Ilkay Gündogan entwickelt sich zum Problem für Julian Nagelsmann
In der 15. Spielminute hätte Ilkay Gündogan die seit Wochen dahinschwelenden Diskussionen über seine Rolle in der deutschen Nationalmannschaft kontern können. Völlig frei tauchte der Kapitän im Fünfmeterraum auf, er hatte die Führung auf dem Kopf. Aufgrund von mangelhaftem Timing wurde aus einem Kopfball aber ein Knieball und daraus kein Tor. Statt die Diskussionen zu kontern, befeuerte er sie nur noch weiter.
Letztlich stand diese Szene exemplarisch für einen weiteren schwachen Auftritt des 33-Jährigen im Trikot der Nationalmannschaft, Nagelsmann nahm ihn schon zur Pause aus dem Spiel. Bereits bei den beiden generell überzeugenden Spielen gegen Frankreich und die Niederlande im März hatte Gündogan enttäuscht. Aktuell fixiert ihn vor allem die Kapitänsbinde an die Startelf, nicht seine Leistung - und das ist kein Modell mit Zukunft. Gündogan entwickelt sich zum Problem für Bundestrainer Julian Nagelsmann.
Nach dem Triple-Sieg mit Manchester City vergangenes Jahr hatte Ex-Bundestrainer Hansi Flick Gündogan als damals erfolgreichsten deutschen Fußballer zum Kapitän ernannt. Eine nachvollziehbare Entscheidung. Auch dass ihn Nagelsmann nach seiner Amtsübernahme im September im Amt bestätigte, erschien zum damaligen Zeitpunkt schlüssig - Ex-Kapitän Manuel Neuer fehlte verletzt, Toni Kroos war Ex-Nationalspieler, Joshua Kimmich suchte nach seiner Form. Nagelsmann wollte nicht zusätzliche Unruhe in eine Mannschaft bringen, der ohnehin eine echte Struktur fehlte.
Das hat sich mittlerweile geändert und die neue Struktur scheint Gündogan nicht zu brauchen, unabhängig von seiner unbestrittenen Klasse. Seine ideale Position ist die Acht, die er zumeist auch beim FC Barcelona bekleidet, die es in der Nationalmannschaft aktuell aber nicht gibt. Toni Kroos, der gegen die Ukraine aufgrund seines sechsten Champions-League-Titels am Samstag mit Real Madrid noch fehlte und tadellos von Pascal Groß vertreten wurde, ist auf der Doppelsechs als Taktgeber gesetzt. Genau wie Robert Andrich als kämpferisches Element daneben.
Unumstritten sind auch die Flügelspieler Florian Wirtz und Jamal Musiala, die eigentlich keine Flügelspieler sind. Beide ziehen gerne ins Zentrum und beengen dort Gündogans Lebensraum. Gegen die Ukraine hatte er bis zu seiner Halbzeit-Auswechslung nur 31 Ballaktionen, für belebende Offensivakzente setzten vor allem die äußerst spielfreudigen Wirtz und Musiala. Spätestens sobald (oder sofern) die hochkarätigste Alternative Leroy Sané wieder völlig fit ist, steht Nagelsmann vor der schwierigen Entscheidung, ob er seinen Kapitän tatsächlich auf die Bank setzt.
Genie und Wahnsinn: Manuel Neuer ist ein Sicherheitsrisiko
Vom aktuellen Kapitän zum alten: 551 Tage nach seinem letzten Länderspiel bei der WM 2022 in Katar feierte Manuel Neuer gegen die Ukraine sein Nationalmannschafts-Comeback. Wie zuletzt beim FC Bayern München präsentierte sich der 38-Jährige auch beim DFB-Team zwischen Genie und Wahnsinn.
Mit einem tollen Reflex vereitelte Neuer in der ersten Halbzeit einen Schuss von Roman Yaremchuk, souverän parierte er auch in der 60. gegen Mykhailo Mudryk. Hängen blieb aber vor allem sein krasser Fehlpass auf Andrej Yarmolenko nahe der Mittellinie in der 88. Minute. Zu Neuers großem Glück endete der ukrainische Gegenstoß mit einer Abseitsstellung. "Ich habe Yarmolenko auf der linken Seite in meinem Blickfeld nicht gesehen", erklärte Neuer. "Dementsprechend war es für mich eine klare Situation, dass ich den Ball nach links chippe."
Der Auftritt gegen die Ukraine erinnerte an seine durchaus fehleranfällige Rückrunde beim FC Bayern und explizit an das Halbfinal-Rückspiel der Champions League gegen Real Madrid. Damals zeigte Neuer mehrere famose Paraden, ehe er kurz vor Schluss mit einem kapitalen Patzer das Ausscheiden einleitete. In seiner aktuellen Genie-oder-Wahnsinn-Form kann Neuer zwar wie zu besten Zeiten zum Retter avancieren, ist aber auch ein Sicherheitsrisiko für das DFB-Team.
DFB-Team: Kai Havertz muss um seinen Startplatz bangen
Zum größten Wackelkandidaten in der EM-Startelf kristallisierte sich gegen die Ukraine Kai Havertz heraus: Wie schon gegen die Niederlande war der 24-jährige Stürmer des FC Arsenal im Sturm erneut überhaupt nicht ins deutsche Spiel eingebunden. In 59 Spielminuten sammelte Havertz nur 21 Ballaktionen und lediglich eine echte Torchance.
Die eingewechselten Stürmer Deniz Undav und Maximilian Beier sorgten direkt für deutlich mehr Zug und Torgefahr. Obwohl sie letztlich zu ungenau zielten, bewarben sie sich für weitere Einsatzzeiten. Selbiges gilt übrigens auch für die übrigen Einwechselspieler sowie die Startelf-Vertreter der beiden noch unpässlichen Real-Legionäre Antonio Rüdiger und Toni Kroos - Waldemar Anton und Pascal Groß zeigten gute Leistungen.
Wie Rüdiger und Kroos fehlte gegen die Ukraine wegen seiner Teilnahme am Champions-League-Finale auch Havertz' ärgster Rivale um den Startplatz im Sturmzentrum: Borussia Dortmunds Niclas Füllkrug. "Fülle hätte uns heute mit seiner Wucht und seiner Kopfballstärke noch gut getan für die Flanken", sagte Nagelsmann.
Vor allem gegen tiefstehende Gegner wie es die Ukraine war und auch die ersten beiden Gegner in der EM-Gruppenphase Schottland und Ungarn sein dürften, könnte ein echter Mittelstürmer dem deutschen Spiel eine weitere Dimension bieten. Womöglich bekommt Füllkrug schon am Freitag beim letzten Test gegen Griechenland seine Bewährungschance in der Startelf.
Deutschland, Fahrplan bis zur EM 2024: Die Termine im Überblick
Datum | Ereignis |
7. Juni 2024 | Testspiel gegen Griechenland |
7. Juni 2024 | Einreichung der Spielerlisten bei der UEFA |
14. Juni 2024 | 1. EM-Gruppenspiel gegen Schottland |
19. Juni 2024 | 2. EM-Gruppenspiel gegen Ungarn |
23. Juni 2024 | 3. EM-Gruppenspiel gegen die Schweiz |