"Die Versuchung war da, ich habe immer gehofft", sagte Harting: "Aber es ist karriereentscheidend, nicht die falsche Entscheidung zu treffen. Wenn ich mir noch einmal das Kreuzband reiße, kann ich Rio vergessen." Damit reisen die deutschen Leichtathleten ohne ihren großen Star und Anführer nach China.
Am Ende habe die Form trotz aller Schinderei in der Reha und im Training noch nicht ausgereicht, um den eigenen höchsten Ansprüchen zu genügen. "Ich verlange von mir einfach ein höheres Niveau", sagte der Berliner, der im Diskusring zuletzt fünf große Titel in Serie abgeräumt hatte. Letztmals musste sich "Mr. Unbesiegbar" bei der EM 2010 geschlagen geben.
Mission Olympiasieg weiter als großes Ziel
Doch diesmal macht dem Olympiasieger der eigene Körper einen Strich durch die Gold-Rechnung. Nach dem Riss des vorderen Kreuzbandes und des Innenbandes im linken Knie im September 2014 ist der dreimalige Weltmeister noch nicht bereit für den ultimativen Showdown.
"Die Hardware ist gar nicht so das Problem", sagte Harting, der sogar "viele körperliche Defizite abgearbeitet" hat. Aber die letzten Prozent auf dem Weg zu Weiten von über 68 m fehlten noch - gerade beim Erreichen der Abwurfgeschwindigkeit.
Von seiner Mission "Olympiasieg in Rio" will sich der 30-Jährige trotz des Rückschlages auf keinen Fall abbringen lassen. "Klar glaube ich an Gold in Rio", sagte Deutschlands Sportler des Jahres, der aus seinem Ausfall sogar Positives ableitet: "Ich verstehe jetzt, warum man sagt, dass man nach einer Verletzung stärker zurückkommt. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass ich wieder 69 m werfen kann. Ich will auch nicht von einer Verletzung gestoppt werden."
Kritik an Präsident Prokop
Nebenbei kritisierte Harting DLV-Präsident Clemens Prokop. Nach den Enthüllungen der ARD und der britischen Zeitung Sunday Times sei Prokop "rhetorisch untergegangen", erklärte er, "das hat mich furchtbar erschüttert. Ein Präsident muss nah an den Athleten sein und den Sport nicht aus dem VIP-Zelt führen."
Harting vermutet taktisches Kalkül bei Prokop: "Vielleicht liegt es an seiner Kandidatur für das IAAF-Council. Auch Prokops Zurückhaltung nach dem Video-Protest deutscher Athleten um Harting haben ihn "riesig enttäuscht. Solche Aussagen zeigen immer wieder, dass das alles Taktik ist. Er hätte ja auch mal Kritik an der IAAF üben können. Wenn es die Länder oder die Verbände nicht tun, wer soll es denn sonst machen?"
Prokop selbst hat in einem Interview mit dem am Mittwoch erscheinenden Fachblatt Leichtathletik den Weltverband IAAF und die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) im Kampf gegen Doping in die Pflicht genommen. "Das bestehende System muss permanent auf seine Effizienz hin überprüft werden, insbesondere, ob wir weltweit einheitliche Kontrollstandards haben. Den daraus resultierenden Handlungsbedarf sehe ich dann bei der WADA und der IAAF", sagte der DLV-Boss.