Dem internationalen Sport droht das nächste Doping-Beben, doch womöglich kommt Russland auf olympischer Ebene wieder mit einem blauen Auge davon: Wenn Ermittler Richard McLaren am Freitag in London (12.15 Uhr MEZ) seinen Abschlussbericht zum Doping-Skandal in Russland vorstellt, müssen russische Athleten und Funktionäre um ihren Job bangen. Ein Ausschluss der russischen Mannschaft von den nächsten Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang/Südkorea scheint jedoch äußerst fraglich.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) positionierte sich im Vorfeld und wies auf mögliche Sanktionen gegen "Athleten, das russische Sportministerium und andere beteiligte Personen und Organisationen" hin. Das Nationale Olympische Komitee Russlands wurde namentlich jedoch nicht genannt.
"Ich denke, man sollte vor der Veröffentlichung einer so wichtigen Untersuchung keinerlei Optionen ausschließen oder besonders hervorheben. Man weiß doch gar nicht, was kommt", sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) dem SID.
"Es ist, als würde man mit einem Alkoholiker umgehen"
Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, die den Bericht des kanadischen Ermittlers in Auftrag gegeben hat, fordert seit Wochen ein hartes Durchgreifen, zumal Russland nicht einsichtig sei. "Es ist, als würde man mit einem Alkoholiker umgehen: Man kann ihn nicht heilen, solange bei ihm kein Bewusstsein für das Problem besteht", sagte WADA-Gründungspräsident Dick Pound.
Die internationalen Verbände, die für Sanktionen gegen russische Athleten außerhalb der Sotschi-Spiele zuständig sind, ziehen durchaus harte Sanktionen in Betracht. Sollten nicht nur Einzeltäter, sondern gesamte Verbände in die Manipulationen verstrickt sein, "stellt sich die Frage nach einer Kollektivstrafe", sagte Gian Franco Kasper, Präsident aller olympischen Wintersportverbände und IOC-Mitglied, dem SID.
Bereits in seinem Zwischenbericht hatte McLaren Russland von 2011 bis 2015 ein staatlich gelenktes Doping attestiert. Der Kanadier sprach von 643 manipulierten Proben in verschiedenen Sportarten. Bei den Spielen in Sotschi sollen mehrere Dutzend russischer Athleten, darunter 15 Medaillengewinner, gedopt gewesen sein.
IOC reagierte zunächst empört
McLarens bisherige Untersuchungen lesen sich wie ein klassisches Kriminalstück. Angeblich sollen in Sotschi die Dopingproben mit Hilfe des russischen Geheimdienstes durch ein Loch in der Wand in ein Hinterzimmer gereicht worden sei. Dort wurden die Deckel der Flaschen geöffnet und der Urin des Athleten ausgetauscht.
Das IOC reagierte zunächst empört. IOC-Präsident Thomas Bach sprach von "einem erschreckenden und beispiellosen Angriff auf die Integrität des Sports und der Olympischen Spiele" und ergriff erste Maßnahmen, die am Mittwoch "bis auf weiteres" verlängert wurden. Dazu zählt, dass keine sportlichen Groß-Events in Russland stattfinden sollen.
Allerdings betonte Bach auch immer wieder, dass es sich nur um einen Zwischenbericht handele. In der Folge verzichtetet das IOC auf einen Komplett-Ausschluss Russlands von den Spielen in Rio - zum Ärger der WADA.
Jelena Issinbajewa als Hoffnungsträgerin
Nun guckt das IOC genau hin, wie McLaren den Angriff auf die olympische Idee belegt. Zwei Kommissionen hat die Ringe-Riege gegründet, die die Ergebnisse von McLaren aufgreifen sollen.
Wahrscheinlich wird also noch einiges an Zeit ins Land gehen, bis die endgültigen Konsequenzen gezogen werden. Es kommen hektische Zeiten auf den Weltsport zu, die mindestens bis zu den Winterspielen in Pyeongchang andauern dürften.
Russland sieht sich indes ungeachtet aller Kritik auf dem richtigen Weg. Führende Funktionäre fordern schon für das Frühjahr 2017 die Aufhebung aller Sanktionen inklusive der Sperre gegen die russische Leichtathletik. Neue Hoffnungsträgerin ist Stabhochsprung-Ikone Jelena Issinbajewa, die am Mittwoch in den Aufsichtsrat der umstrittenen nationalen Anti-Doping-Agentur RUSADA berufen wurde.