Als erster Siebtplatzierter der BBL-Geschichte zur Meisterschaft gestürmt, auf dem Weg dorthin mit Titelverteidiger Alba Berlin, Pokalsieger Bayern München und Champions-League-Sieger Bonn die ersten Drei der Hauptrunde eliminiert: Verdienter als Ulm kann man nicht Deutscher Meister werden.
Der Triumph der Donaustädter grenzt trotzdem an ein Wunder, das so niemand voraussehen konnte. Zu Beginn der Saison gab es im Umfeld der Ulmer nämlich große Zweifel.
Mit Per Günther hatte das Gesicht des Klubs seine Karriere beendet, nach dem Abschied von Jaka Lakovic wurde mit Anton Gavel ein Drittliga-Trainer als Headcoach installiert und auf der so wichtigen Position des Aufbauspielers setzte Ulm auf den 24-jährigen Brasilianer und Europa-Neuling Yago sowie den vor zwei Wochen 19 Jahre alt gewordenen Spanier Juan Nunez.
Dieses enorme Risiko fiel den Ulmern zunächst mit Volldampf auf die Füße. Yago und Nunez agierten anfangs mitunter vogelwild und verunsicherten dadurch auch den Rest des insgesamt unausgewogen wirkenden Teams, Verletzungsprobleme kamen dazu.
Sieben der ersten acht Pflichtspiele gingen verloren, den Saisonstart als katastrophal zu beschreiben, wäre eine Untertreibung. Dass es ein Jahr mit Abstiegssorgen werden könnte, schien wahrscheinlicher als eine Teilnahme an den Playoffs.
Ulms Führung bewahrt die Ruhe
Nun kam eine große Stärke der Ulmer zum Tragen, die seit der Neugründung des Vereins 2001 Bestand hat. Die Verantwortlichen um Sportdirektor Thorsten Leibenath und die Geschäftsführer Thomas Stoll und Andreas Oettel verfielen nicht ansatzweise in den Panikmodus, ohne dabei untätig zu bleiben.
Im Dezember wurde der US-Amerikaner Brandon Paul aus China nachverpflichtet, Anfang Januar der Brasilianer Bruno Caboclo aus Mexiko. Schlagartig war Ulm eine qualitativ andere Mannschaft, auch weil man einigen Spielern wie Yago, Nunez oder auch Josh Hawley im Laufe der Saison förmlich dabei zusehen konnte, wie sie sich weiterentwickelten und immer besser wurden. Ein Verdienst von Gavel und Co-Trainer Tyron McCoy.
So schafften es die Ulmer im Eurocup bis ins Viertelfinale und in der Bundesliga auf Platz sieben. Dass in den Playoffs - Ulm stand Anfang Februar erstmals überhaupt auf einem Playoff-Platz - irgendetwas drin sein könnte, glaubten trotzdem nur die kühnsten Optimisten. Doch schon mit dem Sieg in Spiel 1 im Viertelfinale in Berlin braute sich etwas zusammen.
Ulm wächst als Mannschaft und individuell über sich hinaus
Ulm wuchs als Mannschaft und individuell über sich hinaus, sowohl defensiv als auch offensiv. Finals-MVP Yago und Paul trafen in schöner Regelmäßigkeit vom Parkplatz, Nunez spielte Pässe wie aus dem Bilderbuch, Caboclo räumte unter dem Korb ab, Kapitän Thomas Klepeisz bewies Führungsqualitäten, Robin Christen und Hawley kämpften wie die Löwen und Karim Jallow war so gut, dass man sich nur noch verwundert die Augen reiben konnte.
Wirklich konstant auf aller höchstem Niveau performten dabei die wenigsten Spieler, aber der ein oder andere stach immer heraus. Zur Not auch Philipp Herkenhoff, der in Spiel 4 gegen Alba eine Glanzleistung zeigte.
Kurzum: Ulm spielte sich in einen Rausch, der einfach nicht enden wollte. Die Playoff-Bilanz von 9-2 aus elf Partien gegen die Schwergewichte Berlin, Bayern und Bonn ist sagenhaft. Zur Einordnung: In der regulären Saison gingen alle sechs Partien gegen das Top-Trio verloren.
Alba Berlin und Bayern München am Tiefpunkt
Bei aller berechtigten Lobhudelei für die Ulmer ist es auch Teil der Wahrheit, dass die Süddeutschen von der schwächelnden Konkurrenz profitierten. Alba und Bayern waren pünktlich zu den Playoff-Serien gegen Ulm körperlich am Tiefpunkt angekommen, die EM und eine strapaziöse Euroleague-Saison steckten einigen Spielern offensichtlich in den Knochen. Bonn machten nach einer herausragenden Spielzeit die verletzungsbedingten Ausfälle von Karsten Tadda und Javontae Hawkins sowie die fragwürdige Sperre für Michael Kessens einen Strich durch die Rechnung.
Dass die Orangenen, die nach dem Pokalsieg 1996 den zweiten Titel der Ulmer Basketball-Geschichte verbuchten, ihren Coup wiederholen können, ist äußerst unwahrscheinlich. Dafür dürften schon alleine die finanziellen Möglichkeiten sorgen. Bayern wird nach einer enttäuschenden Saison mächtig aufrüsten, gleiches gilt für Alba.
Für Ulm bot sich völlig unverhofft eine Chance auf ein Märchen, die es so wahrscheinlich über Jahre hinweg nicht mehr geben wird. Und die haben sie genutzt, das Risiko wurde belohnt. Der Klub hat sich, seinen Fans und Andi Klee damit ein Denkmal gesetzt. Der langjährige "Kultbetreuer", als früherer Busfahrer nur "Kutscher" genannt, verstarb nach dem Halbfinale gegen Bayern völlig unerwartet im Alter von nur 59 Jahren.
Ulm vs. Bonn: Finale, Spiel 4
BBL-Finale, Spiel 4 | 1. Viertel | 2. Viertel | 3. Viertel | 4. Viertel | Gesamt |
ratiopharm Ulm | 21 | 22 | 8 | 23 | 74 |
Baskets Bonn | 23 | 18 | 18 | 11 | 70 |