SPOX: Man kann sich doch aber auch ohne offene Wunde verletzen.
Verbeek: Ich sehe schon, wenn jemand schwer verletzt ist. Dann wird das Training natürlich unterbrochen, auch ohne Blut. Ich hatte mal einen 14-jährigen Spieler, der sich im Training am Bein verletzt hat. Ich sagte zu ihm, er solle sich einmal mit vollem Gewicht auf beide Beine stellen. Er meinte, es würde nicht arg wehtun. Dann solle er weiterspielen, entgegnete ich. Eine Woche später kamen die Schmerzen wieder, wir schickten ihn ins Krankenhaus und er hatte sich das Kahnbein gebrochen.
SPOX: Machen Sie das auch deshalb, weil im Fußball immer wieder ein bisschen geschauspielert wird?
Verbeek: Ein bisschen? Das passiert viel zu oft. Fußballprofis sind Schauspieler, zumindest auf eine gewisse Art und Weise. Der Sport hat sich in den letzten Jahren in diese Richtung entwickelt. Ich versuche zu vermitteln, dass man da nicht zwingend mitmachen muss. Wenn einer meiner Spieler schauspielert, um einen Freistoß zu bekommen, hole ich ihn vom Feld. Ich möchte harte, aber keine unfairen Spieler haben. Im Training bin ich oft der Schiedsrichter, aber ich pfeife fast nie. Beim Boxen wird man angezählt, wenn man auf dem Boden liegt. Und wenn du nicht aufstehst, hast du verloren.
SPOX: Wie beobachten Sie denn die heutige Generation an Fußballern, die sich sehr über technologische Dinge wie soziale Medien oder die neuesten Kopfhörer und Handys definiert?
Verbeek: Ich bin kürzlich im Urlaub in Barcelona mit meiner Freundin über die Ramblas gelaufen. Uns kam ein Typ entgegen, der wie paralysiert in sein Handy geguckt hat. Ich habe zu meiner Freundin gesagt: Pass' auf, der rennt gleich voll in mich rein. Und so kam es auch. Aber er ist dann einfach genauso weiter gelaufen. Das ist die heutige Zeit, ich kann sie leider nicht zurückdrehen. Aber: Würde mich diese Entwicklung ärgern, würden andere Menschen letztlich darüber bestimmen, wie ich mich fühle. Und das möchte ich unter keinen Umständen.
SPOX: Wie handhaben Sie die Handy-Nutzung?
Verbeek: Wir haben abgesprochen, das Handy zum gemeinsamen Essen nicht mitzunehmen. Ich selbst habe natürlich auch eines, schaue aber nur ein paar Mal täglich drauf. Die restliche Zeit lasse ich es liegen. Ich gehe auch nicht sofort ran, wenn es klingelt oder piept - erst Recht, wenn ich mit jemandem spreche. Grundsätzlich wird immer mehr vergessen, dass man auch miteinander reden kann.
SPOX: Wird im Fußball öffentlich geredet, kommt meist nur Weichgespültes heraus. Thomas Müller vom FC Bayern will künftig gegenüber der Presse auch mal Notlügen einstreuen. Sie dagegen ecken mit Ihrer direkten Art bisweilen an. Darf man nicht mehr ehrlich sein?
Verbeek: Wenn sich der Fußballzirkus so entwickeln sollte, dass man lügen oder sich zu sehr verstellen muss, um noch mitschwimmen zu können, höre ich sofort auf. Dann gehe ich Häuser bauen. Die Welt verbessern zu wollen beginnt immer bei einem selbst, nie bei anderen Menschen. Niemand wird gezwungen, gewisse allgemeine Entwicklungen mitzumachen. Ich folge nicht dem Mainstream.
SPOX: Das sieht man an Ihrer Beziehung zur Bild-Zeitung, die Sie nach Ihrer Wutrede zwar weiter dulden, aber mit der Sie seitdem nicht mehr sprechen.
Verbeek: Wichtig ist mir, dass der gegenseitige Respekt niemals verloren geht. Wenn das passiert, muss man die Gespräche oder Beziehungen beenden. Und so habe ich das auch mit der Bild-Zeitung gehandhabt: Der entsprechende Redakteur hat wiederholt Dinge bewusst falsch dargestellt, so dass dies keine Basis für gegenseitigen Respekt darstellt. Er darf weiterhin gerne zu den Pressekonferenzen kommen, aber er stellt mir keine Fragen mehr und bekommt auch keine Antwort. Ich habe ihm erklärt, weshalb ich das so mache. Das halte ich deshalb nicht für respektlos. Ich will in meinem Beruf nicht so leben müssen, dass ich mich ständig nach Heckenschützen umzuschauen habe.
SPOX: Seit über 20 Jahren sind Sie nun an der Seitenlinie aktiv, im August werden Sie 54. Welche Ziele und Träume haben Sie noch als Trainer?
Verbeek: Keine konkreten. Als Spieler hatte ich das Ziel, eines Tages Trainer zu werden. Als ich das geschafft habe, wollte ich vor meinem 40. Geburtstag Chefcoach im Profifußball sein. Das hat mit 39 geklappt. Vor meinem 50. Geburtstag wollte ich in einer sportlich besseren Liga im Ausland arbeiten. Jetzt hoffe ich, in Deutschland ähnlich erfolgreich zu sein wie in den zwölf Jahren in Holland - dort habe ich über 70 Europa-League-Spiele gecoacht.
SPOX: Was haben Sie sich für den 60. Geburtstag vorgenommen?
Verbeek: Mit 60 möchte ich frei entscheiden können, ob ich noch arbeiten muss oder nicht. Fußball war schon immer mein Leben, als Trainer arbeite ich bis zu 80 Stunden in der Woche. Ich fühle mich aber nicht zu beschäftigt. Doch ich kann mir vorstellen, dass ich dann vielleicht auch mal einen Vorstandsposten in einem Klub besetze und mitbestimme, wie ein Verein geleitet werden soll. Zumal meiner Meinung nach sehr wenige fachlich ausgebildete Leute in den Vorstandsbereichen arbeiten.