Sie haben am vergangenen Wochenende das 24-Stunden-Rennen gewonnen. Ist das Sim-Racing in der Grünen Hölle genauso anstrengend wie in Wirklichkeit?
Eng: Mental zu 100 Prozent. Ich bin selbst nicht so selbstbewusst wie in einem echten Rennauto. Ich weiß, wie ich im DTM-Auto die letzten zwei Zehntelsekunden herausholen kann, im Sim-Racing fehlt mir das noch. Dieses Selbstverständnis, das virtuelle Auto stets am Limit bewegen zu können, habe ich noch nicht.
Welche Parallelen gibt es zur Realität?
Eng: Ich erlebe die gleichen Emotionen wie beim echten Racing. Es fühlt sich an, als gehe es um alles. Und das Gefühl, das 24-Stunden-Rennen gewonnen zu haben, war unglaublich. Der Sieg war eine unglaubliche Leistung. Und die Anzahl der Glückwünsche steht der Realität auch in nichts nach.
Was fehlt Ihnen im Vergleich zum echten Racing?
Eng: Aktuell in der Coronakrise vor allem, an der Rennstrecke zu sein. Was auch fehlt, ist der direkte Kontakt: Dass man sich in die Arme fällt, sich zusammen physisch freuen, auf dem Podium stehen kann. Und: Der Geschwindigkeitsrausch, der Adrenalin-Kick, das ist durch nichts zu ersetzen.
Das Sim-Racing hat Ihnen zuletzt allerdings ein "Comeback" bei Red Bull Racing und ihr "Formel-1-Debüt" beschert. Wie kam es dazu?
Eng: Ich war 2006 und 2007 im Red-Bull-Juniorteam, bevor ich aussortiert wurde. Doch der Kontakt ist nie ganz abgerissen. Es war eine tolle Geschichte, beim ersten virtuellen Formel-1-Rennen am Start zu stehen, dann noch auf Pole zu fahren und Dritter zu werden.
War ein bisschen Genugtuung dabei nach ihrem Aus bei Red Bull?
Eng: Nein. Red Bull und auch BMW haben mir damals eine Karriere gegeben. Ohne die Unterstützung damals wäre ich kein Rennauto gefahren und heute nicht dort, wo ich bin. Meine Eltern sind ganz normale Menschen, die keine unendlichen Ressourcen zur Verfügung hatten.
Dr. Helmut Marko gilt als nicht zimperlich, wenn es ums Aussortieren geht. Wie lief das bei Ihnen ab?
Eng: War er auch bei mir nicht, aber warum sollte er auch? Er investiert eine Menge Geld, meine Saison in der Formel BMW dürfte 250.000 Euro gekostet haben. Er sucht den nächsten Formel-1-Superstar, darum geht es. Wenn einer das nicht erfüllt, warum sollte er ihn dann noch weiter unterstützen?
Philipp Eng: "Das hat mich sehr weit zurückgeworfen"
Wie hart war das Aus mit 16 Jahren?
Eng: Natürlich war ich enttäuscht und habe es nicht verstanden, aber ich war damals einfach nicht gut genug. Das hat mich sehr weit zurückgeworfen, das war eine schwierige Phase. Ich hatte aber das Glück, dass ich immer wieder die richtigen Leute getroffen habe. Damals war es Peter Mücke, dank dem es dann weiterging.
Wie sah Ihre Welt als Nachwuchsfahrer ohne großes Budget aus?
Eng: 1998 habe ich mit Kartrennen angefangen. Mein Vater hat sich damals die Zeit stehlen müssen. Wir hatten einen Anhänger, der zu kurz für zwei Karts war, eines schaute vorne, das andere hinten heraus. Dazu hatten wir ein Zelt dabei, das Garage, Catering-Bereich und Hotel in einem war. Als ich zwölf Jahre alt war, haben mich meine Eltern ins Gebet genommen und gefragt: "Ist es das, was du machen willst?" Für mich war klar, dass ich nichts anderes machen will. Meine Eltern haben mich immer unterstützt, aber nie unter Druck gesetzt. Das war ein entscheidender Faktor dafür, dass ich es geschafft habe.
Gibt es eine Episode, die Sie besonders in Erinnerung haben?
Eng: Bei den Italian Open 2003 bin ich gegen Stars wie Sebastien Buemi, Marco Wittmann oder Jules Bianchi gefahren. Damals stand ich nach den Vorläufen erstmals sehr weit vorne und wollte meine Reifen aufwärmen. In der Einführungsrunde habe ich mich dann aber gedreht und bin weit zurückgefallen. Das ist mir danach nie wieder passiert.
Wie hart geht es im Kampf um die Karriere unter den Talenten zu?
Eng: Klar: Am Ende setzen sich die durch, die das meiste für den Erfolg tun. Da werden die Ellenbogen ausgefahren. Ich war dabei aber nie unfair, habe nie betrogen oder jemanden über den Tisch gezogen. Ich habe alles getan, was im Rahmen des Legalen und des moralisch Vertretbaren war.
Philipp Eng: Dieser Fahrer war mein größter Rivale
Im Nachwuchs trifft man über die Jahre oft die gleichen Fahrer. Wer war Ihr größter Rivale?
Eng: Marco Wittmann kenne ich sehr lange. Wir sind uns immer wieder über den Weg gelaufen, jetzt sind wir Markenkollegen bei BMW in der DTM. Es ist eine Rivalität, aber eine gesunde.
Die Sie im Moment wegen der Coronakrise nicht ausleben können. Wenn es weitergeht: Können sie sich Geisterrennen ohne Fans in der DTM vorstellen?
Eng: Es wäre sehr schade, denn die Fannähe ist das, was die DTM unter anderem auszeichnet. Wichtig ist aber, dass es irgendwie weitergeht. Dass die Formel 1 sagt, dass es Anfang Juli in Spielberg weitergeht, ist ein gutes Zeichen. Ich hoffe, dass das auch in der DTM bald der Fall sein kann.
Am Samstag steht wieder die Digitale Nürburgring Langstrecken-Serie powered by VCO auf dem Programm. Dort reichte es noch nicht zum ganz großen Wurf. Was wird der Schlüssel zum Sieg sein?
Eng: Ich muss ein bisschen mehr trainieren, wir müssen die Strategie noch etwas besser umsetzen. Dann sollte einem Sieg nichts im Wege stehen.
Kann die Coronakrise für einen nachhaltigen Boom beim Sim-Racing sorgen?
Eng: Ich würde es dem Sim-Racing sehr wünschen. Es bringt dich näher mit den Fans zusammen. Ich hoffe, dass es so weitergeht, wie es sich jetzt entwickelt hat.
Kann man in Zukunft beide Bereiche, echtes und virtuelles Racing, verbinden?
Eng: Das Problem ist, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Man muss sehen, ob und wie es sich verbinden lässt. Aber momentan macht fast jeder Rennfahrer Sim-Racing. Ich hoffe, dass dann etwas hängenbleibt.