Marc-Henrik Schmedt riss es von seinem Sitz, mit Zeige- und Mittelfinger formte der Geschäftsführer des SC Magdeburg das Victory-Zeichen. Sein SCM hatte soeben mit einem 30:26 bei der SG Flensburg-Handewitt die Hölle Nord gestürmt und damit den dritten Platz in der HBL erobert.
Es war bereits der zweite Erfolg in dieser Saison gegen den amtierenden Champions-League-Sieger und der wettbewerbsübergreifend elfte Sieg in Serie. Und zudem so etwas wie der letzte Beweis: Mit Magdeburg ist einer der traditionsreichsten Klubs im deutschen Handball wieder zurück im Konzert der Großen.
"Danach brach alles zusammen"
Umso unglaublicher erscheint diese Entwicklung, wenn man den Blick um einige Jahre zurückschwenkt. "Als wir vor viereinhalb Jahren angefangen haben, waren wir Elfter und der Verein praktisch insolvent", erinnert sich Schmedt im Gespräch mit SPOX.
Es war die Zeit, als man die fürchterlichen Nachwehen des Steuerskandals um den ehemaligen Manager Bernd-Uwe Hildebrandt verkraften musste. Dieser hatte gegenüber dem Finanzamt die Zuschauerzahlen in der Bördelandhalle nach unten korrigiert und wurde deshalb später zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.
Die Folge für den SCM: Finanzielle Probleme und ein gewaltiger Imageverlust. "Danach brach alles zusammen", sagt der frühere SCM-Star Stefan Kretzschmar zu SPOX: "Es ging jahrelang nur um Schadensbegrenzung, ständig musste man minimieren."
Neue Führung top
Leistungsträger wie Karol Bielecki oder Christian Sprenger mussten abgegeben werden. In mühsamer Kleinarbeit machte sich die neue Führungscrew um Schmedt, Präsident Dirk Roswandowicz und Geschäftsstellenleiter Steffen Stiebler daran, das Vertrauen von Fans und Sponsoren zurückzugewinnen.
"Die Konzeption, sich rein auf die Region zu konzentrieren, die Wirtschaft Sachsen-Anhalts hinter sich zu bringen, ist für diesen Verein ideal. Dieser Klub ist der Leuchtturm in diesem Bundesland. Aus den vorhandenen Möglichkeiten holt der SCM derzeit das Optimale heraus", findet Kretzsche.
Der gebürtige Leipziger, der elf Jahre lang in Diensten Magdeburgs auf Linksaußen seinen Mann stand, lobt die neue Führung. Roswandowicz habe wieder Ruhe in den Verein gebracht. "Und Stiebler ist eine absolute Identifikationsfigur beim SCM. Er ist für Magdeburg so ein bisschen wie Oliver Roggisch für die Rhein-Neckar Löwen oder für die Nationalmannschaft", so Kretzschmar über den 43-Jährigen, der selbst 20 Jahre lang das Trikot des Champions-League-Siegers von 2002 überstreifte.
Zeit für den nächsten Schritt
Fakt ist: Schmedt, Roswandowicz und Stiebler bewiesen ein gutes Händchen. Mit den Plätzen sechs, acht und sieben legte Magdeburg in den vergangenen drei Jahren eine recht gesunde Konstanz an den Tag. Nun ist die Zeit gekommen, den nächsten Schritt auf dem Weg nach oben zu machen.
Die Voraussetzungen dafür stimmen, der Kader ist gut und breit aufgestellt. Der derzeit verletzte Dario Quenstedt und Jannick Green bilden ein vorzügliches Torwart-Gespann, die Deckung steht kompakt.
Aus dem Rückraum sorgen Spieler wie Espen Lie Hansen, Michael Haaß, Andreas Rojewski oder Jure Natek für Gefahr, am Kreis steht ein Büffel namens Bartosz Jurecki. Dazu die guten Außen wie Matthias Musche und Yves Grafenhorst auf links sowie vor allem Robert Weber auf der rechten Seite. Mit 164 Toren ist der Österreicher derzeit der beste Werfer der Liga.
Homogenität als Trumpf
Trotz der vielen guten Individualisten im Kader ist die ganz große Stärke der so heimstarken Magdeburger (21:3 Punkte) allerdings die geschlossene Mannschaftsleistung. "Alles, was der Magdeburger Fan aus der Vergangenheit gewohnt war, scheint sich wieder zusammenzusetzen. Die Homogenität ist das Entscheidende für den derzeitigen Aufschwung", meint Kretzschmar.
Schmedt pflichtet ihm bei: "In einem Spiel überragt Weber, dann Green, dann ein anderer. Wir haben einige Spieler, die an einem Tag über sich hinauswachsen können. Den einen Superstar sehe ich bei uns nicht, auch wenn Weber als Anführer der Torschützenliste ein wenig herausragt. Wir kommen über die Mannschaftsleistung."
Schon unter Frank Carstens entwickelte sich das Team eine Zeit lang positiv, seit dem Sommer hievte der neue Trainer Geir Sveinsson Magdeburg noch einmal auf ein höheres Level. Der Isländer wurde aus Bregenz geholt und regiert mit ruhiger, aber bestimmter Hand, verlieh der Truppe eine lange nicht mehr dagewesene Stabilität.
"Unser Trainer kommt mir in der öffentlichen Wahrnehmung immer ein bisschen zu kurz", sagt Schmedt: "Er hat das Händchen, aus dem Potential, das wir haben, das Maximum herauszuholen."
Ein kontinuierlicher Wachstumsprozess
Und noch - so sieht es aus - ist das Ende der Fahnenstange nicht erreicht. Der Einzug in die Königsklasse war vor der Saison nicht mehr als ein Traum, mittlerweile ist diese Möglichkeit aber gegeben. Rang drei vor Flensburg zu verteidigen, erscheint möglich, zumal die SG mit gewaltigen Verletzungsproblemen zu kämpfen hat.
Mit derartigen Gedankenspielen konfrontiert, atmet Schmedt erst einmal ganz tief durch. Dann erklärt er: "Es macht keinen Sinn, in einem Jahr durch die Decke zu gehen, um dann aufgrund der mangelnden Substanz durchgereicht zu werden. Wir sind im Management aufgefordert, die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern. Unser Ziel ist es, einen kontinuierlichen Wachstumsprozess voranzutreiben."
Allerdings wäre auch der Geschäftsführer nicht sauer, wenn schon in diesem Jahr der ganz große Wurf gelingen sollte. "Dass dieser Prozess noch nicht am Ende sein soll, ist auch klar. Natürlich nehmen wir alles mit, was kommt."
Ist sogar der Titel drin?
Die Konkurrenz hat die Magdeburger jedenfalls spätestens seit dem Coup von Flensburg auf dem Schirm - sogar beim Thema Meisterschaft. "Magdeburg hat überragende Möglichkeiten, noch im Titelrennen einzugreifen", meint Löwen-Kapitän Uwe Gensheimer.
Magdeburg deutscher Meister 2015? Schmedt würde wohl wochenlang mit dem Victory-Zeichen durch die Stadt marschieren.
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