Schicksalsspiele. Handballerischer Weltuntergang. Katastrophe. Eigentlich ist sich jeder in Handball-Deutschland einig: Die DHB-Auswahl muss sich im Juni für die WM 2015 in Katar qualifizieren, an ein Scheitern und die Folgen will man lieber gar nicht denken. Hätte Deutschland doch dann mal locker hintereinander die Olympischen Spiele, die EM und die WM verpasst. Als größter Dachverband der Welt.
Es geht aber nicht nur darum, ob sich Deutschland qualifiziert oder nicht. Es ist auch an der Zeit, sich grundlegende Fragen zu stellen. Wie kann es eigentlich überhaupt sein, dass für die WM-Playoffs Duelle zwischen Deutschland und Polen - und auch eine Partie Ungarn-Slowenien ausgelost wird?
Traurig und schade für die Sportart
Deutschland vs. Polen (Final-Paarung der WM 2007, das waren noch Zeiten), das heißt auch: Der WM-Fünfte gegen den EM-Sechsten. Bei Ungarn vs. Slowenien trifft immerhin der WM- und EM-Achte auf den WM-Vierten. Kurzum: Was soll das? Auch Polens Nationaltrainer Michael Biegler kann das Verfahren nicht nachvollziehen, wie er gegenüber SPOX betonte.
"Es ist sehr traurig und schade für die Sportart Handball, dass zwei dieser vier Nationen auf der Strecke bleiben werden. Wir reden viel über das Standing unserer Sportart, wenn das Verfahren am Ende dazu führt, dass zwei Nationen, die ja auch viel Fan-Support an eine WM bringen, nicht dabei sein können, ist es mehr als unglücklich und sollte uns wach werden lassen." Die IHF kann damit nicht glücklich sein und ist es mit Sicherheit auch nicht.
Aber zurück zur Bedeutung des Deutschland-Polen-Matchups. Wäre es für die Polen nicht genauso schlimm, wenn sie die WM vor dem Fernseher verfolgen müssen? Laut Biegler wäre es sogar schlimmer.
WM für Polen wichtiger als für Deutschland
"Grundsätzlich kann ich mit dem medialen Blabla nichts anfangen. Es wird so oder so auch nach der Qualifikation weiter Handball gespielt werden. Für Polen sind es natürlich brisante Duelle und auch wir wollen nach Katar. Für uns wäre eine Teilnahme sogar wesentlich wichtiger als für Deutschland."
Der Hintergrund für Bieglers Aussage: Seit "Beagle" im Oktober 2012 in Polen die Nachfolge von Bogdan Wenta angetreten hat, wurde ein großer Umbruch vollzogen. Wenta hatte jahrelang mit einem starren System gearbeitet, 16 bis 18 Spieler gehörten fest zur Nationalmannschaft. Die meisten Spieler rekrutierte er von Polens Top-Vereinsmannschaft und Champions-League-Powerhouse Kielce, wo er lange selbst Trainer war. Es gab praktisch keine Öffnung.
Seit Biegler am Ruder ist, hat sich das dramatisch geändert. Immer noch stellt Kielce mit Stars wie Karol Bielecki, Slawomir Szmal, Michal Jurecki oder Krzysztof Lijewski einen großen Anteil des Kaders (6 Spieler bei der letzten EM), aber Biegler ist dabei, den polnischen Nachwuchs an die internationale Spitze heranzuführen.
Bieglers Sorge um seine Talente
Bei der EM in Dänemark debütierten bereits einige Talente, mit Jungs wie Kamil Syprzak, Przemyslaw Krajewski, Piotr Chrapkowski, Robert Orzechowski oder Jakub Lucak stoßen hoffnungsvolle Spieler nach. Sie spielen aber aktuell zum Großteil in Plock, Pulawy, Zabrze oder Glogow.
Bieglers Sorge: Wo bekommen seine Talente internationale Spiele her? Wo werden sie gestählt? Sie müssen in Katar dabei sein, um sich entwickeln zu können. Wie das Niveau abgesehen von Kielce in der polnischen Liga aussieht, zeigt beispielsweise das Aus von Pulawy im Challenge Cup der letzten Saison gegen den belgischen Klub Initia Hasselt.
Um seine Spieler entwickeln zu können, braucht Biegler dringend die WM-Teilnahme. Denn ohne Katar hätte Polen - im Gegensatz zu Deutschland - dann ab dem Sommer bis Januar 2016 keinen Härtetest mehr. Denn 2016 findet die EM daheim in Polen statt, dafür ist der Gastgeber naturgemäß gesetzt.
Klar, es ist schön für Polen, nicht durch die Quali-Mühle zu müssen. Aber es hat eben auch große Nachteile. "Wir haben überhaupt keine Möglichkeit, um gute Testspiele zu vereinbaren. Die Quali dürfen wir nicht mitspielen, alle Nationen sind durch die Quali gebunden, es gibt keine adäquaten Gegner. Wir müssen schon kontinentalübergreifend schauen, um Gegner zu finden. Es ist alles sehr unglücklich", macht Biegler klar.
Polen auf Kurs Richtung Heim-EM
Es wird also deutlich, welch großes Interesse die Polen an einer Teilnahme in Katar haben. Nicht umsonst sagt Biegler: "Wir werden dafür fighten."
Für Polen ist der Fahrplan klar auf das große Ziel Heim-EM ausgerichtet - und Biegler hat sein Team absolut auf Kurs. Bei der EM sprang am Ende Rang sechs heraus, nackte Platzierungen sind aber ohnehin in der aktuellen Phase für Biegler zweitrangig. Es geht ihm um die Art und Weise, wie sein Team bei der EM sich präsentierte. Wie es Stresssituationen bewältigte. Wie sich die Debütanten einfügen und an das Niveau gewöhnen konnten.
Deutschland muss gewinnen. Polen muss gewinnen. Magdeburg wird beim Do-or-Die-Rückspiel im Juni brennen, das steht fest. Die Frage bleibt nur, ob es überhaupt sein darf, dass Deutschland oder Polen (und Slowenien oder Ungarn) auf der Strecke bleiben? Klare Antwort: nein!
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