"Nein", antwortete Knorr auf die Frage, ob er nicht trotz des Ausscheidens nach großem Kampf gegen Weltmeister Dänemark ein wenig stolz sein könne. Der Spielmacher stand in diesem Moment wie ein Häufchen Elend in den Katakomben der Kölner Lanxess Arena, war kreidebleich und restlos geknickt.
Dann holte der 23-Jährige zu einer Abrechnung mit sich selbst aus: "Es war eines der größten Spiele meiner Karriere und ich wollte es über 60 Minuten so spielen. Das war die ganz große Möglichkeit, was ganz Großes zu schaffen. Es sind schließlich schon viele Mannschaften ins Halbfinale gekommen. Ich wollte mir nichts vorwerfen müssen, aber leider werfe ich mir jetzt etwas vor. Nach der ersten Halbzeit nicht, nach der zweiten schon. Ich spreche jetzt nur über mich, dass ich in der zweiten Halbzeit nicht mehr alles gegeben habe, mich nicht noch mehr in jeden Zweikampf geworfen habe. Das werfe ich mir extrem vor, ich bin von mir enttäuscht."
Knorr hatte zuvor mit vier Toren bei acht Versuchen zwar nicht sein bestes Spiel gemacht. In der zweiten Hälfte wurde dem Mann von den Rhein-Neckar Löwen laut Bundestrainer Alfred Gislason auf eigenen Wunsch des Spielers eine Pause gegönnt, Philipp Weber lenkte stattdessen die Geschicke der DHB-Auswahl.
Einen Grund, so gnadenlos sich selbst gegenüber zu sein, gab es nun aber auch in Bezug auf das Dänemark-Spiel wahrlich nicht. "Herr Knorr, Sie reden Blödsinn", hätte man dem gebürtigen Flensburger am liebsten zugerufen.
Knorr ist mit 47 Toren hinter dem Portugiesen Martim Costa (54) und gleichauf mit dem Franzosen Dika Mem nach acht Partien zweitbester Werfer des Turniers. Er erzielte 5,8 Treffer pro Partie und lieferte mit 29 Assists die meisten Torvorlagen aller DHB-Spieler. Ein schlechtes Turnier war es von Knorr bisher also definitiv nicht, bei allem Ehrgeiz wäre ein wenig Nachsicht sich selbst gegenüber angebracht. Zumal auch sein Auftritt gegen Dänemark nichts mit einem Desaster zu tun hatte.
DHB-Team: Spiel um Bronze für endgültige Bewertung entscheidend
Insgesamt hat die deutsche Auswahl die realistischen Erwartungen mit dem Einzug ins Halbfinale übertroffen. Gislason hat bisher nahezu alles aus dem jungen, unerfahrenen und entsprechend qualitativ noch nicht zu den Topnationen zu zählendem Kader rausgequetscht, was drinsteckt.
Für die endgültige Bewertung ist freilich das Spiel um Platz 3 gegen Schweden am Sonntag (15 Uhr) noch enorm wichtig. Sollte das DHB-Team siegen, damit Bronze und die erste Medaille seit den Olympischen Spielen 2016 holen und nach der bereits geschafften Qualifikation für die WM 2025 auch noch das Ticket für die Olympischen Spiele im Sommer in Paris lösen, ohne ein Quali-Turnier bestreiten zu müssen, würde aus einer guten eine überragende EM werden.
Sollte es eine Niederlage setzen, bliebe es immer noch ein gutes Turnier, das allerdings einen etwas faden Beigeschmack bereithalten würde. Die DHB-Auswahl hätte in diesem Fall zum Abschluss drei Spiele in Folge verloren (Kroatien, Dänemark Schweden), stünde bei einer nicht gerade herausragenden EM-Gesamtbilanz von vier Siegen, vier Pleiten und einem Unentschieden und hätte mal wieder keine große Handball-Nation bei einem Großereignis geschlagen.
Ein Beinbruch wäre allerdings auch das nicht: Frankreich und Dänemark sind aktuell für jeden Beobachter offensichtlich erkennbar noch eine andere Liga, obwohl sich das DHB-Team gegen beide Finalisten mehr als achtbar aus der Affäre gezogen hat. Auch die Ausfälle von Kai Häfner (aus privaten Gründen abgereist) und Timo Kastening (leichter Infekt) im Halbfinale dürfen nicht unter den Tisch gekehrt werden.
DHB-Team: Entwicklung geht in die richtige Richtung
Die Entwicklung der deutschen Mannschaft insgesamt geht in die richtige Richtung - und die Qualität dürfte sich bei den kommenden Turnieren quasi automatisch noch einmal erhöhen. Sieht man von Torhüter Andreas Wolff (32) ab, ist schließlich keiner der absoluten Schlüsselspieler im Team wie Johannes Golla (26), Julian Köster (23) oder eben Knorr (23) älter als 26 Jahre und damit noch längst nicht am Zenit angekommen. Selbst ein Alter von 32 Jahren ist im Handball für einen Torhüter weit von biblischen Ausmaßen entfernt.
Besonders Köster wäre hier hervorzuheben, der im Angriff gegen Dänemark (2 von 6) zwar eher mau war, im Mittelblock neben Golla allerdings eine grandiose Leistung ablieferte. Der Kapitän des VfL Gummersbach dürfte Handball-Deutschland in den kommenden Jahren noch sehr viel Freude bereiten.
Hinzu kommen die vier U21-Weltmeister im Kader. Justus Fischer, David Späth, Nils Lichtlein und Renars Uscins zahlten zwar teilweise noch viel Lehrgeld. Die Erfahrung einer Heim-EM wird aber sehr wahrscheinlich alle vier Spieler einen gehörigen Schritt nach vorne bringen. Nur nochmal zur Erinnerung: Uscins, gerade einmal 21 Jahre alt, war gegen Dänemark mit fünf Toren bester DHB-Werfer.
Bleibt also festzuhalten: Die deutschen Handballer dürfen optimistisch in die Zukunft blicken und auf das Erreichte stolz sein. Das gilt vor allem auch für Juri Knorr, der seine beste Zeit als Handballer noch vor sich haben dürfte.
Handball-EM: Finale und Spiel um Platz 3
Runde | Datum | Uhrzeit | Arena | Begegnung |
Spiel um Platz 3 | 28. Januar 2024 | 15.00 Uhr | Lanxess Arena, Köln | Schweden - Deutschland |
Finale | 28. Januar 2024 | 17.45 Uhr | Lanxess Arena, Köln | Frankreich - Dänemark |