SPOX: Sie waren zwei Jahre von der Bildfläche verschwunden, bis Sie in diesem Sommer einen Ein-Jahres-Vertrag in Gießen unterschrieben haben. Wie kam der zustande?
Misan Nikagbatse: Mir lagen einige Angebote vor, aber am interessantesten fand ich Ulm und Gießen. Deswegen bin ich im Sommer ein bisschen durch Deutschland herumgefahren und habe mir die beiden Städte angeschaut und Gespräche geführt. Am Ende entschied ich mich für Gießen, weil das Bauchgefühl gestimmt hat und die Vorstellungen des neuen Cheftrainers Björn Harmsen genau zu meinem Spiel passen.
SPOX: Harmsens sehr akkurates Outfit erinnert an einen Basketball-Yuppie, Sie hingegen gelten als typischer Streetballer. Passt das?
Nikagbatse: Ich bin ein gestandener Profi mit jahrelanger Auslandserfahrung, das wird gerne vergessen. Meine Wurzeln liegen im Streetball, aber mir gefällt auch der systematische, europäische Basketball, genau wie Björn. Seine Idee: Einerseits soll ich kreativ sein, andererseits als erfahrener Combo-Guard das Team lenken. Genau das habe ich mir nach meiner langen Verletzungspause vorgestellt.
SPOX: Sind Sie fit? Zumindest Ihr Killer-Crossover soll nach wie vor überragend sein.
Nikagbatse: Der Killer-Crossover funktioniert noch, genau wie alle anderen technischen Elemente. Meinen Basketball-Instinkt habe ich nicht verloren. Und auch körperlich bin ich wieder auf der Höhe: Mein Körperfettanteil beträgt nur acht Prozent. Was mir jedoch fehlt, sind die Wiederholungen. Immer wieder im Mannschaftstraining Bewegungsabläufe üben oder Spielsituationen simulieren.
SPOX: Warum haben Sie zwischendurch beim DBV Charlottenburg in der 2. Regionalliga mittrainiert?
Nikagbatse: Ich wollte unbedingt wieder das Gefühl genießen, auf dem Court zu stehen, daher habe ich bei ein paar Partien mitgemacht. Ich musste den Versuch jedoch schnell abbrechen, weil es zu gefährlich wurde. Die Gegner sahen mich und wollten sich unbedingt beweisen, in dem Sie mich verfolgt und extra per Ellenbogen gefoult haben.
SPOX: Wie geht es jemandem, der zwei Jahre nicht das ausleben kann, was er am liebsten macht?
Nikagbatse: Ich fühlte mich eine Zeitlang sehr, sehr schlecht. Ich wurde depressiv, überall türmten sich die Probleme auf. Mir wurde der Basketball weggenommen, aber auch im privaten, familiären Bereich waren es 16 harte Monate. Unter anderem wurde meine Mutter schwer krank. Seitdem weiß ich, wie wichtig es ist, geduldig zu sein und sich kleine Ziele zu stecken, um sich langsam aus einem Tief zu befreien.
SPOX: Geduld und Nikatbatse gehörten früher nicht zusammen.
Nikagbatse: Ich entdeckte glücklicherweise meine Liebe für die Gitarre. Ich hatte schon lange vorgehabt, ein Instrument zu lernen, aber durch die Pause wurde ich fast schon dazu gezwungen, mich in Ruhe hinzusetzen und mich reinzuarbeiten. Der einzige Weg, ein Instrument zu beherrschen, ist Geduld. Von daher ist es mein größter Triumph, dass ich mittlerweile ordentlich Gitarre spielen kann.
SPOX: Gibt es ein besonderes Lied, das Ihnen über die Krise hinweg geholfen hat?
Nikagbatse: Den entscheidenden Ruck gab der Song "Breakeven" von The Script. Ich fand den Gitarrenriff schon immer cool. Später bin ich auf Youtube gegangen und habe mir mit Hilfe dieser Tutorial-Videos selbst Sachen von Tracy Chapman oder Ben Harper beigebracht. Anders als im Basketball musste ich mich von Anfang an durchkämpfen - aber umso schöner ist das Gefühl, mit Geduld etwas erreicht zu haben. Ich glaube, die Gitarre ist mein Therapeut.
SPOX: Es wird einige überraschen, das Sie auf gefühlvolle Indie-Songwriter stehen und nicht auf Gangsta-Rap.
Nikagbatse: Ich weiß, jetzt kommt wieder die Sache mit dem Ghetto.
SPOX: Und?
Nikagbatse: Was ich immer komisch finde: Ich werde immer in die kriminelle Ecke hingestellt, dabei hat sich noch nie ein Mitspieler oder Trainer über mein Verhalten oder mein Auftreten beschwert. In der Öffentlichkeit hingegen gelte ich als Krebsgeschwür, das jedes Team zerstört.
SPOX: Wie erklären Sie sich das?
Nikagbatse: Genau die gleiche Frage stellte mir Björn Harmsen. Meine Antwort: Es liegt wohl an meiner gesamten Erscheinung. Das fängt mit meinem Aussehen an: Ich bin der Sohn eines Nigerianers und einer Finnin, der so schon auffällt und bereits mit 15, 16 Jahren auffällige Frisuren hatte. Dazu die Tattoos, das Stirnband. Und die Geschichten über meinen schwierigen Familien-Background, die Kindheit in Berlin-Neukölln. Die Leute waren ohnehin eingeschüchtert von mir, und dann hat dieser Vogel auch noch basketballerisch was drauf. Das alles führte dazu, dass ich in der krassen Ecke gelandet bin.
Teil II: Nikagbatse über Köln, das Interesse der Lakers und den Yao-Dunk