Der 28-jährige Rechtsverteidiger berichtet ausführlich von seiner Zeit beim FC Bayern und beim DFB, von seiner Freundschaft mit David Alaba, dem legendären Tanga-Foto - und warum es 2020 beinahe zu einer Rückkehr nach München gekommen wäre.
Herr Weiser, Niclas Füllkrug hat Ihnen nach einem Sieg gegen den FC Schalke 04 im Herbst den Spitznamen Ronaldinho verpasst. Hat er sich in der Mannschaft durchgesetzt?
Mitchell Weiser: Nein, das hat er nur aus Spaß gesagt. Ich werde nicht dauerhaft Ronaldinho gerufen.
Nach vielen Jahren in der Bundesliga sind sie 2021 zum damaligen Zweitligisten Werder Bremen gewechselt. Wie schwer war dieser Schritt für Sie?
Weiser: Es war nie meine Vision, noch mal in der 2. Bundesliga zu spielen. Bei meiner damaligen Situation in Leverkusen wusste ich aber eine Sache ganz sicher: Dass es von der sportlichen Perspektive her nicht schlechter werden kann. Ich wollte unbedingt weg. Am letzten Tag der Transferperiode war Bremen meine einzige Option, also habe ich sie genutzt. Es ging alles sehr schnell.
Können Sie diesen Tag Revue passieren lassen?
Weiser: In der Früh habe ich noch ganz normal in Leverkusen trainiert. Nach dem Training kam das Angebot. Dann hatte ich 15 Minuten Zeit, um mich zu entscheiden. Ich habe meine Frau angerufen, sie meinte: "Okay." Also haben wir es gemacht. Dann bin ich alleine nach Bremen gefahren und habe die ganzen Formalitäten erledigt.
Bei Werder wurden Sie schnell Stammspieler, sind aufgestiegen und überzeugen in dieser Saison mit vielen Scorerpunkten: Wie beurteilen Sie die Entwicklung in Bremen?
Weiser: Unter Markus Anfang lief es zu Beginn nicht so gut, aber nach dem Trainerwechsel wurde es für uns alle besser. In dieser Saison rufen wir konstant unsere Leistung ab und sind als Team gefestigt, brauchen aber noch ein paar Punkte, um unser Ziel zu erreichen.
Im Herbst wurden Sie sogar gelegentlich als Kandidat für den deutschen WM-Kader gehandelt. Hatten Sie Kontakt mit Bundestrainer Hansi Flick?
Weiser: Nein.
Träumen Sie noch von einer Nationalmannschafts-Nominierung?
Weiser: Ich habe den Traum, noch ein großes Turnier zu spielen.
Vielleicht für Algerien? Sie haben algerische Wurzeln und noch kein A-Länderspiel für Deutschland absolviert.
Weiser: Ja, mein Opa ist aus Algerien. Ich habe den Pass noch nicht, aber ich bin gerade dabei. Das ist natürlich eine Option. Für mich wäre das ein Abenteuer. Ich habe Lust darauf.
Hatten Sie schon Kontakt mit dem Verband?
Weiser: Ich persönlich nicht, aber mein Berater schon. Das läuft alles über ihn.
Wann wäre eine erstmalige Nominierung möglich?
Weiser: Die nächste Länderspielpause ist Ende März. Mal schauen, ob bis dahin alles geregelt ist.
Haben Sie die algerische Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren verfolgt?
Weiser: Ja. Der letzte Afrika-Cup war leider nicht gut und für die WM haben sie sich nicht qualifiziert. Aber Anfang des Jahres haben sie die afrikanische Nationenmeisterschaft ohne Europa-Legionäre gewonnen. Die Mannschaft hat sehr viel Potenzial.
Waren Sie schon mal in Algerien oder fühlen Sie irgendeine emotionale Verbindung?
Weiser: Mein Opa ist oft dort, er pendelt zwischen Deutschland und Algerien. Ich habe es leider noch nie geschafft. Eigentlich wollten wir als Familie immer mal hin, aber es ist irgendwie nie dazu gekommen. Einen richtigen Bezug habe ich nicht. Aber jeder, der mich kennt, sagt, dass ich vom Typ her eher ausländische Wurzeln habe als deutsche.
Inwiefern?
Weiser: Mein Charakter scheint nicht so deutsch zu sein. Ich habe etwas Afrikanisches in mir. Das weiß ich zu schätzen. Schon beim DFB in der Jugend habe ich gemerkt, dass die deutsche Mentalität nicht unbedingt zu mir passt.
Sie haben von der U16 bis zur U21 insgesamt 42 Länderspiele für Deutschland absolviert und mit der U21 2017 sogar den EM-Titel gewonnen. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Weiser: Ich habe dort viele tolle Erfahrungen gesammelt und das Zusammensein genossen, aber außerhalb des Platzes war es oft sehr streng und man hat sich nicht so frei gefühlt. Man musste immer genau darauf achten, wie man sich verhält. Alles wurde unter die Lupe genommen. Man durfte sich keinen Fehltritt leisten, sonst war es vorbei. Ich war aber schon damals ein Spieler, der gerne seine Grenzen getestet hat, Sachen hinterfragt hat, Spaß haben wollte. Ich hatte das Gefühl, dass meine Art von Charakter beim DFB nicht erwünscht war. Mit Steffen Freund gab es dort nur einen Trainer, der alle Spieler so akzeptiert hat, wie sie sind. Bei dem jeder so sein konnte, wie er ist.
Stichwort Grenzen austesten und Spaß haben: Fällt das legendäre Tanga-Foto mit David Alaba während Ihrer Zeit beim FC Bayern in diese Kategorie?
Weiser: Nein, eigentlich nicht. Wenn so etwas bei der Beurteilung eines Menschen hierzulande eine Rolle spielen würde, würde das meine Worte aber nur unterstreichen.
Hatten Sie damit gerechnet, dass das Foto so eine hohe Aufmerksamkeit generieren wird?
Weiser: Nein, es war ja nur Spaß. Ich weiß nicht, warum das damals so interessant war. Wahrscheinlich hing es mit meiner sportlichen Situation zusammen.
Nimmt sich der Fußball zu ernst?
Weiser: Es gibt solche und solche Menschen, aber generell nimmt sich das Business auf jeden Fall zu ernst. Ich glaube, dass man mehr Lockerheit reinbringen sollte.
Wie haben die Verantwortlichen des FC Bayern auf das Foto reagiert?
Weiser: Sie haben angerufen und gesagt, dass ich das sofort löschen soll. Ansonsten hat es aber keine Auswirkungen für mich gehabt.
Wie kam das Foto eigentlich zustande?
Weiser: Wir waren in Marrakesch bei der Klub-WM und haben eine Hamam-Massage gemacht. Da zieht man das halt an und wir haben einfach ein Foto gemacht. Das hatte ich schon ein Jahr vorher. Dann gab es so eine Foto-Challenge, bei der ich das gepostet habe.
In Algerien gäbe es wieder die Möglichkeit für Hamam-Massagen.
Weiser: Extra deshalb werde ich nicht für die algerische Nationalmannschaft spielen. Aber das eine oder andere Mal könnte ich das dann schon genießen.
David Alaba war beim FC Bayern einer Ihrer engsten Freunde. Wie kam es dazu?
Weiser: Obwohl er ein gestandener Stammspieler war, hat sich David extrem um junge Spieler gekümmert. Das war außergewöhnlich. In dieser Form habe ich das im Laufe meiner Karriere nicht noch einmal gesehen. Unsere Freundschaft geht also eher auf seine Kappe, weil er so offen auf mich zugegangen ist.
Stehen Sie immer noch in Kontakt mit ihm?
Weiser: Ja, wir sind bis heute gut befreundet. Treffen sind mittlerweile aber leider ein bisschen schwierig, weil wir beide Familie haben. Beim NFL-Spiel in München im November haben wir uns zum letzten Mal gesehen. Wenn wir Urlaub haben, versuchen wir immer ein paar Tage gemeinsam zu verbringen. Das läuft bei uns aber alles sehr spontan.
2020 hat Alaba den Verantwortlichen des FC Bayern angeblich empfohlen, Sie zurückzuholen.
Weiser: Das stimmt. Aber das ging nicht nur von David aus, wie ich gehört habe, sondern auch von ein paar anderen Spielern. Das hat mir in der Situation viel bedeutet. Hansi (Trainer Hansi Flick, Anm. d. Red.) stand dem auch offen gegenüber. Final hatten das aber andere zu entscheiden. Leider hat es nicht geklappt.
Sie kamen 2012 mit 18 zum FC Bayern, haben dann drei Jahre in München gespielt. Wie beurteilen Sie diese Zeit?
Weiser: Ich bin den nächsten Lernschritt gegangen, aber das hat ein bisschen gedauert. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um herauszufinden, worauf es ankommt. Obwohl ich relativ talentiert war, war ich in diesem Kader heftig unterlegen. Im dritten Jahr in München habe ich verstanden, dass es auf andere Dinge als Talent ankommt. Ich bin stolz, dass ich für diese Entwicklung belohnt wurde und am Ende noch ein paar Spiele gemacht habe. Das kann nicht jeder von sich behaupten.
Was haben Sie in diesem dritten Jahr umgestellt?
Weiser: Ich war in der Jugend immer einer der Besten und habe deshalb nicht viel an mir gearbeitet. Manche Spieler haben die richtige Mentalität in sich, bei mir war das nicht so. Um auf Top-Niveau mithalten zu können, musst du intensiv an dir arbeiten. Es geht nicht um Muskeln, sondern um die richtige Mentalität. Ich habe ein bisschen gebraucht, um das zu verstehen und zu sehen, dass auch die ganzen Weltstars vor und nach dem Training weiter trainieren.
Wäre es nicht auch die Aufgabe von Trainern, das entsprechend einzufordern?
Weiser: Mentalität kann man nicht von außen fordern. Die muss in einem drinnen wachsen.
Wie kam es, dass Sie das verstanden haben?
Weiser: An den entscheidenden Moment kann ich mich noch genau erinnern. Ich stand nach einem Training unter der Dusche und habe realisiert: Ich bin seit zwei Jahren hier und immer noch viel schlechter als alle anderen - dabei könnte ich viel mehr tun, um das zu ändern. Ab diesem Moment habe ich einige Sachen umgestellt, sowohl im Training als auch im Lifestyle. Die Resultate habe ich schnell gemerkt.
Zum Ende Ihrer dritten Saison beim FC Bayern waren Sie Stammspieler. Warum sind Sie trotzdem ablösefrei zu Hertha BSC gewechselt?
Weiser: Ich glaube, Bayern hatte eigentlich nicht mehr mit mir geplant. Dann habe ich im letzten halben Jahr viel und gut gespielt. Daraufhin wollten sie doch noch für ein Jahr mit mir verlängern, haben mir aber nicht viel Spielpraxis in Aussicht gestellt. Eigentlich wäre ich gerne geblieben, aber ich wollte das Momentum nutzen und viel spielen. Außerdem hat sich die Hertha früh um mich bemüht. Zu dem Zeitpunkt des Angebots hatte ich mich im Kopf schon mit einem Wechsel abgefunden.
Nach drei Jahren in Berlin sind Sie 2018 für zwölf Millionen Euro nach Leverkusen gewechselt. Zwei Jahre lang hatten Sie meist einen Stammplatz, in der Saison 2020/21 durften Sie aber plötzlich fast gar nicht mehr spielen.
Weiser: Mein Gefühl war, dass nahezu alles gemacht wurde, dass ich nicht spiele. Bei Ausfällen wurde umgestellt, wie man eigentlich niemals umstellen würde. Ich kann mir bis heute nicht wirklich erklären, warum das so weit gekommen ist.
Sie leben seit einigen Jahren vegan. Was hat den Ausschlag dafür gegeben?
Weiser: Während meiner zweiten Saison in Berlin hatte ich mehrere kleine Muskelverletzungen an der gleichen Stelle. Das hat mich genervt. Auf meiner Suche nach Gründen bin ich auf das Thema Ernährung gestoßen. Gleichzeitig habe ich herausgefunden, wie das alles mit der Umwelt und dem Klima zusammenhängt. Daraufhin habe ich beschlossen, vegan zu leben.
Machen Sie Ausnahmen?
Weiser: Fisch und Fleisch habe ich nie wieder gegessen, aber ganz selten gönne ich mir eine Margherita.
Gibt es bei Werder noch weitere Veganer?
Weiser: Niklas Schmidt ernährt sich auch weitestgehend vegan. Generell habe ich das Gefühl, dass dem Thema immer offener begegnet wird. Ein paar Jungs von uns nehmen beim Mittagessen auch mal das vegane Gericht. Das ist schon ein Fortschritt.
Mitchell Weiser: Seine Leistungsdaten im Profifußball
Zeitraum | Klub | Pflichtspiele | Tore | Assists |
bis 2012 | 1. FC Köln | 1 | - | - |
2012 bis 2015 | FC Bayern München | 21 | 1 | 4 |
2013 | 1. FC Kaiserslautern | 15 | 2 | 1 |
2015 bis 2018 | Hertha BSC | 85 | 8 | 16 |
2018 bis 2021 | Bayer 04 Leverkusen | 75 | 4 | 4 |
seit 2021 | SV Werder Bremen | 46 | 5 | 11 |