Auch die Verletzungsgefahr ist bei vielen Zweikämpfen höher. Als sich vor rund einem Jahr Ihr Spieler Gisli Kristjansson in einem Zweikampf erneut schwer an der Schulter verletzte, gaben Sie unmittelbar nach Spielende ein emotionales Interview, in dem Sie unter anderem sagten, Sie wüssten nicht, ob Ihre Spielphilosophie der vielen Zweikämpfe noch die richtige sei. War das eine Momentaufnahme oder hat das nachhaltige Zweifel ausgelöst?
Wiegert: Ich hatte überhaupt keine Zweifel. Das war in dem Moment einfach etwas provokant formuliert. Ich wollte dieses Zeichen setzen, bewusst. Ich habe nie das Spielsystem des SC Magdeburg in Frage gestellt, sondern wollte provozieren und die Fragen aufwerfen: Was wollen wir? Wollen wir unsere Spieler weiter verheizen oder wollen wir sie irgendwann durch das Regelwerk schützen?
Anpassungen gab es in der Folge also keine?
Wiegert: Überhaupt nicht. Das war ein emotionales Interview, in dem ich mir mehr Sorgen um meinen Spieler gemacht habe als um die Aussagen, die ich dort treffe. Es ist immer schön, wenn die Fernsehsender diese Interviews direkt nach Spielschluss bekommen, wo man emotional noch nicht so abgekühlt ist, um seine Worte mit Bedacht zu wählen. Davon lebt das Ganze. Alles gut, das kann ich liefern. Aber ich wusste direkt danach, was ich damit gemeint habe und vor allem was ich nicht gemeint habe.
Es ging um eine gewisse Diskrepanz zwischen der nationalen und internationalen Regelauslegung. Nicht selten verfolgen die Schiedsrichter bei Welt- und Europameisterschaften deutlich progressivere Linien als in der Bundesliga. Kann da der Videobeweis, der kommende Saison eingeführt werden soll, helfen?
Wiegert: Ich bin mir nicht sicher, ob wir den Videobeweis in der kommenden Saison bekommen. Das, was ich aktuell aus der Liga höre, geht in die Richtung, dass das technisch wieder nicht umsetzbar ist. Das ist mein letzter Stand. Das finde ich natürlich schade. Ich bin Fan des Videobeweises. Ich weiß zwar um die Diskussionen im Fußball, aber für mich - ich bin ein Typ mit ausgeprägten Gerechtigkeitssinn - geht es um Gerechtigkeit. Ich denke, der Videobeweis macht die Sache für alle Beteiligten einfacher. Ob man mich da aber erhört? Ich glaube nicht.
Blicken wir doch wieder ins Hier und Jetzt. Sie haben vor einiger Zeit verraten, dass Sie Ihre bisher letzten beiden Flaschen Bier nach Titelgewinnen getrunken haben. Haben Sie die nächste Flasche schon kaltgestellt?
Wiegert: (lacht) Nein. Das mache ich auch nicht, weil ich so gerne Bier trinke, sondern weil die Spieler das gerne möchten. Es gibt ein paar Spieler im Team, bei denen habe ich das Gefühl, es ist ihnen wichtiger, ein Bier mit mir zu trinken als einen Titel zu gewinnen. Wenn sie das so möchten, werde ich dem nach einem Erfolg gerne gerecht. Für mich betrachtet könnte ich einen Titel aber auch sehr gut ohne Bier genießen.
Es ist ja sehr sehr gut möglich, dass Sie in dieser Saison noch einen Titel gewinnen...
Wiegert: Ich hoffe, dass das möglich ist und ich wehre mich - anders als momentan immer mal behauptet - auch nicht dagegen. Ich will nur darauf hinweisen, dass noch ein langer Weg vor uns liegt. Deswegen möchte ich mich auf solche Fragen gar nicht einlassen. Das ist alles in die Zukunft gedacht, ich möchte aber im Hier und Jetzt leben und den Ist-Status nutzen. Der ist super, wir haben eine super Basis geschaffen, um in dieser Saison erfolgreich zu sein und das ist ein gutes Gefühl. Erfolgreich sind wir dadurch aber noch nicht. Wir können es sein, sind es aber noch nicht. Das ist mein Mindset.
Wiegert: "Wir in Magdeburg müssen demütig bleiben"
Sind Sie denn, Stand jetzt, Favorit auf die deutsche Meisterschaft?
Wiegert: (überlegt kurz) Ja. Das denke ich schon. Wer sich diese Ausgangsposition erarbeitet hat, bei nur zwei Niederlagen steht und die Verfolger bereits einige Punkte distanziert hat, sollte als Favorit in den Rest der Saison gehen. Wir haben die Pole Position, so würde ich es formulieren. Ob wir damit das Rennen gewinnen, werden wir sehen. Es in der eigenen Hand zu haben und nicht abhängig von anderen Ergebnissen zu sein, ist aber ein gutes Gefühl.
Sie stehen auch im Halbfinale des DHB-Pokals. Sind zwei Titel das Ziel?
Wiegert: Das Ziel ist, überhaupt einen Titel mitzunehmen. Ich weiß, wie schnell das weggeht. Wir in Magdeburg müssen demütig bleiben, wir wissen, wo wir herkommen. Mit dem Super Globe haben wir schon einen Titel geholt, daraus hat sich sicherlich ein kleiner Suchtfaktor entwickelt. Deswegen wollen wir mehr. Aber über ein Triple zu reden? Nein. Am Ende bin ich froh, wenn wir etwas in den Händen halten und uns für unsere Saison belohnen können. Ich habe schon Mannschaften überragend spielen sehen und am Ende hatten sie gar nichts. So ungerecht kann unser Sport manchmal sein. Das ist aber ein Thema, über das ich gar nicht wirklich nachdenken möchte, weil das sehr hypothetisch und in die Zukunft gedacht ist.
Sollte es mit dem großen Wurf klappen, hätte neben Ihrer Philosophie auch Ihre Art des Coachings einen großen Anteil am Erfolg. Von außen betrachtet wirkt es, als seien Sie nicht nur vom Alter her nahe an der Mannschaft, sondern begegneten den Spielern generell häufig auf Augenhöhe und setzten auf flache Hierarchien. Stimmt das?
Wiegert: Da müssten Sie mal unsere Spieler fragen, die Antworten würden mich interessieren. (lacht) Ich kann aber sagen, wie ich mich gern sehe. Ich möchte nahe am Spieler sein und nehme es daher auch als Kompliment, wenn Sie sagen, ich sei nahe dran am Team. Ich möchte mit einer hohen sozialen Kompetenz mit jedem einzelnen Spieler arbeiten und individuell auf Probleme eingehen können und nicht alle gleich sehen - das würde nicht funktionieren, weil alle unterschiedliche Charaktere sind und unterschiedliche Ansprachen, unterschiedliche Kommunikation benötigen. Flache Hierarchien? Ja und nein. Ich bin ein Fan von Struktur und da gehört dazu, dass einer den Takt, den Puls vorgibt. Würde jeder machen können, was er will, gäbe es ein großes Chaos und das wäre in einem taktisch geprägten Sport wie unserem nicht unbedingt erstrebenswert. Ich sehe es aber auch nicht so, dass einer der Koch und einer der Kellner ist. Jeder soll sich ein bisschen einbringen und eine Gewinnereigenschaft ist es, von jedem das Beste zu nehmen.