Alfred Gislason biss sich merklich auf die Zunge. "Natürlich bin ich über Absagen nicht begeistert", sagte der Handball-Bundestrainer, vermied bei der Bekanntgabe seines EM-Kaders - im Gegensatz zur Verbandsspitze - aber weitere Kritik an der Absagenflut seiner Stars.
Stattdessen lenkte Gislason den Fokus auf sein blutjunges Team. Nicht weniger als neun Turnier-Debütanten nominierte der Isländer für die EM in der Slowakei und in Ungarn (13. bis 30. Januar). Mit dem 21 Jahre alten Julian Köster vom VfL Gummersbach wurde sogar ein Zweitliga-Profi berufen.
"Es ist unter diesen Umständen der bestmögliche Kader", sagte Gislason und betonte: "Er wird von sich Reden machen können." Die nominierten Spieler hätten "die Chance sich in den Vordergrund zu spielen. Die Situation ist wie sie ist und wir werden versuchen, das Beste daraus zu machen."
Angeführt wird das 19-köpfige Aufgebot beim Saisonhöhepunkt erstmals von Neu-Kapitän Johannes Golla. Mit Torhüter Andreas Wolff, den Rückraumspielern Julius Kühn, Kai Häfner und Simon Ernst sowie Kreisläufer Jannik Kohlbacher sind noch fünf Akteure dabei, die mit der DHB-Auswahl den EM-Titel 2016 gewonnen hatten.
DHB-Team nach Gensheimer-Rücktritt im Umbruch
Auch DHB-Sportvorstand Axel Kromer hob die gute Mischung aus "durchweg gnadenlos motivierten Spielern" hervor, forcierte aber die Diskussion über den ganz offensichtlich sinkenden Stellenwert der DHB-Auswahl. "Wir ärgern uns darüber, dass einige Nationalspieler ihre Karriere aus unterschiedlichsten Gründen nicht so konstant im Nationalteam sehen, wie es in anderen Nationen der Fall ist", sagte Kromer: "Das ist eine Sache, die uns nicht gefällt."
Nach dem freiwilligen Ausscheiden des langjährigen Kapitäns Uwe Gensheimer und von Steffen Weinhold im Spätsommer hatten mit Juri Knorr (keine Impfung), Paul Drux (Vorsichtsmaßnahme nach Knieverletzung), Fabian Wiede und Patrick Groetzki (beide familiäre Gründe) sowie Hendrik Pekeler (Nationalmannschaftspause) fünf weitere Spieler ihre EM-Teilnahme abgesagt.
Es müsse wieder eine Euphorie für die Nationalmannschaft "entfacht werden, wie sie vielleicht 2007 und 2016 war. Da wollen wir wieder hinkommen", so Kromer. Man müsse sich "darüber Gedanken machen, wie man die Voraussetzungen für Spieler und deren Familien noch anpassen" könne. "Es wäre uns Recht, wenn wir auf alle zurückgreifen könnten, die Handball spielen und einen deutschen Pass haben."
Handball-EM: Neun Turnier-Debütanten im DHB-Team
Im Januar steht aber erstmal die Jugend im Vordergrund. Neu im Team sind die beiden Keeper Till Klimpke (23) und Joel Birlehm (24), die den Vorzug vor dem erfahrenen Silvio Heinevetter (37) erhielten und zusammen mit Wolff (30) das Torwart-Trio bilden. Erstmals bei einem großen Turnier dabei sind außerdem die Rückraumspieler Köster (21), Luca Witzke (22), Christoph Steinert (31), Sebastian Heymann (23) und Djibril M'Bengue (29) sowie die beiden Außen Lukas Mertens (25) und Lukas Zerbe (25).
Gislason wehrte sich allerdings dagegen, von einem Übergangsturnier zu sprechen. "Wir wissen, dass wir alles andere als Favoriten sind bei dieser EM, aber trotzdem vertreten wir Deutschland und die deutsche Bundesliga", sagte der 61-Jährige: "Wir müssen fehlende Erfahrung eben durch Begeisterung und mannschaftliche Geschlossenheit wettmachen."
Das EM-Aufgebot der deutschen Handball-Nationalmannschaft:
- Tor: Andreas Wolff (KS Vive Kielce/POL), Joel Birlehm (SC DHfK Leipzig), Till Klimpke (HSG Wetzlar)
- Linksaußen: Marcel Schiller (Frisch Auf Göppingen), Lukas Mertens (SC Magdeburg)
- Rückraum links: Julius Kühn (MT Melsungen), Sebastian Heymann (Frisch Auf Göppingen), Julian Köster (VfL Gummersbach)
- Rückraum Mitte: Philipp Weber (SC Magdeburg), Luca Witzke (SC DHfK Leipzig), Simon Ernst (SC DHfK Leipzig)
- Rückraum rechts: Kai Häfner (MT Melsungen), Djibril M'Bengue (FC Porto/POR), Christoph Steinert (HC Erlangen)
- Rechtsaußen: Timo Kastening (MT Melsungen), Lukas Zerbe (TBV Lemgo)
- Kreis: Johannes Golla (SG Flensburg-Handewitt), Jannik Kohlbacher (Rhein-Neckar Löwen), Patrick Wiencek (THW Kiel)