Bereits vor dieser EuroBasket war klar, dass dies, unabhängig vom Ausgang, das letzte Turnier für Goran Dragic im Trikot seines Landes sein würde. Emotional verabschiedete sich der Guard der Miami Heat vom Heim-Publikum, bevor sich der slowenische Tross nach Finnland zur Gruppenphase aufmachte.
"Es ist richtig - die schönsten Dinge vergehen am Schnellsten. Meine Zeit im Nationalteam wird aber für immer einen Platz in meinem Herzen haben." Diese Liebe beruht offensichtlich auf Gegenseitigkeit: Kein Spieler war und ist so beliebt wie der Dragon, der kürzlich sogar ein eigenes Kinderbuch, "Goran - Legend of the dragon" - erst kürzlich veröffentlicht hat.
Bei aller Romantik gibt es aber auch noch jede Menge Basketball zu spielen. "Ich und das Team werden alles geben und versuchen, euch eine Medaille nach Hause zu bringen", wandte sich Dragic kämpferisch vor der EuroBasket an die Fans. Es wäre die Erste seit der Unabhängigkeit 1991 vom Vielvölkerstaat Jugoslawien.
Dragic: Leader auf und neben dem Feld
Und die Chancen stehen bestens. Dragic überzeugte mit Ausnahme des Spiels gegen die Ukraine (nur 2 von 12 aus dem Feld) durchgehend und legte bisher starke 21,9 Punkte und 5,4 Assists auf. Dank ihm sind die Slowenen noch ungeschlagen - wie auch die Spanier, die nun im Halbfinale warten.
Doch Dragic präsentiert sich nicht nur als Leader auf dem Feld, sondern auch daneben. Nicht ohne Grund teilt der Drachen ein Zimmer mit einem gewissen Luka Doncic, der mit 18 Jahren bereits als der legitime Nachfolger von Dragic gilt und die nächste Ära der Slowenen prägen soll.
Für den europäischen Basketball ist es fast schon schade, dass diese Auftritte die einzigen sein werden, die das Duo gemeinsam bestreiten wird. Die Chemie zwischen Lehrmeister und Zögling ist auf jeden Fall da. Nach dem Sieg im Viertelfinale gegen Lettland (103:97) und Kristaps Porzingis schwärmte der Spielmacher erneut in den höchsten Tönen vom Wunderkind.
Doncic: Wie einst Arvydas Sabonis
"Das Spiel hat gezeigt, dass er der Beste in seinem Alter ist", erklärte Dragic. Nach 27 Punkten (7/14 FG) und 9 Rebounds wollte ihm da niemand widersprechen. Eine solche Ausbeute bei einer EM hatte bislang erst ein U20-Spieler für sich verbuchen können: Der legendäre Center Litauens, Arvydas Sabonis, legte 1983 28 Zähler im Alter von 19 Jahren für die UdSSR auf.
Wohlgemerkt, es war kein bedeutungsloses Spiel in der Vorrunde, sondern ein K.o.-Spiel gegen einen Gegner, der den Slowenen alles abverlangte. Doncic wirkte dort eher wie 25 denn 18. Ein schwieriger Wurf nach dem anderen fand den Weg in den Korb, er zog fleißig Fouls, half zudem unter den Brettern aus und schnappte den großen Letten den einen oder anderen Rebound weg.
Lediglich nach der Partie, vor den Mikrofonen der wartenden Journalisten, blitzte die Jugend auf. "Was soll ich sagen? Unglaublich", stammelte der sichtlich eingeschüchterte Teenager, der im Turnier bisher 15,7 Zähler, 7,7 Rebounds und 3,1 Assists pro Partie beisteuert.
Der ultimative Härtetest
Wenn er allerdings nicht auf dem Court steht, macht Doncic, was normale Teenager eben so tun. "Er ist immer noch ein Kind. Er schaut Cartons und die Serie Friends", plauderte Zimmerkollege Dragic aus dem Nähkästchen.
Das alles wird aber nicht helfen, wenn im Halbfinale der ultimative Prüfstein auf Slowenien wartet. Auch Spanien walzte ähnlich wie die Mannschaft von Igor Kokoskov durch das Teilnehmerfeld, wie zuletzt auch das DBB-Team schmerzlich erfahren musste. 103 Punkte werden die Slowenen ihrem Gegner wohl nicht einschenken, aber die unwiderstehlichen Drives von Dragic und Doncic werden die Spanier auf jeden Fall beschäftigen.
Der Plan wird sein müssen, die Spanier müde zu laufen, sie zu Fouls zwingen. Vor allem auf die Gasol-Brüder wartet jede Menge Arbeit, wenn das Duo Infernale Mal um Mal den Weg in die Zone findet. An der Dreierlinie warten dann mit Klemen Prepelic oder dem eingebürgerten Anthony Randolph durchaus potente Schützen.
Doncic: Der Diamant
Selbst beim Abo-Europameister ist jede Menge Respekt zu vernehmen. "Sie haben eine starke Mannschaft. und sehr talentierte Spieler in Dragic und Doncic," warnte Head Coach Sergio Scariolo seine Truppe voller Veteranen und etablierter NBA-Spieler.
Es könnte die Feuertaufe für Doncic werden, der als sicherer Lottery-Pick für den Draft 2018 angesehen wird und auch in der Konversation um die Nummer eins ist. Noch allerdings ist dies Zukunftsmusik, auch wenn das Lob weiter von allen Seiten auf die Nummer 77 einprasselt.
"Er ist der Diamant des europäischen Basketballs. Wir scherzen im Trainerstab, dass wir Luka dabei helfen, besser zu werden. Aber das passiert bei ihm von ganz alleine", zeigte sich auch Nationaltrainer Kokoskov verzückt.
Dragic: Die letzte Chance
Während dem Küken die ganze Welt noch offen steht, erlebt Dragic die letzte Chance auf der europäischen Bühne. So stark die Auftritte bislang gewesen sind, nun geht es ans Eingemachte. Der Hunger nach einer Medaille ist allgegenwärtig. Durch zahlreiche Absagen ist die Tür so offen wie nie zuvor für das kleine Land. So passt die Aussage von Coach Kokoskov nach dem Lettland-Spiel perfekt in das Bild. "Es ist ein großer Tag für den slowenischen Basketball, aber wir stehen weiter ohne Medaille da. Wir müssen konzentriert bleiben."
Es ist der Clash der Generationen, der einmalig in Sloweniens Geschichte ist. Es wäre der Anfang der Ärä Doncic und das würdige Ende der Ärä Dragic, eine Geschichte vom Drachen und seinem Schüler. Ein Stoff passend für ein weiteres Kinderbuch.