Nach seiner 51,115 Kilometer langen Rekordfahrt in die Rente hängte Jens Voigt unter dem Jubel der 16000 Zuschauer sein Rad an den symbolischen Nagel und atmete einmal tief durch. "Ich bin überglücklich", sagte der erste deutsche Stundenweltrekordler am Eurosport-Mikrofon: "Jetzt kann ich nach Hause fahren, meine Kinder in den Arm nehmen und sagen: Papa hat was geschafft."
Als erster Deutscher trug sich der Berliner bei seinem Stundenweltrekord einen Tag nach seinem 43. Geburtstag in Grenchen in die Liste ein, in der Legenden wie Eddy Merckx, Fausto Coppi und Jacques Anquetil stehen. "Dass ich da jetzt auch meinen kleinen Namen lesen darf, macht mich sehr, sehr stolz", sagte "Voigte", der seine Karriere nach 18 Profijahren mit dem Rekord von Grenchen beendet.
Standing Ovations
Unter dem tosenden Jubel der Zuschauer, die ihn mit Standing Ovations durch die letzten Runden trugen, erreichte Voigt in Grenchen sein großes, sein letztes Ziel - deutlich schneller als der Tscheche Ondrej Sosenka bei seinen 49,700 km 2005 in Moskau.
Im Ziel war Voigt zunächst zu erschöpft für große Gesten, vollkommen erledigt nahm er als erstes die Gratulation seiner Eltern entgegen und winkte mit einer Hand ins Publikum. Wenig später hatte er sich aber schon wieder gefangen: "Ich wusste ja, ich quäle mich zum letzten Mal in meinem Leben. Ab jetzt gibt es keine Schmerzen mehr."
Letztes große Ding
Einen "Tick zu schnell" sei er die Rekordfahrt angegangen, "deshalb musste ich auch in den zweiten 20 Minuten ein bisschen den Dampf rausnehmen". Dann zeigte ihm ein kurzer, schneller Blick auf die Uhr, dass es reichen würde. "Ich hab dann trotzdem nochmal einen Ticken zugelegt, schließlich war es das letzte große Ding in meinem Radsportleben."
Er wolle nicht langsam in die Rente rollen, sondern mit einem Knall abtreten, hatte Voigt dem übertragenden TV-Sender "Eurosport" im Vorfeld gesagt. Als dann der Weltverband UCI im März 2014 die Regeln änderte und wieder spezielle Zeitmaschinen mit Triathlonlenker und Scheibenrädern für die Stundenhatz zuließ, habe er sich gedacht: "Warte mal, das kann ich schaffen."
Eine Stunde vor dem offiziellen Start seiner Zeitenjagd hatte sich Voigt 30 Minuten lang zu den Klängen von Metallicas "Turn the Page" im Windschatten eines Mofarollers warmgefahren. Seine Rekordjagd ging er sehr schnell an, achtete aber dabei immer auf die Tafeln, die ihm sein Schweizer Betreuer Daniel Gisiger immer wieder zeigte. Nur nicht zu schnell, nur nicht so kurz vor dem Ziel doch noch einbrechen.
Kampf wurde härter
Nach zehn Kilometern war Voigt bereits 12,5 Sekunden schneller als der für den Rekord errechnete Fahrplan, nach 20 Kilometern hatte er das auf 24,3 Sekunden ausgebaut. Ganz ruhig saß der sechsfache Familienvater im Sattel seiner Maschine mit den schwarzen Scheibenrädern im Chronografen-Design.
Wie ein Uhrwerk drehte er einen Tag nach seinem 43. Geburtstag seine Runden auf dem 250 m langen Oval. Nach einer knappen halben Stunde ging er zum ersten Mal aus dem Sattel, um den Rücken ein wenig zu entlasten, dann ließ er sich wieder in die Standardposition zurückfallen.
Eine Viertelstunde vor dem Ende wurde deutlich, dass der einsame Kampf, den Jens Voigt gegen die Uhr und gegen sich selbst führte, härter wurde. Immer wieder rutschte er im Sattel hin und her, um seine Sitzposition zu verändern, die Zeiten, die bis dahin kontinuierlich bei 17,9 lagen, fielen. 17,5, 17,3, 17,1 - dennoch blieb er mit dem unermüdlichen Stakkato seiner Beine im Plan.
Neue Welle losgetreten
"Ich bin froh, dass ein Sportler wie Jens Voigt mit einem so hohen Bekanntheitsgrad diesen Rekordversuch fährt", sagte Brian Cookson, der Präsident des Radsport-Weltverbandes UCI, vor dem finalen Showdown in Grenchen: "Ich hoffe, dass er viele andere animiert, es auch mal zu versuchen."
Voigt könnte durchaus eine neue Welle losgetreten haben, neben dem Schweizer Fabian Cancellara haben bereits der frühere Tour-Sieger Bradley Wiggins und auch Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin bekundet, durchaus Interesse am Stundenweltrekord zu haben. "Ich habe meinen Rekord, jetzt müssen die anderen zeigen, dass sie es besser können", sagte Voigt nach seinem großen Finale. Er hat vorgemacht, wie es geht.