Prokop sprach dabei über seinen aufopferungsvollen Kampf gegen sein viel zu frühes Karriereende als Spieler, seine intensive Zusammenarbeit mit Stefan Kretzschmar und Tipps von Heiner Brand. Der frühere Rückraumspieler berichtete zudem von seinen Lehren aus der verkorksten EM, seinen Fehlern und der Zusammenstellung des WM-Kaders.
SPOX: Herr Prokop, Sie werden an Heilig Abend gerade einmal 40 Jahre alt, haben als Spieler und Trainer aber schon viel erlebt. Dabei dauerte es eine Weile, bis Sie zum Handball fanden, oder?
Christian Prokop: Mein Vater trainierte die A-Jugend meines Heimatvereins Köthen, weshalb ich automatisch mit der Sportart in Berührung kam. Aber anfangs hat mich das Feuer für den Handball nicht so gepackt. Ich interessierte mich mehr für Fußball, Schwimmen und zeitweise auch Schach. Beim Fußball pflückte ich allerdings lieber Gänseblümchen, als mich um den Ball zu kümmern. (lacht) Im Schwimmen war ich ganz gut, aber ich war ständig erkältet. Meine Eltern meinten dann, ich solle es doch lieber in der Halle mit Handball versuchen. Dann war schnell klar: Das ist meine Sportart.
SPOX: Es war zweifelsohne die richtige Entscheidung, wie die kommenden Jahre bewiesen haben. Wie würden Sie den Handballer Christian Prokop beschreiben?
Prokop: Ich war ein ehrgeiziger, mannschaftsdienlicher Spieler, der sich mehr an guten Pässen und Zweikampfsiegen als an eigenen Toren erfreut hat. Ich konnte im Angriff viele richtige Entscheidungen treffen, war aber leider ein zu schwacher Abwehrspieler.
Prokop über das bittere Ende seiner Laufbahn als Spieler
SPOX: Als Sie 19 Jahre alt waren kam es in einem B-Länderspiel gegen Ägypten zu einer folgenschweren Verletzung, die Ihre Karriere ruinierte.
Prokop: Ich lief einen Tempogegenstoß und entschied mich, weil zwei Gegenspieler von der Seite auf mich zukamen, aus vollem Lauf zu einem Stemmwurf - in diesem Moment verdrehte sich das Knie. Die Folge: Meniskusriss inklusive Knorpelschaden. Da hat das Unheil seinen Lauf genommen.
SPOX: Zum Zeitpunkt der Verletzung waren Sie Zweitligaspieler. Eigentlich unglaublich, dass Sie es anschließend trotzdem noch in die Bundesliga geschafft haben.
Prokop: Trotz mehrerer Operationen und anschließender Rehamaßnahmen habe ich es geschafft, Bundesliga zu spielen. Das lag an einer Mischung aus guter ärztlicher Behandlung und familiärer Unterstützung. Außerdem wollte ich es nicht wahrhaben, dass es mit dem Leistungssport vorbei sein soll.
Prokops Stationen als Spieler
Zeitraum | Verein |
bis 1998 | SV Bernburg |
1998 bis 2000 | Dessauer HV |
2000 bis 2001 | HC Wuppertal |
2001 bis 2003 | GWD Minden |
2003 | HG 85 Köthen |
SPOX: Sie spielten in der Bundesliga noch für Wuppertal und Minden. Im Alter von 24 Jahren mussten Sie dennoch Ihre Karriere beenden. Dabei haben Sie wirklich alles versucht, sogar ihr Spiel auf Linkshändigkeit umgestellt.
Prokop: Mir war einfach klar, dass mein Knie die Belastung, die ich ihm als Rechtshänder zumutete, nicht aushalten würde. Also spielte ich mit links, um den Belastungspunkt zu verlagern. Ich wollte einfach alles dafür tun, um weiter Profihandballer sein zu können.
SPOX: Eine Umgewöhnung von rechts auf links dürfte ein äußerst kompliziertes Unterfangen sein, oder?
Prokop: Ich war nicht untalentiert mit der linken Hand. Mein Vater ist Linkshänder, wodurch ich genetisch wahrscheinlich geprägt bin. Außerdem spielten wir in der Jugend manchmal komplette Trainingseinheiten mit der "falschen" Hand. Es mussten also einfach ein paar Nervenzellen geweckt werden, weshalb ich fleißig übte. Ich löffelte meine Suppe mit der linken Hand, spielte mit links Tischtennis oder auch Tennis. Dazu kam natürlich das Wurftraining. Ich erlangte ungefähr 70 Prozent der Wurfkraft, die ich mit der rechten Hand hatte. Ein Vorteil war, dass ich dadurch beidhändig abschließen konnte.
SPOX: Es ging aber trotzdem nicht lange gut.
Prokop: Stimmt. Trotz der Entlastung kam es immer wieder zu Schwellungen im Knie. Das war für mich der Punkt, mit dem Leistungssport aufhören zu müssen. Auch wenn es schwerfiel, wusste ich, dass ich wirklich nichts unversucht gelassen hatte. Ich habe mich neu orientiert, schloss mein Lehramtsstudium ab und machte meinen Trainerschein, denn ohne Handball konnte ich mir mein weiteres Leben nicht vorstellen.
Prokop über die Zusammenarbeit mit Stefan Kretzschmar
SPOX: Sie arbeiteten ab dem 24. Lebensjahr als Coach in Hildesheim, Braunschweig, Hannover-Anderten, Magdeburg II, Schwerin und Essen. Wer sind Ihre Lehrmeister?
Prokop: Ich war fast immer Cheftrainer, weshalb ich mir nicht wirklich viel abschauen konnte. Es ging eher um Learning by Doing. Lediglich zu meiner Zeit in Magdeburg profitierte ich vom regen Austausch mit Frank Carstens. Mein Vater war natürlich immer ein wichtiges Vorbild. Die Art, wie er Mannschaften pädagogisch führte, hat mich geprägt.
SPOX: 2013 begann in Leipzig Ihr Durchbruch. Sie haben den Verein in die HBL geführt und dort etabliert. Welche Bedeutung hat diese Phase Ihrer Karriere für Sie?
Prokop: Das war, was den Vereins-Handball angeht, die mit Abstand schönste Zeit. Nicht nur aufgrund der Erfolge, sondern auch wegen der tollen Zusammenarbeit mit den handelnden Personen. Es ging sehr familiär zu. Man merkte einfach, dass wir zusammenpassen. Im Team haben wir es geschafft, den Männer-Handball in Leipzig zu etablieren. Leipzig ist für mich zur Heimat geworden.
SPOX: Sie haben die Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Protagonisten angesprochen, zu denen beispielsweise Stefan Kretzschmar gehörte. Wie funktionierte die Zusammenarbeit mit ihm?
Prokop: Er war und ist für mich eine absolute Vertrauensperson. Ich bekam ehrliches Feedback und spürte seinen Rückhalt, wenn es nötig war. Klar sind auch mal deutliche Worte gefallen, danach aber auch wieder versöhnliche. Wir können uns nach wie vor ehrlich austauschen. Das Tolle an ihm ist, dass er keine Fassade aufbaut.
SPOX: Sie fühlten sich beim SC DHfK derart wohl, dass Sie 2017 selbst dann noch längere Zeit zögerten, als das Angebot für den Posten des Bundestrainers kam.
Prokop: Es fühlte sich für mich ein wenig so an, als würde ich den Verein auf seinem Weg alleine lassen. Deshalb habe ich in der Tat einige Zeit mit mir gerungen. Aber ganz ehrlich: Wer sagt bei der Chance, Bundestrainer zu werden, schon nein?
Christian Prokop äußert sich zu seinen Fehlern bei der EM
SPOX: Zu Beginn Ihrer Amtszeit lief alles wie am Schnürchen. Ihr erstes großes Turnier, die EM in Kroatien, war mit dem Ausscheiden in der Hauptrunde dagegen eine Enttäuschung. Welche Lehren haben Sie aus der EM gezogen?
Prokop: Wir haben eine intensive Reflexion des Turniers durchgeführt, sei es im taktischen Bereich, in der Zusammenstellung des Kaders, in der Kommunikation, in den Hotelabläufen und so weiter. Wir haben uns deutlich angeschaut, in welchen Punkten es Optimierungsbedarf gibt. Dabei war auch die Japan-Reise im Juni wichtig, um unser Vertrauensverhältnis zu steigern. Ich bin optimistisch, aber natürlich werden Erfolgserlebnisse benötigt, um dies zu untermauern.
SPOX: Zu welchen taktischen Schlüssen sind Sie bei der Aufarbeitung gelangt?
Prokop: Ich orientiere mich noch mehr an den individuellen Stärken der Spieler. Ich bin zur Nationalmannschaft mit glasklaren Vorstellungen gekommen, habe dabei aber den Zeitfaktor unterschätzt. In der Kürze der Zeit neue Automatismen einzuführen, ist nicht so einfach. Man neigt in Stresssituationen dazu, wieder altbekannte Automatismen abzurufen. In der Schule würde man von Frontalunterricht sprechen, also dass man alles vorgibt. Das war falsch. Ich beziehe die erfahrenen Spieler nun deutlich mehr in verschiedene Entscheidungen mit ein, tausche mich viel mehr mit ihnen aus.
SPOX: Wird das auch bei der WM so laufen?
Prokop: Ja. Es wird aber auch Situationen geben - zwischen den Spielen gegen Russland und Frankreich liegen nicht einmal 24 Stunden - in denen das kaum geht. Da muss es einfach ein 100 prozentiges Vertrauensverhältnis geben, dass die Taktik vorgegeben und dann auch so umgesetzt wird. Ich maße mir an, ein Spiel gut lesen und den Gegner gut analysieren zu können, um meiner Mannschaft die entscheidenden Hilfen an die Hand zu geben.
SPOX: Was soll sich bei den Abläufen im Hotel ändern?
Prokop: Man muss bei einem Turnier im Kopf frisch bleiben. Deshalb geht es auch darum, gemeinsam Dinge zu tun, die Spaß machen und bei denen gemeinsam gelacht wird. Interne Turniere am Tischkicker oder an der Dartsscheibe beispielsweise. Gleichzeitig sind aber auch Phasen wichtig, in denen jeder für sich seine Ruhe hat und seinen Ritualen nachgehen kann.