In dem zweiseitigen Brief nannte Mercedes "manche Entscheidungen der Rennleitung" desillusionierend: "Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass die Entscheidung inhaltlich falsch war." Übergeordnet falle zudem "die Inkonsistenz in den Entscheidungen der Rennleitung auf".
In Spielberg war der Kanadier Wickens in Führung liegend disqualifiziert worden, nachdem Mercedes einen Aufstand gegen die Rennleitung geprobt hatte.
Vorausgegangen waren turbulente Szenen beim sechsten Saisonrennen: Nach einem Boxenstopp hatte die Mercedes-Crew Wickens aus Sicht der Regelhüter zu früh losgeschickt und damit einen Unfall mit dem früheren Formel-1-Piloten Timo Glock riskiert.
Für diesen "Unsafe Release" kassierte Wickens standardmäßig eine Durchfahrtsstrafe. Dies teilte ihm sein Kommandostand jedoch nicht mit, da zeitgleich Diskussionen mit der Rennleitung über die Sanktion geführt wurden.
"Eine der krassesten Fehlentscheidungen"
"Das war eine der krassesten Fehlentscheidungen, die die DTM je gesehen hat", sagte Wolfgang Schattling, DTM-Verantwortlicher bei Mercedes, später. Nach sofortiger telefonischer Absprache mit Wolff habe man daher versucht, die Rennkommissare zu überzeugen. Als Wickens die Strafe innerhalb der folgenden drei Runden nicht pflichtgemäß antrat, sah er die schwarze Flagge.
Dass der Mercedes-Protest während des Rennens allerdings von vornherein chancenlos war, stellte der DMSB unmittelbar nach dem Rennen klar: Artikel 17.2 des sportlichen Reglements schließt unter anderem Einsprüche gegen Durchfahrtsstrafen aus, weil es sich hierbei um Tatsachenentscheidungen handelt - ähnlich wie im Fußball.
Auch der langjährige Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug hielt den Einspruch während des Rennens für unangebracht, die Strafe hätte Wickens nach Meinung des "ARD"-Experten antreten müssen: "Den Ansagen der Rennleitung muss man Folge leisten."
"Überzeugt, keinen Fehler begangen zu haben"
Das sieht Mercedes auch mit einigen Tagen Abstand etwas anders: "Letztlich war die Aktion also per definitionem kein 'Unsafe Release'. Dies hatten wir bereits während der Untersuchung der Rennleitung so mitgeteilt. Leider kam es dennoch zu einer Durchfahrtsstrafe, die wir aber im Wissen der Diskussion mit der Rennleitung sowie auch unserer Überzeugung, keinen Fehler begangen zu haben, nicht angetreten haben. Wir fuhren hier ganz klar um den Sieg - diese Möglichkeit wurde uns genommen."
Mercedes sei zudem "ganz unabhängig von dem nun vorliegenden Fall" der Meinung, "dass in der DTM eine durchgängigere und insbesondere nachvollziehbarere Vorgehensweise bei potenziellen Vergehen und deren Bestrafungen angewandt werden muss. Im Zweifel müssen Entscheidungen im Sinne des Sports und spannenden Racings getroffen werden - ansonsten sehen wir die Glaubwürdigkeit der Rennserie und deren Attraktivität als populärste internationale Tourenwagenserie mittelfristig gefährdet."
Die angesprochene DTM-Kommission besteht aus den Sportchefs der drei in der DTM vertretenen Hersteller, Wolfgang Ullrich (Audi), Jens Marquardt (BMW) - und eben auch Toto Wolff. Weiter gehören der Vorstandsvorsitzende des DTM-Rechteinhabers und -vermarkters ITR, Hans-Werner Aufrecht, sowie DMSB-Ehrenpräsident Hermann Tomczyk, DMSB-Präsident Hans-Joachim Stuck, DMSB-Präsidiumsmitglied Gerd Ennser und DMSB-Generalsekretär Christian Schacht zur Kommission.