SPOX: Herr Kirilenko, nach dem NBA-Lockout haben Sie sich entschieden, in Russland zu bleiben und für ZSKA Moskau zu spielen. Sie hätten auch zurück in die NBA gehen können. Aus welchen Gründen haben Sie sich dagegen entschieden?
Andrei Kirilenko: Als erstes muss ich sagen, dass es mir unglaublich schwer gefallen ist, Utah zu verlassen. Für die Utah Jazz habe ich so lange gespielt und wir haben hart gearbeitet, um das Team aufzubauen. Der Hauptgrund dafür, mich gegen die NBA zu entscheiden, war meine Familie. Wir haben erst kurz zuvor Salt Lake City (Heimspielstätte der Jazz, Anm. d. Red.) verlassen und ich wollte es meiner Familie nicht zumuten, nach sechs Monaten wieder umzuziehen. Ein anderer Grund war, dass die aktuelle NBA-Saison sehr kurz und mit Spielen vollgepackt ist. Die Jungs spielen meistens vier bis fünf Spiele in einer Woche. Man sieht jetzt schon, dass viele Spieler mit Verletzungen zu kämpfen haben. Außerdem will ich ZSKA helfen, Titel zu gewinnen.
SPOX: Wo liegen die Hauptunterschiede zwischen europäischem Basketball und der NBA?
Kirilenko: Natürlich muss man sagen, dass die individuelle Klasse vieler Spieler in der NBA besser ist. Die meisten sind auch viel athletischer. In Europa steht das ganze Team mehr im Fokus. In der Defensive hilft jeder jedem. Der NBA-Spielplan ist extrem voll. Da bleibt viel weniger Zeit, um zu trainieren. Das ist anders bei uns in Europa. Aber ich kann mich mit beiden Ligen und Situationen arrangieren und mag es hier genauso wie in der NBA.
SPOX: Ihre Karriere begann in den späten 90er Jahren in St. Petersburg und Moskau. Dann waren Sie zehn Jahre in der NBA. Jetzt sind Sie zurück in Europa. Ist der europäische Basketball in dieser Zeit besser geworden?
Kirilenko: Absolut! Das kann man an den Resultaten der Olympischen Spiele oder anderen internationalen Turnieren sehen. Man muss nur mal zählen, wie viele Europäer und US-Amerikaner mit europäischer Basketball-Erfahrung heute in der NBA spielen.
SPOX: Sie sind einer der erfolgreichsten europäischen Basketball-Spieler, den die NBA je gesehen hat. Wo liegt der Schlüssel für einen jungen und talentierten Basketballer, auf der anderen Seite des Atlantiks in der NBA Fuß zu fassen?
Kirilenko: Ich rate jedem, nicht zu denken, er hätte die Spitze schon erreicht, wenn er gedrafted wurde oder seinen Rookie-Vertrag unterschrieben hat. Man muss sich immer neue Ziele setzen. Sowohl individuelle Ziele, als auch Ziele, die man mit dem Team erreichen will. Man muss hart arbeiten, um Schritt für Schritt nach oben zu kommen. Es ist aber jedem selbst überlassen, wie hoch er seine Ziele steckt.
SPOX: Die Fankultur in Europa unterscheidet sich gewaltig von der in den USA. In der Euroleague mussten Sie in Istanbul antreten. Die Fans von Galatasaray gelten als verrückt. In der NBA hat man öfter mal das Gefühl, man schaut sich ein Freundschaftsspiel an. Wie wichtig ist es für Sie, vor so verrückten Fans zu spielen?
Kirilenko: Ich liebe volle und laute Arenen. Von daher war es eine große Ehre für mich, in Istanbul und auch in anderen Hallen zu spielen. Aber ich denke, die Galatasaray-Fans sind einmalig in Europa. Man kann vielleicht noch die Fans von Partizan Belgrad dazu nehmen. Aber auch die Zuschauer in den USA erzeugen einen großen Druck unter uns Spielern. Auch da macht es unglaublich viel Spaß zu spielen.
SPOX: Im Basketball ist die NBA das Größte. Denken Sie, dass der europäische Basketball in den nächsten acht oder zehn Jahren noch interessanter werden kann. Vielleicht auch für Spieler, die ohne Probleme in der NBA spielen könnten?
Kirilenko: Das hängt von vielen Faktoren ab. Die NBA ist aufgrund ihres unglaublichen Marketings so attraktiv, wie sie ist. Da wird richtig gute Arbeit geleistet. In der NBA sind die Spiele mehr Show als Sport. Der Erfolg als Industrie macht die Liga so groß. Das fehlt in Europa.
SPOX: Sie sind vor kurzem 31 Jahre alt geworden. Haben wir den besten Kirilenko schon gesehen oder können wir uns noch auf einen besseren Kirilenko in den nächsten Jahren freuen?
Kirilenko: Ich denke, dass ich schon noch drei bis vier sehr gute Jahre auf höchstem Level vor mir habe. Ich kann immer noch hoch springen und schnell rennen und mit jedem Spiel wächst auch meine Erfahrung. Ich hoffe, ich kann noch besser werden. Sobald ich aber merke, dass ich nicht mehr zur Weltspitze gehöre, werde ich meine Karriere beenden.
SPOX: Es war zu lesen, dass Sie planen, noch mal in die NBA zurückzukehren.
Kirilenko: Ich habe immer gesagt, dass es das Größte für mich ist, in der NBA zu spielen. Ich werde mir am Ende der Saison die Angebote anhören und dann entscheiden. Das heißt aber nicht, dass ich ZSKA definitiv wieder verlasse.
SPOX: Seit Dirk Nowitzki in den USA spielt, steht er bei den Dallas Mavericks unter Vertrag. Sie haben bisher nur für Utah gespielt. Sind die Jazz die einzige Option, sollte Ihr Weg zurück in die NBA führen?
Kirilenko: Für die Jazz aufzulaufen, ist etwas Besonderes für mich. Von daher ist Utah meine erste, aber nicht meine einzige Option. Meine Familie und ich haben uns sehr wohl gefühlt in Salt Lake City. Und ich habe so viele schöne Erinnerungen an meine Zeit bei den Jazz. Aber ich kann das nicht entscheiden. Die Teambesitzer müssen sehen, ob sie mich brauchen in ihrem neuen Team. Ich weiß, dass Basketball nicht nur Sport sondern auch Business ist. Ich hätte kein Problem, für ein anderes Team aufzulaufen. Obwohl ich Utah und die Jazz-Fans schon vermissen würde.
SPOX: Wenn man in Deutschland von Basketball spricht, kommt man um den Namen Dirk Nowitzki nicht herum. Sie kennen sich beide. 2008 hat Sie Dirk mal ziemlich hart gefoult. Sie mussten sogar verletzt raus.
Kirilenko: Ich kann mich an diese Szene sehr gut erinnern. Ich muss sogar sagen, dass ich echt überrascht war. Ich habe nicht erwartet, dass Dirk mich so hart foult, weil wir immer ein sehr gutes Verhältnis zueinander hatten. Aber er hat sich gleich entschuldigt und mir gesagt, dass er mich nicht verletzten wollte. Das habe ich ihm natürlich geglaubt. Da war die Sache für mich erledigt. Wir sind nicht die allerbesten Freunde, aber wir haben sehr viel Respekt voreinander.
SPOX: Was denken Sie über Dirk Nowitzki als Spieler?
Kirilenko: Dirk ist für mich einer der besten Spieler der Welt. Ohne Frage. Er ist einer von denen, die ein Basketballspiel allein entscheiden können. Er hat es absolut verdient, den Titel zu gewinnen. Dass er Finals-MVP und Europas Spieler des Jahres wurde, ist in meinen Augen absolut richtig.
SPOX: In diesem Jahr ist ZSKA nicht nur der große Favorit in der russischen Liga, sondern auch in der Euroleague. Wie schätzen Sie die Chancen ein, beide Titel zu gewinnen? Wer werden Ihre größten Konkurrenten sein?
Kirilenko: Es wäre riesig, wenn wir beide Titel gewinnen könnten. Wir wissen, dass wir das Zeug dazu haben. Aber wir sollten nicht den Tag vor dem Abend loben. Das Euroleague-Final-Four ist eines der härtesten Turniere der Welt. Jedes Team kann an einem bestimmten Abend ein Spiel verlieren. Aber um den Titel zu gewinnen, musst du zwei Mal hintereinander gegen die besten Mannschaften Europas erfolgreich sein. Zurzeit spielen Barcelona und Montepaschi unglaublich guten Basketball. Panathinaikos Athen ist immer Favorit. Das ist in dieser Saison nicht anders. Und man darf Maccabi Tel Aviv nicht vergessen. Die können unter Coach David Blatt an jedem Abend jedes Team schlagen.
SPOX: In ein paar Monaten werden die Olympischen Spiele in London stattfinden. Team USA ist natürlich der große Favorit. Ihr Heimatland Russland, aber auch Spanien und Frankreich könnten ein Wörtchen um Gold mitreden. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass ein Land aus Europa die Übermannschaft aus den USA besiegen kann?
Kirilenko: Ich denke, wenn man Team USA in bester Verfassung bei Olympia hat, braucht man eine Menge Glück, um sie zu besiegen. Sollten wir uns beim Quali-Turnier (in Venezuela vom 02. bis 08. Juli 2012, Anm. d. Red.) durchsetzen und es nach London schaffen, denke ich, dass wir gute Chancen haben, um eine Medaillen zu kämpfen. Dafür müssen wir aber gesund und fokussiert bleiben. Aber nicht nur die USA haben ein gutes Team. Spanien, Argentinien, Frankreich und Litauen werden auch um die Medaillen mitspielen.
Die Euroleague im Überblick