"Es geht ja oft auch darum, die richtige Konstellation zu finden und nicht darum, wer als individueller Spieler gerade am besten drauf ist", sagte Ilkay Gündogan kürzlich mit Blick auf die anstehende Europameisterschaft im eigenen Land und seine Rolle im System von Julian Nagelsmann.
Der Bundestrainer hatte für die Testspiele gegen Frankreich und die Niederlande im März einige taktische Änderungen vorgenommen und einen ersten Einblick gewährt, wie die Nationalmannschaft ab dem 14. Juni auftreten könnte. In der Grundstruktur nahm Gündogan die Position hinter Kai Havertz ein. Wirklich passend schien diese Rolle für den alternden und zugleich ballgewandten Barcelona-Spieler nicht.
Denn Gündogan hat in seiner Karriere eigentlich nie als Sekundärspitze agiert. In der 4-2-2-2-Struktur des DFB-Teams müsste er jedoch immer wieder Läufe in die vorderen Räume, inklusive des gegnerischen Strafraums, unternehmen, um etwa Ablagen von Havertz oder Abpraller nach langen Anspielen mitzunehmen. Die Krux ist, dass es eigentlich keine andere Position gibt, die Gündogan ansatzweise ausfüllen könnte, sollte Nagelsmann nicht noch einmal umdisponieren.
Ilkay Gündogan: Kein System für den Kapitän?
Eine denkbare Umstellung auf ein 4-3-3 würde de facto nicht funktionieren, denn dann müssten Jamal Musiala und Florian Wirtz verstärkt über die Außen kommen, weil Maximilian Mittelstädt und Joshua Kimmich nun einmal keine derart offensivpräsenten Außenverteidiger sind. Zudem würde es die Balance im Mittelfeld beeinflussen.
In der angedachten 4-2-2-2-Grundstruktur oder auch in einem klassischen 4-2-3-1 hat Toni Kroos einen fleißigen Sechser neben sich, der im Gegenpressing die Räume blockiert und zudem wichtige Defensivzweikämpfe vor der Abwehr forciert. Kroos darf keinesfalls auf eine Achterposition geschoben werden, weil er nun einmal aus dem tiefen Halbraum das Spiel ankurbeln soll. So wie er es in der Regel die vergangenen zehn Jahre getan hat.
Allerdings sprach Gündogan kürzlich davon, dass er sich als eine Art ruhige Hand zwischen Musiala und Wirtz sieht. "Die können mit dem Ball alles, schauen aber vielleicht nicht so gegen den Ball um sich herum", sagte er dem SID. "Das gilt es zu ordnen und den Jungs die richtigen Dinge mit auf den Weg zu geben."
Im Gespräch mit dem Spiegel ergänzte Gündogan: "Im Gegensatz zu den beiden habe ich Erfahrung. Ich muss mein Spiel an ihres anpassen und sie nicht ihres an meins. Wenn Flo etwa nach links läuft, dann darf ich dort nicht auch hinsprinten, sondern muss einen anderen Weg suchen, um Räume zu schaffen. Wenn Jamal ins Dribbling geht, muss ich ihm den Weg frei machen."
Diese Rolle hat Gündogan in der Vergangenheit zuweilen ausgefüllt und etwa einem Musiala bewusst den Rücken freigehalten.
Allerdings war das noch im System von Hansi Flick, das weniger vertikal ausgerichtet war. Nagelsmann möchte vertikales Auslösen sehen und die vorderen Linien entsprechend besetzen. Musiala und Wirtz sind für die Zwischenräume vorgesehen, Gündogan als Support sowohl dort als auch eine Reihe weiter vorn. Der 33-Jährige soll dem Eindruck nach jedoch nicht wieder als Achter spielen und tiefer absichern, dafür gibt es Robert Andrich oder Pascal Groß.
Ilkay Gündogan ist eigentlich ein Achter
In den vergangenen Jahren hat Gündogan vorrangig als Achter agiert, nachdem er eine Zeitlang in Diensten von Manchester City zunächst auf der Sechserposition sein Zuhause hatte. Gerade im finalen Jahr für die "Skyblues" fiel Gündogan mit seinen Passqualitäten im hohen linken Halbraum auf. Jedoch musste er in dieser Rolle nicht so häufig dem Ball nachjagen, weil City kontrolliert in die gegnerische Hälfte eindrang und sich dort auch methodisch positionierte.
Dass Gündogan nach Jahren als Sechser plötzlich viel Präsenz an der Strafraumgrenze vorwies, mochte etwas überraschen, aber seine Aufgabenfelder waren keine großartig anderen. Allein die zusätzliche Absicherung - noch dazu eine hochkarätige in Person von Rodri - war eine deutliche Veränderung.
Im Trikot des FC Barcelona gab Gündogan zuletzt häufig den rechten Achter und überlud dort interessanterweise zusammen mit Lamine Yamal und teils Jules Koundé den Flügel. Auch unter Nagelsmann war Gündogan schon einige Male auf rechts aufgetaucht, etwa in der ersten Pressingphase oder auch, wenn über Kroos, Andrich und Jonathan Tah die Spieleröffnung durchgeführt wurde. In diesen Szenen war Wirtz nach innen gezogen oder bot sich sogar ein Stück weit tiefer für einen Pass von Antonio Rüdiger oder Joshua Kimmich an.
DFB-Team: Ilkay Gündogan bleibt das große Rätsel von Julian Nagelsmann
Gündogan kann dann auf rechts funktionieren, wenn Kimmich entsprechend Meter auf der Außenbahn macht. Jedoch ist auch klar, dass beide zusammen verdächtig wenig Tempo mitbringen.
Und die von ihm angesprochene defensive Absicherung zu Wirtz und Musiala bietet er auch nicht, wenn der Leverkusener Jungstar im Pressing des Öfteren tiefer steht. Die Suche nach der optimalen Einbindung von Gündogan bleibt also das eine große Rätsel vor dieser Europameisterschaft.
Dass sich Nagelsmann noch nicht ganz sicher ist, wie er denn die Offensive genau formieren soll, zeigte auch der Test gegen die Ukraine, als er es ab der 60. Minute mit Thomas Müller auf der Neun und Deniz Undav dahinter probierte. Undav spielte de facto Gündogan Part aus der ersten Halbzeit. Die beiden könnten unterschiedlicher kaum sein.