacht, auf dem Feld zu stehen. Ich habe es von Anfang an geliebt, Leute zu tackeln", blickt er zurück. "Es ist wichtig, die Courage zu haben, sich seinen Ängsten zu stellen. Wenn man sich von ihnen einschränken lässt, blendet man sich selbst."
Nur wenige Menschen wussten von seinen Problemen, von außen ist die heimtückische Krankheit nicht zu erkennen. "An schlechten Tag ist es, als würde man durch einen Strohhalm atmen. Die Luft, die in die Lungen kommt, scheint niemals genug zu sein", sagt Charles.
Als Teenager haderte er mit seinem Schicksal, zweifelte und kämpfte dennoch weiter. Vor allem in der Zeit auf der Highschool habe es dunkle Stunden gegeben.
Harte Arbeit zahlt sich aus
Nachdem er mit 19 für Gloucester in England spielte, wurden die Scouts aus seiner Heimat auf ihn aufmerksam. Kurze Zeit später ging es für ihn in die prestigeträchtige Super League, in der die Mannschaften aus Südafrika, Neuseeland und Australien ihren Meister ausspielen, zum Team Western Force.
Auf dem Feld kam Charles dabei eine zentrale Rolle zu. Als Hakler steht er in der ersten Reihe, ist einer der entscheidenden Spieler im Gedränge. Auch die Einwürfe übernimmt der Australier, der sich neben dem Sport einen Bachelor in Geschichte und Wirtschaft erarbeitet hat.
Der Spitzname 'Der Unaufhaltsame', angesichts seiner Krankheit auch abseits des Platzes passend, ist hart erarbeitet. Bei einer Größe von 183 Zentimetern bringt Charles 104 Kilo auf die Waage. Charles ist einer der Besten seiner Zunft. Raum für Zweifel gibt es inzwischen keinen mehr in seinem Leben.
Ein Traum geht in Erfüllung
Im Jahr 2014 gelang ihm sogar der Sprung in die Auswahl der Wallabies. "Er trotzt der Wissenschaft und der Logik", sagte Ewen McKenzie, ehemaliger Coach der Nationalmannschaft aus Down Under, damals. "Schaut man sich die Symptome einer Mukoviszidose-Erkrankung an, dann hat der Sport eigentlich keinen Raum."
Für Charles war es eine weitere Etappe. "Damals ging für mich ein Traum in Erfüllung. Mir diese Farben überstreifen und mein Land zu repräsentieren zu dürfen, besser kann es nicht werden", schildert er.
Die Einstellung zu seiner eigenen Krankheit haben die Erfolge geändert. Selbst als Profi behielt Charles sein Schicksal zunächst für sich. Die Angst, über die Krankheit definiert zu werden, war zu groß. Dem 27-Jährigen war bewusst, dass lautstarker Applaus aufgrund seiner Fähigkeiten und höflicher Beifall für einen Kranken mitunter sehr nah beisammen liegen.
Nathan Charles, der Rugby-Spieler
"Ich will der Rugby-Spieler sein, der Mukoviszidose hat - und nicht der Mukoviszidose-Typ, der halt auch Rugby spielt", erklärte Charles später. "Ich möchte einmal zurückschauen und wissen, dass ich das alles aus eigener Kraft geschafft habe."
Den Respekt seiner Mitspieler und der Fans hat er sich inzwischen erarbeitet. "Ich habe nie gesehen, dass er es sich leicht gemacht hat. Er rennt sogar noch mehr als andere", erklärte Ex-Teamkollege Patrick Dellit, mit dem Charles während seiner sechs Jahre bei Western Force auf dem Feld stand.
"Er ist ein besonderer Typ, der ein Nein als Antwort nicht akzeptiert", so Rory Walton, der ebenfalls bei Western Force unter Vertrag stand. Charles habe sich von seiner Erkrankung niemals aufhalten lassen, das zu erreichen, was er wollte.
Mittlerweile spricht Charles offen, engagiert sich für Aufklärung und Forschung im Kampf gegen Mukoviszidose und sammelt Spenden. "Ich musste mir erst selbst beweisen, dass ich gut und stark genug war", sagt der Australier, den es inzwischen zur ASM Clermont Auvergne nach Frankreich verschlagen hat.
Ein Kampf, der niemals endet
Sein eigener Kampf, der in den letzten Monaten durch Verletzungen zusätzlich erschwert wurde, ist nicht zu Ende - und wird es auch niemals sein.
Täglich muss er bis zu 30 Tabletten nehmen, damit sich sein Körper der Krankheit widersetzt. Dazu gehören Enzyme der Bauchspeicheldrüse, schleimverflüssigende Wirkstoffe sowie Antibiotika.
Charles muss inhalieren und Atemübungen machen, um den Schleim zu lockern, der sich in den Atemwegen bildet. Er würde den Nährboden für Bakterien bieten, die Entzündungen verursachen und so auf lange Sicht gesehen das Gewebe zerstören können.
Er weiß, dass er ihn eines Tages verlieren wird. Doch eine Gewissheit wird ihm keiner nehmen: "Ich habe die Krankheit niemals mein Leben bestimmen lassen und sie wird es auch nie tun."