Mats Hummels konnte gar nicht genug kriegen. Der Torschütze wurde von der FIFA zum offiziellen Man of the Match gekürt und musste auf der Pressekonferenz antreten. Drei Fragen erlaubt der Weltverband dann an den besten Spieler des Tages.
Der Verteidiger sah abgekämpft aus, gezeichnet von den 90 Minuten in der Mittagshitze von Rio de Janeiro gegen Frankreich. Die Augenlider hingen tief, das sonst so breite Lachen kam nur zögerlich in sein Gesicht.
Aber Hummels tat alles, was möglich war, um wieder in eine bessere Konstitution zu kommen. Er trank Wasser, so viel er nur konnte. Vor, während und zwischen den Fragen. Nur für die Antworten unterbrach er seine Rehydrierung quasi.
Sieben Kilometer mehr als Frankreich
Das Viertelfinale im legendären Estadio da Maracana hatte jeden Spieler viel Kraft gekostet. "Ich war früh platt heute und musste nach dem Spiel Wasser ohne Ende nachschütten. Aber es ging noch anderen so wie mir", sagte Hummels.
107,7 Kilometer lief die deutsche Mannschaft in dieser Partie. Nicht übermäßig viel im Vergleich zu Champions-League-Abenden, in denen die Laufwunder von Borussia Dortmund schon mal auf 126 Kilometer kommen. Allerdings lief die DFB-Elf über sieben Kilometer mehr als die Franzosen (100,5), die aber ebenfalls am Ende waren.
Im Unterschied zu den vorherigen Spielen mussten die deutschen Spieler deutlich mehr Meter bei gegnerischem Ballbesitz machen und dem Ball hinterherlaufen. Die Statistik wies ein 50:50 bei den Spielanteilen aus. Ein ungewöhnlicher Wert für Spiele mit deutscher Beteiligung.
Ballbesitz nicht als primäres Ziel
Das DFB-Team hatte sich bisher an der Spielanlage des FC Bayern orientiert und Ballbesitzstatistiken um die 60 Prozent ausgewiesen. Spielkontrolle, Passsicherheit und Dominanz und waren die entscheidenden Begriffe. Aus diesem Grund hatte Bundestrainer Joachim Löw auch Philipp Lahm als Sechser vor der Abwehr installiert.
Dessen Leistungen wurden in Deutschland heftig diskutiert. Dass Löw trotzdem an seinem Kapitän ihm Zentrum festhielt, wurde ihm als Sturheit und Beratungsresistenz vorgeworfen. Gegen Frankreich kehrte Lahm auf die rechte Seite zurück.
Die Abkehr von der ebenfalls umstritteneren Grundformation 4-3-3 hin zum altbewährten 4-2-3-1 schien mit der Berufung von Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger in die Startelf ebenfalls vollzogen.
Doch Löw änderte nichts an der grundlegenden Aufteilung auf dem Platz, sondern das Personal und die taktische Ausrichtung. Ballbesitz in der Hälfte des Gegners war nicht mehr das primäre Ziel der deutschen Elf, dieses Mal ging es um die Kontrolle der Offensive des Gegners.
Zentrales Thema: Harte Arbeit
"Wir hatten spielerisch weniger Momente", sagte Hummels. "Aber wir haben defensiv alle hart gearbeitet." Die gemeinsame Defensivarbeit war das zentrale Thema in den Gesprächen nach dem Spiel. Kein Spieler, der nicht von der großen mannschaftlichen Geschlossenheit gesprochen hätte.
Die Aussagen waren nahezu deckungsgleich mit denen vom Spiel gegen Portugal. Löw hat gegen Frankreich zum ersten Mal seit dem Auftaktspiel seine Mannschaft wieder mehr an den Gegner angepasst, als sie ihre eigene Spielidee verfolgen zu lassen.
Und über weite Strecken scheint sie sich damit noch wohler zu fühlen. Deutschland ist bei der WM 2010 dank seinem exzellenten Konterspiel bis ins Halbfinale gekommen, seitdem hat sich Deutschland dem Idealbild des dominanten Fußballs verschrieben. Der Auftritt in Rio de Janeiro war eine Rückkehr zur Basis des deutschen Spiels.
Quälgeist statt Feingeist
Thomas Müller, laufstärkster Spieler auf dem Platz, hat die Eindimensionalität der Mannschaft von vier Jahren erst angeprangert. "Jetzt sind wir weiter, können ein Spiel von hinten mit Flachpässen aufbauen, aber beherrschen auch das schnelle Umschaltspiel."
Nur hat Löw von den Varianten seiner Mannschaft bisher nur wenig Gebrauch gemacht. Es hatte den Anschein, als wolle er Plan A unbedingt durchziehen. Die Reaktionen gegen Frankreich lassen darauf schließen, dass Löw auch aus den Fehlern seiner Vergangenheit gelernt hat. Manchmal hilft ein Schritt zurück auch, um zwei nach vorne zu machen.
"Ich habe das Gefühl, dass wir diese Art Fußball zu spielen, durchziehen können", sagte Hummels. Die Bereitschaft, sich in der Defensive für das Team aufzureiben, dürfe nur nicht weniger werden. Denn trotz aller Ballkontrolle liegt der Schlüssel zum Erfolg immer noch im Spiel gegen den Ball.
Mit der Hereinnahme von Miroslav Klose entschied sich Löw für einen zusätzlichen Quälgeist anstatt des Feingeistes Götze, der in allen Spielen defensiv Schwächen offenbart und leichtfertige Ballverluste produziert hatte. Aktuell kann sich das DFB-Team nur einen Individualisten dieser Art leisten und das ist bei Löw Mesut Özil.
Welche Lösung gegen Brasilien?
Lahm war froh, einem offenen Schlagabtausch wie gegen Ghana und Algerien aus dem Weg gegangen zu sein. Ein ständiges hin und her ist für den Kapitän immer ein Zeichen von taktischen Schwächen.
Der Halbfinalgegner Brasilien ist mit dieser Art von Powerfußball aber bisher ganz gut gefahren. Die Selecao ist das erste südamerikanische Team, dem die deutsche Mannschaft begegnet. Löw und sein Trainerteam haben vor Beginn des Turniers vor den Urkräften gewarnt und den Südamerikanern einen Vorteil attestiert.
Ein tempoarmes Spiel wie in der zweiten Halbzeit beim Duell der europäischen Schwergewichte im Maracana dürfte es mit den Brasilianern nicht geben. Zu spektakulär waren die Spiele gegen Mexiko, Chile und Kolumbien.
Durch den Einzug ins Halbfinale ist Löw die großen Diskussionen um seine Taktik und Aufstellung erstmal los. Die siegreiche Elf muss aber nicht die beste Lösung für Brasilien sein. Das Turnier hat in Sachen Coaching gerade erst begonnen.