Dabei musste Kittel sein ganzes Können unter Beweis stellen. War er am Montag in London noch mustergültig von seinem Team in Position gebracht worden, ging Kittel den Zielsprint im kurvenrreichen Finale aus der zweiten Reihe an. Lange schien der Thüringer geschlagen, doch mit einem beeindruckenden Kraftakt schob sich der Überflieger noch am scheinbar sicheren Sieger Norweger Alexander Kristoff (Katjuscha/Norwegen) und dem Franzosen Arnaud Démare (FDJ.fr) vorbei.
"Das hat richtig Kraft gekostet. Es war schwierig. Ich musste heute wirklich alles geben", sagte Kittel. In der deutschen Bestenliste schloss er mit seinem siebten Tour-Tageserfolg zu Jan Ullrich auf, vom deutschen Rekordhalter Erik Zabel trennen ihn nur noch fünf Siege. Insgesamt war es der 73. deutsche Tour-Etappenerfolg. "Heute haben wir gesehen, dass wir nicht unschlagbar sind. Das war eine knappe Geschichte", sagte Kittel.
Die 4. Etappe in der Übersicht
Die letzten zwei, drei Kilometer hatte er improvisieren müssen, denn "es war schwer, mit dem Team zusammen zu bleiben", sagte Kittel, der mit seiner Leistung an einen Etappensieg beim Giro d'Italia im Mai erinnerte. Damals hatte Kittel aus ähnlich ungünstiger Position gesiegt. "Er ist einfach allen überlegen", sagte Kittels deutscher Teamkollege John Degenkolb.
Greipel-Teamkollegen stürzen
Eine weitere Enttäuschung erlebte derweil André Greipel, der im Finale erneut nicht mit den besten mithalten konnte. Bereits 30 km vor dem Ziel hatte der Rostocker einen schweren Rückschlag zu verkraften, als drei seiner Lotto-Teamkollegen stürzten. Doch während Bart De Clercq (Belgien) und Lars Ytting Bak (Dänemark) weitermachen konnten, musste in Anfahrer Greg Henderson (Neuseeland) einer seiner wichtigsten Helfer seine Tour-Teilnahme verletzungsbedingt beenden. Für den Rest der Frankreich-Rundfahrt bedeutet dies eine enorme Schwächung.
Eine Schrecksekunde erlebte Titelverteidiger Christopher Froome. Der 29-Jährige vom Team Sky stürzte zu Etappenbeginn im hinteren Teil des Feldes. Zwar stieg der Brite schnell wieder auf sein Rad, musste aber medizinisch betreut werden. Froome zog sich eine große Schürfwunde am linken Oberschenkel zu, auch sein Handgelenk wurde in Mitleidenschaft gezogen. Ob er sich schwerer verletzt hat, war zunächst unklar.
Mate hadert mit technischem Defekt
Härter traf es den früheren Tour-Sieger Andy Schleck. Der Luxemburger trat aufgrund einer am Montag nach einem Sturz erlittenen Knieverletzung nicht mehr an, für Schleck ein neuerlicher Tiefpunkt seiner sportlichen Krise. "Das ist ein schwerer Schlag für mich", schrieb Schleck via Twitter.
Erwartungsgemäß hatte sich früh eine Fluchtgruppe gebildet, Frankreichs Publikumsliebling Thomas Voeckler (Europcar) und der Spanier Luis Angel Mate (Cofidis) setzten sich ab. 60 km vor dem Ziel fiel Mate wegen eines technischen Defekts ins Hauptfeld zurück, Voecklers Solofahrt war aufgrund der Nachführarbeit von Giant-Shimano rund 20 Kilometer vor dem Ziel beendet.
Für das Peloton heißt es am Mittwoch: festhalten. Denn bei der 155,5 km langen fünften Etappe vom belgischen Ypern nach Arenberg Porte du Hainaut führt die Strecke über neun Kopfsteinpflaster-Passagen. Die vom Frühjahrsklassiker Paris-Roubaix gefürchteten Pavé-Sektoren sind bis zu 3,7 Kilometer lang und werden Mensch und Material alles abverlangen. Die Teams der Favoriten auf den Gesamtsieg werden alles daransetzen, ihre Kapitäne sicher über die schwierigen Streckenabschnitte zu eskortieren. Klassikerspezialisten wie der deutsche Radprofi John Degenkolb rechnen sich dagegen einiges aus.